Wilhelmsburg. Die Schule in Kirchdorf ist für den Schulpreis 2024 nominiert und gehört so zu den Top 20 im Land – dank innovativer Ideen im Brennpunkt.

  • Eine Wilhelmsburger Schule könnte zu „Deutschland beste Grundschule“ gekürt werden
  • Mit der Nominierung zum Deutschen Schulpreis 2024 ist sie unter der Top 20
  • Eine Besonderheit: Mit der Lage in Kirchdorf Süd liegt die Einrichtung in einem sozialen Brennpunkt Hamburgs

Die Wilhelmsburger Grundschule Kirchdorf ist eine von zwei Hamburger Schulen, die für den Deutschen Schulpreis 2024 nominiert sind. Über 80 Schulen aus ganz Deutschland hatten sich beworben. Eine 50-köpfige Jury aus Bildungswissenschaft, Schulpraxis und Bildungsverwaltung hat nun auf der Grundlage der eingereichten Bewerbungen und anhand von Gesprächen mit den Schulen die 20 besten ausgewählt.

Auch die Grundschule Lämmersieth in Barmbek-Nord gehört in ihre Auswahl. Im nächsten Schritt des Wettbewerbs soll die Unterrichtsqualität vor Ort auf den Prüfstand gestellt werden. Ende Juni werden dann die 15 Schulen bekannt gegeben, die eine Runde weiter sind.

Grundschule Kirchdorf: 70 Prozent der Schülerschaft hat Migrationshintergrund

Schulleiter der Grundschule Kirchdorf, Christian Gronwald, ist stolz. „Das freut mich unheimlich“, sagt er bei einem Besuch in seiner Schule, in der es für einen Mittwochvormittag relativ ruhig ist. Da aktuell Bayram ist, fehlt ein Großteil der Schülerschaft und feiert zuhause mit den Familien. Es lohne sich nicht, normalen Unterricht anzubieten, sagt Gronwald. Einige Lehrerinnen nutzen stattdessen die Zeit, um gemeinsam mit den wenigen Schülerinnen und Schülern die Fensterscheiben im Foyer neu zu gestalten. „Das sind schon Vorbereitungen für den Schulpreis“, sagt Gronwald schmunzelnd.

Die Wilhelmsburger Grundschule Kirchdorf befindet sich an einem Brennpunkt.
Die Wilhelmsburger Grundschule Kirchdorf befindet sich an einem Brennpunkt. © Helena Davenport | Helena Davenport

Die Nominierung zeige ihm, dass die Arbeit, die vor über zehn Jahren begann, nun anerkannt wird. Gronwald übernahm 2011 die Leitung der Grundschule im Brennpunktgebiet. Rund 70 Prozent der Schüler haben einen Migrationshintergrund. Als Gronwald Schulleiter wurde, lagen viele Kinder in sämtlichen Kompetenzbereichen rund zwei Jahre zurück, viele beherrschten weder ihre Muttersprache ausreichend, noch Deutsch. Gronwald machte das fachliche Lernen zum zentralen Punkt der Unterrichtsentwicklung. Letztere nahm vor allem mit dem Eintritt in das Programm „23+ Starke Schulen“ zur Förderung von Schulen in sozial schwieriger Lage Fahrt auf.

„Wie können wir die Kinder ins Denken bringen?“

Der Hamburger Senat hatte das Programm nach einem gemeinsam verfassten Brandbrief von Wilhelmsburger Schulen auf die Beine gestellt. Die Grundschule Kirchdorf erhielt in diesem Zuge Kapazitäten, um mehr Unterrichtsstunden anzubieten und eine didaktische Leitung einzustellen.

Gronwald und seine Kolleginnen und Kollegen stellten eine bedeutende Frage in den Mittelpunkt: „Wie können wir die Kinder ins Denken bringen, anstatt lediglich Themen abzuarbeiten?“ Um Antwort zu finden, müsse man mit Kindern ins Gespräch gehen, beschreibt Gronwald, und den Gedanken verfolgen, dass auch Wilhelmsburger Kinder leistungsfähig sind.

Die Kinder lernen ihre Klassenlehrerin schon im Kitaalter kennen

Die neue didaktische Leitung rief zwei Projekte ins Leben, von denen eines „VSK plus“ heißt. 2015 wurde es mit dem Schulpreis des Hamburger Abendblatts ausgezeichnet. Es sorgt dafür, dass das Konzept der Grundschule schon im Vorschulalter beginnt. Die Lehrkräfte der vierten Klassen gehen in die Vorschulklassen und bereiten die Kinder auf das vor, was kommt.

