Harburg. Regelmäßig leistet Dr. Wolfgang Reinpold internationale Hilfe – auf eigene Kosten. Was ihn im drittärmsten Land Südamerikas erwartete.
Es kommt nicht allzu oft vor, dass ein Harburger aus Paraguay berichten kann. Doch selbst dann klingt es zunächst wie eine normale Geschichte: Er nahm sich Urlaub, zahlte den Flug aus eigener Tasche und verschwand nach Südamerika. Mit der Landung begann für Dr. Wolfgang Reinpold jedoch die chirurgische Arbeit, nicht die Entspannung. Zum 16. Mal begab sich der Harburger Chefarzt Ende 2023 auf Hernienmission – und operierte in Paraguay.
Harburger Arzt operiert Patienten mit Leisten- und Bauchwandbrüchen
Über 10.000 Kilometer davon entfernt liegt sein eigentlicher Arbeitsplatz: die Helios Mariahilf Klinik in Harburg. Dort ist Reinpold Chefarzt des Hamburger Hernien Centrums (HHC) und der Abteilung für Hernienchirurgie. Eine Hernie, auch Bruch genannt, ist ein Austritt von Eingeweiden aus der Bauchhöhle.
Davon sind vor allem Männer betroffen: Etwa ein Viertel aller Männer und nur drei Prozent aller Frauen weltweit erkranken im Laufe des Lebens an Leisten- oder Bauchwandbrüchen, heißt es in einer Pressemitteilung des HHC. Eine mögliche Folge, die Darmeinklemmung, kann tödlich enden. Daher bedarf es einer rechtzeitigen Behandlung – in Deutschland meist kein großes Problem.
Paraguay: Unbezahlbare OPs oder fehlende Ausbildung der Chirurgen
Reinpold gilt dabei als international anerkannter Hernien-Spezialist und entwickelte 2009 die Operationstechnik „MILOS“ am Wilhelmsburger Krankenhaus Groß-Sand. Die Bezeichnung steht für „Mini- or Less Open Sublay Operation“ und ist eine minimalinvasive Methode, die bei Bauchwand- und Narbenbrüchen zur Verwendung kommt. Dieses Verfahren habe sich jedoch nicht in jedem Land durchgesetzt: Oft fehle es am nötigen Fachwissen der Chirurgen, wie das HHC berichtet. Wenn es überhaupt eine Klinik in der Nähe gibt. Dazu komme, dass notwendige OP-Mittel von den Patienten teils selbst bezhalt werden müssen. Was wie ein Albtraum klingt, ist in armen Ländern wie Paraguay Realität.
Leistenbrüche sind in Paraguay keine Seltenheit – und für ärmere Familien oft fatal
In einer solchen Realität findet sich Derlis Hernandez aus Santa Rosa de Aguaray wieder. Sein Wohnbezirk liegt im Osten Paraguays und zählt rund 44.000 Einwohner (Stand: 2020). Mit seiner Frau und sechs Kindern lebt er dort von der Landwirtschaft. Die körperliche Arbeit ist notwendig, um im drittärmsten Land Südamerikas über die Runden zu kommen. Eine Auszeit scheint undenkbar – auch im Falle einer Krankheit. Umso größer sei die wirtschaftliche Not gewesen, als sich Hernandez einen Leistenbruch zuzog, so das HHC. Der 53-jährige Familienvater fiel zwei Jahre aus, habe an starken Schmerzen und einer „handballgroßen Hernie“ gelitten.
100 US-Dollar für OP-Material – in Paraguay oft „unbezahlbar“
Die Wege von Reinpold und Hernandez kreuzten sich, als der Harburger Chefarzt Ende 2023 seine Hernienmission erneut nach Paraguay antrat. Denn trotz des staatlichen Gesundheitssystems mangelt es dem HHC zufolge in abgelegenen ländlichen Regionen an medizinischer Versorgung – und am nötigen Geld der Patienten, wie Reinpold betont: „Die unverzichtbaren Herniennetze kosten in Paraguay etwa 100 US-Dollar – das ist für einen Großteil der ländlichen Bevölkerung unbezahlbar.“
Straffes Programm für den Harburger Mediziner: Vier Tage, 55 Patienten, 78 Hernien
Auch für Hernandez war diese Summe zu groß. Dementsprechend schlecht sei der Gesundheitszustand des Familienvaters gewesen, an die landwirtschaftliche Arbeit war nicht mehr zu denken: „Als wir ihn untersuchten, war der Bruch bereits eingeklemmt – ein Notfall, der sofort operiert werden musste.“ Und diese Operation sollte sich lohnen. Heute kann Hernandez wieder arbeiten, er habe sein „Leben zurückerhalten“, wie er selbst sagt.
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Nach Angaben des HHC kooperierte der Harburger Chefarzt dabei mit dem paraguayischen Hernienspezialsten Prof. Dr. Osmar Cuenca Torres. Das Duo habe innerhalb von vier Tagen 55 bedürftige Menschen an insgesamt 78 Hernien kostenlos operiert. Medizinprodukte habe man mit Spendengeldern aus dem Raum Hamburg finanziert, zwei Firmen aus Nordrhein-Westfalen spendeten weiteres Material. Viele paraguayische Patienten konnten folglich in ihren Arbeitsalltag zurückkehren, da auch nach der OP keine Komplikationen aufgetreten seien. Dies gelte ebenso für die 15 Fälle, in denen der Darm eingeklemmt oder teils durchblutungsgestört gewesen sei.
Harburger Arzt: Projekt soll nachhaltig wirken und die Situation vor Ort verbessern
Während der Operationen waren Reinpold und sein Kollege jedoch nicht allein: Junge einheimische Chirurgen sowie Operationspfleger begleiteten sie – aus gutem Grund. Ziel der Hernienmissionen sei es, möglichst nachhaltig zu wirken und Nachwuchs gezielt zu schulen, so die HHC. Hilfe zur Selbsthilfe also. Neben einem Tagesworkshop standen daher verschiedene Operationstechniken, darunter auch die MILOS-Methode, auf dem Programm. Und der Besuch der paraguayischen Gesundheitsministerin Maria Teresa Barán Wasilchuck, die sich für das Engagement persönlich bedankte.