Wilhelmsburg. Bei der Auszeichnung der Wilhelmsburger Zinnwerke mit dem „Max-Brauer-Preis“ kam Hoffnung für ein Comeback des Markts am Veringhof auf.

  • Zinnwerke erhalten wichtigen Bürgerpreis für kreatives Engagement im Stadtteil Wilhelmsburg
  • Mit dem „Max-Brauer-Preis“ fließt eine beträchtliche Geldsumme in die Kasse der Initiative
  • Und: Das ausgebremste Kulturmarkt-ProjektFlohzinn“ könnte bald wieder jeden Monat stattfinden

Es kommt nicht häufig vor, dass im ehrwürdigen Leo-Lippmann-Saal der Hamburger Finanzbehörde Fahrräder geflickt, Brote geschmiert und Kräuterschnäpse gekümmelt werden und dazu auch noch ein zotteliger DJ feinsten Soul auflegt. Aber wenn die Wilhelmsburger Zinnwerke schonmal mit einem der wichtigsten Bürgerpreise der Hansestadt ausgezeichnet werden, wollen sie auch zeigen, wofür und geben auch gleich einen aus.

„Max-Brauer-Preis“ ist die zweit-gewichtigste Auszeichnung, die die Stadtgesellschaft vergibt

Der „Max-Brauer-Preis“ der Alfred-Toepfer-Stiftung ist nach der „Medaille für Treue Arbeit im Dienste des Volks“ des Hamburger Senats und neben dem „Bürgerpreis“ der Hamburger CDU die zweit-gewichtigste Auszeichnung, die die Stadtgesellschaft vergibt, und die, für die man sich am meisten kaufen kann. 2023 ging der Preis an die Wilhelmsburger Zinnwerke. Die freuen sich nicht nur über die Anerkennung und die 22.000 Euro Preisgeld, sondern auch über Zusagen aus der Politik, dass ihre weitere Arbeit unterstützt wird. Danach sah es nicht immer aus.

Auch ebenso nachhaltiges wie schmackhaftes Catering kommt aus den Zinnwerken und wurde bei der Preisverleihung präsentiert.
Auch ebenso nachhaltiges wie schmackhaftes Catering kommt aus den Zinnwerken und wurde bei der Preisverleihung präsentiert. © HA | Lars Hansen

Gleich mehrmals war das zarte Wildgewächs „Zinnwerke“, das aus der Eigeninitiative seiner Nutzer entstanden war, vom Aus bedroht: Schon 2013, da war der Kulturbetrieb in den Zinnwerken gerade mal zwei Jahre alt, sollte der Fundus der Staatsoper auf dem Grundstück einen Neubau erhalten und kurz danach gierte die behördengelenkte „Hamburg Kreativgesellschaft“ nach den Hallen und Büros. Beides konnten die Zinnwerker verhindern. Zuletzt gab es Ärger wegen des monatlichen Kulturmarktplatzes „Flohzinn“. Für diesen Konflikt versprach Mitte-Bezirksamtsleiter Ralf Neubauer am Abend der Preisverleihung Entgegenkommen.

Neben den eigenen Projekten der Mieter ergaben sich Synergien und gemeinsame Projekte

Als Marco Antonio Reyes Loredo 2011 das erste Mal den Schlüssel zu den seit 1962 nicht mehr genutzten Hallen am Veringkanal umdrehte, ahnte er bestimmt nicht, dass er nur ein Dutzend Jahre später dafür hoch geehrt werden würde. Er brauchte Platz für seine Firma „Hirn und Wanst“, die gleichermaßen selbst Filme produzieren und fremde Filmsets bekochen sollte. Loredo hatte von der alten Metallhütte gehört und sich bei der städtischen Sprinkenhof AG danach erkundigt. „Ich war völlig erstaunt, wie schnell ich Mietvertrag und Generalschlüssel hatte“, sagt er.

Bei der Fahrradselbsthilfe
Bei der Fahrradselbsthilfe "Fix und Fertig" in den Zinnwerken gibt des Rat zum Rad und nebenbei Brot und Wein. © HA | Lars Hansen

Weil die ehemalige Zinnhütte relativ riesig ist, holte Loredo sich Mitmieter ins Haus. Kreative und Querköpfe, wie ihn. Und während einerseits alle hier ihre eigenen Projekte und Geschäfte verfolgten – so produzierte Hirn und Wanst hier den viel beachteten Wilhelmsburg-Dokumentarfilm „Die wilde 13“ – ergaben sich nebenbei und zuerst ungeplant Synergien und gemeinsame Projekte abseits ausgetretener Pfade.

Von Theatermensch bis Tätowierer, von Filmemacher bis Fahrradschrauber und von Koch bis Copywriter

Paradebeispiel dafür ist der sommerliche „Ex-Kurs“, bei dem Studierende vieler verschiedener Hochschulen und Fachrichtungen gemeinsam Projekte verwirklichen. So baute man zusammen eine eigene kleine Biogasanlage, perfektionierte sie und in den Corona-Jahren bekochte man damit Wilhelmsburger Kinder, die im Home-Schooling kein Schulessen mehr hatten. Für die Logistik entwickelten die Studenten ein eigenes Groß-Lastenrad.