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Heißt: Nicht nur auf Grundlagen wie etwa das Erfassen von Mengen, sondern auch auf die Unterrichtsroutine. Denn sie sind später die Klassenlehrerin oder der Klassenlehrer in der ersten Klasse, die Kinder haben also schon vor dem Schuleintritt ihre Bezugsperson kennengelernt. „Sie können dann also direkt starten, es geht keine Zeit verloren“, sagt Gronwald.

Das Leseförderkonzept wenden mittlerweile viele Schulen an

Außerdem führte die didaktische Leitung ein Leseförderkonzept ein, das mittlerweile auf viele andere Hamburger Schulen übertragen wurde. „Das Wichtigste ist nämlich, dass die Kinder sinnerfassend lesen können“, sagt Gronwald. Im Laufe der Jahre ist ihm und seinem 51 köpfigen Kollegium Großes gelungen: Während vor rund 14 Jahren 292 Kinder die Grundschule besuchten, sind es heute 443.

Gronwalds Ziel: Die Schülerinnen und Schüler bestmöglich auf ihre weitere Schullaufbahn vorbereiten.
Gronwalds Ziel: Die Schülerinnen und Schüler bestmöglich auf ihre weitere Schullaufbahn vorbereiten. © Helena Davenport | Helena Davenport

Nicht etwa Zuzug ist ein Grund, es wurde auch keine Unterkunft für Geflüchtete in der Nähe errichtet. Stattdessen ist es der Schule gelungen, attraktiver zu werden, auch für bildungsnahe Familien. Leistungsstarke Schüler werden speziell gefördert – und ziehen ihre Mitschüler mit. Außerdem dient ein „Elterncafé“ am Nachmittag dazu, Eltern mit ins Boot zu holen, Probleme gemeinsam zu bewältigen. Und Eltern mit Defiziten in der deutschen Sprache können bei Interesse an einem Sprachkurs teilnehmen.

Die Jury des Schulpreises kommt an die Schule

Ab dem 22. April finden an der Grundschule Kirchdorf Hospitationen im Rahmen des Wettbewerbs um den Deutschen Schulpreis statt. Mit dem Prozedere ist Gronwald vertraut, genaue Details, wie die Hospitationen ablaufen, kennt er nicht. „Das ist ja das Spannende“, sagt er mit einem Lachen. Auch Eltern sollen am besagten Montag befragt werden, es folgt ein Schulrundgang.

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Am darauffolgenden Dienstag stehen dann alle Türen offen, sodass in den Unterricht hineingeschnuppert werden kann, und zum Schluss stehen Gespräche mit Lehrerpersonal sowie Schülerschaft an. Auf diese Weise will sich die Jury einen Eindruck machen. „Wir sind vorbereitet“, sagt Gronwald, „wir machen den Unterricht so wie immer.“ Trotzdem seien die Hospitationen natürlich insbesondere für das Kollegium aufregend.

Im Oktober wird der Schulpreis vergeben

Am 2. Oktober findet schließlich die Preisverleihung mit Bundeskanzler Olaf Scholz (SPD) in Berlin statt. Der Hauptpreis ist mit 100.000 Euro dotiert, fünf weitere Preise mit je 30.000 Euro. Aber auch alle nominierten Schulen, die nicht ausgezeichnet werden, erhalten einen Anerkennungspreis in Höhe von 5.000 Euro.

Zusätzlich können bis zu 20 Schulen, die sich für den Preis beworben hatten, aber nicht zu den Preisträgerinnen gehörten, an einem Entwicklungsprogramm teilnehmen, zwei Jahre lang werden sie begleitet. 2023 belegte die Eichendorffschule im bayerischen Erlangen den ersten Platz, aber auch die Schule ITECH auf der Elbinsel Wilhelmsburg sowie die Winterhuder Heinrich-Hertz-Schule waren unter den Preisträgerinnen.

Lehrermangel bereitet dem Schulleiter Sorgen

Die Wilhelmsburger Grundschule ist zum ersten Mal für den Preis nominiert. Eigentlich wollte Schulleiter Gronwald schon vor einigen Jahren eine Bewerbung einreichen, aber dann machte die Corona-Pandemie dem Vorhaben einen Strich durch die Rechnung. Die Schule musste all ihre Energie in die Umsetzung der verschiedenen Anordnungen stecken, das Lehrpersonal musste sich auf den Online-Unterricht konzentrieren. Dies sei kein Leichtes gewesen, erinnert sich Gronwald.

Aktuell bereitet ihm der Lehrermangel die größten Sorgen. Wenn es kaum Personal gebe, könne er zwar viel planen, aber nichts umsetzen, sagt er. Die Schülerschaft sei möglicherweise anstrengender als in einem anderen Stadtteil, man müsse es wollen, an der Grundschule Kirchdorf zu arbeiten. „Dafür geben die Kinder aber auch sehr viel zurück.“