Buchholz. Turnerin von Blau-Weiss Buchholz gewinnt Bronze bei Deutschen Meisterschaften – obwohl sie nicht am Bundesstützpunkt oder im Internat trainiert.
„Bemerkenswert“, fand der Niedersächsische Turner-Bund (NTB) in einer Pressemitteilung den dritten Platz von Karina Schönmaier im Sprungfinale der deutschen Kunstturn-Meisterschaften in Dortmund. Bemerkenswert ist der Gewinn der Bronzemedaille vor allem deshalb, weil die 15-Jährige – anders als in diesem Sport üblich – weder in einem Bundesstützpunkt noch in einem der vielen Landes-Leistungszentren trainiert, sondern sich ganz bewusst für einen anderen, eigenen Weg entschieden hat.
Und das mit Erfolg, wie sich spätestens jetzt herausgestellt haben dürfte. Grundsätzlich gilt in Deutschland nämlich: Spitzenturnerinnen und -turner trainieren von frühester Jugend an in Gruppen in einem Leistungszentrum, wechseln alsbald in ein Sportinternat und verlassen ihr familiäres Umfeld. „Das hat Karina immer abgelehnt“, sagt ihre Trainerin Katharina Kort, die das Turntalent aus Bremen einst „entdeckt“ hat. Seit 2015 ist Schönmaier mit einem Einzelstartrecht für Blau-Weiss Buchholz ausgestattet und turnt mit dem Turn-Team Kiehn Group Lüneburg-Buchholz in der 2. Bundesliga.
Als Fünfjährige tauchte sie in der Halle des TuS Huchting auf
Als sie fünf Jahre alt war, erschien sie an der Hand ihrer Mutter in der Sporthalle des TuS Huchting Bremen und machte quasi aus dem Stand die Flickflacks der anderen Turnerinnen nach, für die diese stundenlang geübt hatten. „Ich habe sofort gesehen, dass sie ein Bewegungstalent ist“, erinnert sich Katharina Kort. Seit diesem Tag arbeiten Trainerin und Turnerin zusammen, seitdem ist das Kunstturnen die große Leidenschaft der heute 15-Jährigen, die in Bremen die neunte Schulklasse besucht.
Das Wochenende in Dortmund war nicht das erste Mal, dass Karina Schönmaier bundesweit auf sich aufmerksam machte. Im Dezember 2020 war sie deutsche Jugendmeisterin im Mehrkampf und am Schwebebalken in der Altersklasse 15 geworden, dazu Zweite am Boden und Dritte am Sprung. Anfang August 2021 vollendet sie das 16. Lebensjahr und musste deshalb bei den diesjährigen deutschen Titelkämpfen erstmals in der Meisterklasse der Frauen starten.
Persönliches Treffen mit ihren Vorbildern Bui, Seitz und Voss
In der Westfalenhalle lernte sie erstmals persönlich ihre Vorbilder Kim Bui, Elisabeth Seitz und Sarah Voss kennen. Voss gewann später auch den Sprung-Wettbewerb, indem die Buchholzerin überraschend Dritte wurde. „Die waren alle supernett und ganz und gar nicht überheblich“, erzählte Karina Schönmaier, die sich als erste Turnerin von Blau-Weiss überhaupt für die deutschen Meisterschaften der Erwachsenen qualifizieren konnte. Deren Austragung stand nach der Corona-bedingten Absage im Mai in Leipzig lange Zeit auf des Messers Schneide.
Allein schon die Qualifikation für die Frauen-DM, besonders aber der Gewinn der Bronzemedaille beim ersten Start im Kreis der deutschen Turnelite, sind auch ein großer Erfolg für Blau-Weiss Buchholz und Karinas Heimatverein TuS Huchting. Die Vereine verschaffen ihr die notwendigen Trainingsmöglichkeiten und stellen die Trainerinnen Katharina Kort und Susanne Tidecks. Kort arbeitet mit ihrem Schützling sowohl in Bremen als auch in Buchholz hauptsächlich an den Geräten, während sich Tidecks im Hintergrund um alle organisatorischen Belange kümmert.