Die Zinnwerke sind Hort und Heimat für Menschen, Selbstständige, Unternehmen, Aktivisten, NGOs, Künstlerinnen und Künstler, Kreativschaffende und gemeinwohlorientierte Projekte und Initiativen. Derzeit haben hier 80 Menschen ihren Arbeitsplatz als Selbstständige oder in kleinen Firmen und Initiativen. Von Theatermensch bis Tätowierer, von Filmemacher bis Fahrradschrauber und von Koch bis Copywriter ist hier vertreten, was Spaß an der Arbeit hat.

Jury: „Zinnwerke haben aus altem Kasten einen ‚Place to be‘ gemacht!“

„Wir hatten bis jetzt keine Berührungspunkte mit Wilhelmsburg“, sagte Jens Jeep, Vorsitzender des Preis-Kuratoriums der Toepfer-Stiftung, „aber seit wir die Zinnnwerke kennen, wissen wir, dass wir öfter hierher kommen wrden!“. Das muss sich die IBA mal auf der Zunge zergehen lassen.

Marco Antonio Reyes Loredo und Nartha Starke nehmen den Preis stellvertretend entgegen.
Marco Antonio Reyes Loredo und Nartha Starke nehmen den Preis stellvertretend entgegen. © HA | Lars Hansen

„Die Zinnwerke stehen beispielhaft für kreative Stadtteilkultur in Hamburg, die Themen neu- und mitdenkt. Die Kreativen wirken beispielhaft über das alte Fabrikgelände hinaus ins Viertel und in die Stadt. Die Halle sollte abgerissen werden — sie haben das verhindert und aus dem alten Kasten am Kanal einen neuen ‚place to be‘ gemacht“ so Jeep weiter.

Mit der Zukunft haben die Wilhelmsburger Zinnwerke schon begonnen

„Welch eine Ehre! Stellvertretend für all die Zinnis in nah und fern freue ich mich über alle Maße und diese exquisite Auszeichnung“, erwiderte Marco Loredo. „Mit der Gunst Max Brauers im Rücken gelingt es uns bestimmt auch seinen aktuellen Bürgermeisterkollegen davon zu überzeugen, dass die Hamburger Stadtgesellschaft Orte wie die Zinnwerke braucht. Ungeplant und ungeclustert. Die eigene Geschichte im Herzen und den Kopf der Zukunft zugewandt.“

Das renommierte  Bundesjugendballett nutzte die Hallen der Zinnwerke im  Frühjahr für seine Aufführung  „Die wilden Fantastereien des Wolfgang Amadé“
Das renommierte Bundesjugendballett nutzte die Hallen der Zinnwerke im Frühjahr für seine Aufführung  „Die wilden Fantastereien des Wolfgang Amadé“ © Kiran West | Kiran West

Mit der Zukunft haben die Zinnwerke schon neulich begonnen. In der Schublade des Vereins liegt ein Konzept, wie es in den kommenden Jahren weitergehen soll. Die Hallen sind noch immer untergenutzt und müssten saniert werden, damit man darin dauerhaft arbeiten kann. Als ehemalige Metallhüttenmauern sind die Wände beispielsweise so konstruiert, dass sie Wärme schnell entweichen lassen. Ohne Schmelzofen in der Hütte friert man deshalb schnell. Zugleich werden auch mehr Büros gebraucht und nachhaltig soll das alles auch noch sein.

„Einen Teil des Preisgeldes werden wir deshalb in das nächste Forschungsprojekt stecken wollen“, sagt Zinn-Pionierin und Mit-Vereinsvorständin Martha Starke. „Dabei geht es um Pilze als Bau- und Dämmstoff. Wir versprechen uns auch für unsere eigene Sanierung viel davon.“

Der Max-Brauer-Preis der Alfred Toepfer Stiftung wurde geschaffen, um Persönlichkeiten oder Einrichtungen mit besonderen Verdiensten um das kulturelle, wissenschaftliche und geistige Leben Hamburgs auszuzeichnen. Der Preis ware mit 20.000 Euro dotiert, bis Marco Loredo in der Dankesrede einen Scherz über Inflationsausgleiche machte. Dasa Kuratorium nahm das ernst und erhöhte spontan auf 22..000

"Ex-Kurs": Studenten bauen eine Biaogasanlage © HA | Maischa Souaga

Zu guter Letzt: Gute Aussichten für den beliebten Kultur- und Flohmarkt „Flohzinn“

Das Geld ist nicht das einzige, was die Zinnwerker aus dem Abend mitnehmen. Der monatliche Kulturmarkt „Flohzinn“, gleichzeitig Schaufenster und Publikumsmagnet der Zinnwerke, wurde unlängst von Amts wegen ausgebremst und darf nur noch an vier Sonntagen im Jahr stattfinden. Das könnte sich bald wieder ändern.

„Wir haben ja gelernt, was wir an den Zinnwerken haben“, sprach Bezirksamtsleiter Ralf Neubauer für seine Behörde. „Jetzt müssen wir eine kreative Lösung finden, wie der „Flohzinn so gestaltet werden kann, dass die Verordnung ihn nicht betrifft.“