Wilhelmsburg. Summer School der Zinnwerke: Studierende, Schüler und andere probieren sich in der Kreislaufwirtschaft. Das begeistert Umweltsenator.
Eine Biogasanlage mitten in Wilhelmsburg? Es gab Zeiten, da hätte das die Wilhelmsburger auf die Barrikaden gebracht. Jetzt werkeln einige begeistert mit. Zugegeben: Die Anlage ist nur wenige Kubikmeter groß und verschwindet fast ein wenig in der Hof-Ecke der „Zinnwerke“. Aber für gut 25 Studierende, Schüler und einfach so Interessierte ist sie für die kommenden zwei Wochen der Mittelpunkt ihres Tuns: Willkommen bei der dritten „Summer School“ der Zinnwerke. Schirmherr ist Umweltsenator Jens Kerstan. Er kam persönlich zur Eröffnung.
„Letztendlich wollen wir es schaffen, hier ganze Kreisläufe zu verwirklichen“, sagt Mitorganisatorin Martha Starke, von Haus aus Designerin, aber schon immer mit einem starken Hang zur praktischen Seite ihres Berufs ausgestattet, „wir nehmen Küchenabfälle und verarbeiten sie weiter. Am Ende wird Gas daraus, mit dem wir kochen wollen und Dünger, mit dem man weitere Lebensmittel produzieren kann.“
Kerstan: Kreislaufwirtschaft ist ein unterschätzter Klimafaktor
Ob das wie gedacht hinhauen wird, ist so eine Frage: Viele Variablen beeinflussen den Prozess der Biogasherstellung; die Anlage ist noch sehr rudimentär und ohne Möglichkeiten, lenkend einzugreifen. Das wird sich eventuell im Lauf der nächsten zwei Wochen noch ändern. Die Anlage im laufenden Betrieb zu optimieren und daraus Erkenntnisse zu ziehen, gehört zum Prinzip der „Summer School“.
„Die Kreislaufwirtschaft ist ein wichtiger, aber immer unterschätzter Klimafaktor“, sagte Senator Kerstan in seinem Grußwort. „Würde man beispielsweise durch Baustoffrecycling nur die Zementproduktion um 20 Prozent drosseln, hätte man den CO2 Ausstoß des gesamten weltweiten Flugverkehrs ausgeglichen. Aber in der Abfallwirtschaft und im Recycling gibt es noch viele Irrwege und Optimierungsbedarf! Deshalb sind solche Projekte hier gut für die Zukunft.“
Mit Lastenfahrrad werden Lebensmittelabfälle aus der Mensa abgeholt
Die Biogasanlage ist nur ein Teil des zweiwöchigen Wissenscamps. An zwei Tischen zum Beispiel führt die Zinnwerke-Keramikerin Julia Kaiser den Teilnehmern das vom Senator erwähnte Baustoffrecycling in der Praxis vor: In frischen Ton kann man bis zu 40 Prozent anderes mineralisches Material einarbeiten, auch zerkleinerten Bauschutt. Weil bim Gas gerade nichts zu tun ist sind alle Teilnehmer mit Eifer hier dabei. Die Hälfte zertrümmert mit Kraft und Spaß Steine, die anderen probieren sich darin, den Steingrieß in grauen Ton einzukneten. Am Ende sollen Schalen daraus entstehen.
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Auch die Biogasproduktion hat noch ihre Nebenprojekte: Zum Beispiel das Lastenfahrrad, mit dem Studentin Stephanie die Lebensmittelabfälle aus der Mensa des Berufsschulzentrums an der Dratelnstraße abholt. Es ist quasi ihr Meisterstück. Sie hat es für ihre Magisterarbeit an der TUHH konstruiert und schreibt darüber, wie sich Lastenfahrräder im städtischen Umfeld als Abfalltransportmittel einsetzen lassen.
Dreimal pro Woche wird Stephanie mit dem Fahrrad zirka 15 Kilo Küchenabfälle aus der Berufsschule holen. Die werden dann im ersten Teil der Anlage geschreddert und dann in kleinen Teilen in den ersten Reaktor gefüttert: den Hydrolysebehälter. In dem ehemaligen Baustellen-Wasserbehälter arbeiten Bakterien daran, alle festen Stoffe zu verflüssigen. Ist das geschehen, wird die nährstoffreiche Flüssigkeit aus diesem Reaktor in den nächsten, die Methangasgenese, geleitet. Auch hier sind Bakterien beschäftigt. Sie wandeln die vielfältigen Kohlenwasserstoffe aus der Flüssigkeit in einen sehr einfachen um CH4, auch Methan oder Faulgas genannt. Einige Kohlehydrate behalten die Mikroben.
Mitarbeiter an der TU Hamburg in Harburg sind dabei
Am ersten Tag sind die Faulbakterien träge. Es ist kalt. „Am besten funktioniert der Prozess bei Temperaturen um 35 Grad“, sagt Steffen Walk, wissenschaftlicher Mitarbeiter an der Technischen Universität Hamburg in Harburg, „jetzt, bei etwa 20 Grad haben wir kaum Aktivität.“
Die Anlage bei Bedarf temperieren zu können, könnte ein Ziel der Teilnehmer sein. Auf alle Fälle müssen sie sich noch etwas einfallen lassen, um das anfallende Methan zu speichern. Dafür haben sie eine grobe Idee, aber bis zur Lösung müssen sie noch tüfteln. Etwas Platz brauchen sie schon: Ein Kilo Küchenabfall ergibt 100 Liter Methangas.
Neuteile zu verbauen, ist dabei verpönt: „Schon die Anlage selbst ist ein Recyclingprodukt“, sagt Martha Starke, „das Holz für die Rahmenkonstruktion haben wir bei einem Hallenabbruch geerntet und auch die Behälter und Leitungen waren vorher bereits im anderweitigen Gebrauch.“Damit ist der Nachhaltigkeit aber nicht genug: Nach den zwei Wochen Summer School soll die kleine Biogasanlage nicht etwa auf dem Müllhaufen der Wissenschaftsgeschichte landen. „Die Stadtteilschule Wilhelmsburg möchte die Anlage dann weiter betreuen, um daraus zu lernen, wie sie ihre eigene Mensa mit einer eigenen Anlage ausstatten können.