Katharina Kort ist Trainerin, Susanne Tidecks die Managerin
„Diese Arbeitsteilung funktioniert vorbildlich“, sagen beide Trainerinnen übereinstimmend. Susanne Tidecks hatte beispielsweise maßgeblichen Anteil daran, dass „vor Corona“ alle paar Monate der international renommierte Trainer Artem Nykytenko aus der Ukraine eingeflogen wurde, um Karina Schönmaier bei den einzelnen Übungen den letzten Schliff zu geben. Tipps für die Choreographie wurden von der früheren Europameisterin und Olympionikin Dariya Zgoba aus der Ukraine eingeholt.
Den früheren Bundestrainer Wolfgang Bohner spannt das Team um Karina Schönmaier bis heute regelmäßig ein. Gerade jetzt verweilt der Spitzentrainer aus Süddeutschland wieder für eine Woche in der Nordheide und trainiert mit Karina Schönmaier. „Ohne ihn stünden wir nicht da, wo wir heute stehen“, betont der Vereinsvorsitzende Arno Reglitzky Bohners Bedeutung für das Leistungsturnen bei Blau-Weiss.
Ex-Bundestrainer Wolfgang Bohner wochenweise in Buchholz
„Eine Olympionikin aus Buchholz, der Aufstieg in die 1. Bundesliga – mit Wolfgang Bohner ist alles möglich,“ gerät der Vereinschef ins Schwärmen, als er sich bei seiner Topathletin und den Trainerinnen im ehemaligen Plaza-Gebäude an der Bremer Straße mit Blumensträußen für deren unermüdlichen Einsatz bedankte. „Was wir leisten, kostet alles viel Aufwand und natürlich auch viel Geld“, bekennt Susanne Tidecks.
Umso dankbarer sind sie bei Blau-Weiss Buchholz, dass sie mit ihren Zweitligaturnerinnen vom Turn-Team Kiehn Group in dem früheren Baumarkt großzügige und aus ihrer Sicht ideale Trainingsflächen nutzen dürfen. Zusammen mit den Aerobicturnerinnen, der Lateinformation aus der Ersten Bundesliga und den Kampfsportlern. Dem Verein stehen dort Übungsflächen in einer Größenordnung von 4000 Quadratmetern zur Verfügung.
Minichance auf Nachnominierung für zweite Olympiaqualifikation
Stichwort Olympia: ein Start in Tokio kommt deutlich zu früh. Zumindest ist es denkbar, dass Karina Schönmaier noch eine Einladung für die zweite Olympiaqualifikation an diesem Sonnabend, 12. Juni, in München erhält. „Nach dem gegenwärtigen Ranking müssten allerdings zwei vor ihr positionierte Turnerinnen ausfallen oder absagen“, sagte Katharina Kort. Wenn die Einladung von Bundestrainerin Ulla Koch kommen sollte, wird Schönmaier sie wahrnehmen.
Olympia 2024 in Paris ist dagegen ein realistisches Ziel. Karina Schönmaier, die zuletzt regelmäßig jeweils drei Tage pro Woche jeweils drei bis vier Stunden in Bremen und auch in Buchholz trainierte, hat Olympia jedenfalls fest im Blick. „Ich weiß jetzt, dass ich mit den Großen mithalten kann. Jetzt wünsche ich mir viele internationale Wettkämpfe“, sagt sie, deren Lieblingsgerät der Stufenbarren ist. „Da kann ich mich so richtig entfalten“, begründet sie ihre Vorliebe. Den Schwebebalken bezeichnet die zierliche Turnerin dagegen als ihr „Zittergerät.“
Schwebebalken ist Zittergerät, Stufenbarren das Lieblingsgerät
Angst kenne sie offensichtlich nicht, bescheinigt ihr Trainerin Katharina Kort. Und starke Nerven hat sie auch. Wie sie in Dortmund auf den Punkt ihre beste Leistung abrufen konnte, habe Blau-Weiss-Vorstandsmitglied Hans-Hermann Damlos total begeistert, wie er bekannte. „Schmerzen kann ich gut ignorieren. Und wenn es doch mal weh tut, ziehe ich trotzdem durch, was ich mir vorgenommen habe“, beschreibt die Jüngste von drei Geschwistern, deren Vater verstarb, als sie drei Jahre als war, ihre Stärken. Zurückhaltend und erfolgreich – Karina Schönmaier hat eine große Sportlerkarriere vor sich und vieles spricht dafür, dass sie den für sie richtigen Weg eingeschlagen hat.