Harburg. Süßes oder Saures? Harburger bedrohte kleinen Jungen an Haustür. Zum Prozess bringt er rosa Badelatschen und Messer mit
Vor dem Amtsgericht Harburg musste sich am Dienstagvormittag Anders L. wegen Nötigung und Sachbeschädigung verantworten. Dem 48-jährigen Angeklagten wurde vorgeworfen, am Halloweenabend 2022 am Kapellenweg in Wilstorf einen damals Neunjährigen mit einem Messer bedroht und verfolgt zu haben. Später, so die Anklage, hätte er dem Jungen seinen Stoffbeutel in Form eines Kürbisses entrissen und diesen zerschnitten. L. wandte sich gegen einen Strafbefehl mit einer Geldstrafe von 50 Tagessätzen.
Badelatschen im Korb – unheimliches Verhalten auf der Anklagebank
Dass Angeklagte sich hinter Aktenordnern verstecken ist zu Prozessbeginn mittlerweile Routine, doch Anders L. trug einen Schal über der Nase, dazu eine Schiebermütze und grau-schwarze Handschuhe. Außerdem hatte er bei seinem Auftritt vor Gericht einen Korb bei sich, den er mit allerhand „Beweismitteln“ gefüllt hatte – und der ihm letztlich zum Verhängnis wurde.
Einen Rechtsanwalt hatte sich L. nicht besorgt. Er verteidigte sich selbst. Auf der Anklagebank beteuerte L. seine Unschuld. Am Halloweenabend habe er das Zweiparteienhaus, in dem er lebt, nicht verlassen. Er habe weder ein Messer bei sich getragen, noch habe er damit einen Jungen verfolgt. Nach einigen Spaziergängen am Tag hätte er sich bereits seiner Kleidung entledigt gehabt und nur noch im Bademantel ferngeschaut, als zu seiner Überraschung die Polizei mit Taschenlampen durchs Fenster seines Computerraums leuchtete und klopfte.
Sein Vater könne dies bestätigen, beteuerte der Angeklagte mehrfach, auf wiederholtes Klingeln von Kindern habe man nicht reagiert. „Halloween feiern wir seit Jahren nicht mehr, das ist uns mittlerweile zu gewalttätig“, so der arbeitslose Sozialpädagoge und Erzieher. Früher sei dies anders gewesen, da habe man Schokolade für die Kinder bereitgestellt. Aber in den letzten Jahren sei immer wieder die Haustür seines Elternhauses, in dem er aktuell lebe, mit Rasierschaum verunziert und mit Eiern beworfen worden.
Während der gesamten Verhandlung trug L. seinen Schal über der Nase, zog ihn immer mal wieder hoch und runter. Die Handschuhe legte er während des gesamten Prozesses nicht ab. Der Angeklagte hinterließ bei Prozessbeobachtern einen leicht verwirrten Eindruck, dem sich auch das Gericht offenbar nicht entziehen konnte, wie mehrfache Fragen nach dem Verhalten des Angeklagten vermuten lassen.
Festnahme im Bademantel und in rosa Puschen
Während seiner Vernehmung zeigte er dem Gericht seinen Bademantel und die rosa Gummischuhe, die er trug, als die Polizei ihn vor der Wohnungstür festnahm und zur Wache brachte. Sonst habe er bei winterlichen Temperaturen nichts angehabt und sei unter dem Bademantel vollkommen nackt gewesen, sagt er. Außerdem brachte er in seinem Korb, gegen die Vorschrift, zum Gerichtstermin eine Sammlung der häuslichen Küchenmesser mit. Eines davon ähnelte der sichergestellten mutmaßlichen Tatwaffe sehr.
Die Mutter des heute zehnjährigen Jermain schilderte die Tat. Der geistig eingeschränkte Junge habe an der Tür des Wohnhauses geklingelt. Sie selbst habe einige Meter entfernt gestanden, als sie plötzlich Angstschreie ihres Sohnes vernahm. „Süßes oder Saures“, ächzte die Stimme eines Mannes demnach dem Jungen hinterher, der bereits flüchtete. Hinter ihm ein Mann mit einem Messer auf Schulterhöhe – der immer wieder abwärtsführende Stichbewegungen gemacht und den Jungen verfolgt habe.
Bis heute leidet der Junge unter dem traumatischen Eindrücken
Nach rund 50 Metern habe er den Jungen eingeholt und ihm den Süßigkeiten-Sammelkorb entrissen. Dann kam die Mutter hinzu und beschützte ihren Jungen. Um den Sammelkorb habe es ein kurzes Gerangel gegeben, da habe der Angeklagte das Messer endlich runtergenommen. Ob der Angeklagte das Körbchen zerschnitt oder es bei dem Versuch, es wiederzuerlangen, kaputt ging, daran konnte sich die Mutter Bianca S. im Zeugenstand nicht erinnern.
Bis heute leidet der Junge unter dem traumatischen Eindrücken – er habe Alpträume, könne nicht im Dunklen schlafen und beim Spaziergang könne er nicht an dem Wohnhaus des Angeklagten vorbeigehen, schilderte die Mutter. „Der Junge müsste eigentlich in eine Therapie“, so Bianca S., die den Mann trotz Schals eindeutig wieder erkannte. Und auch den Bademantel vom Tatabend, der kurz vorher dem Gericht präsentiert wurde, wurde durch sie eindeutig beschreiben.
Vom Angeklagten kam kein Wort des Bedauerns oder der Anteilnahme
Vom Angeklagten kam kein Wort des Bedauerns oder der Anteilnahme am Schicksal des Jungen. Denn das eigentliche Opfer sei er, der Angeklagte selbst, beteuerte er immer wieder. Die Polizei habe ihn immerhin fast nackt auf die kalten Fliesen vor der Haustür gelegt und ihn dann an einer Hauswand abgetastet, bevor er die Handschellen angelegt bekam.
Von etwa 18 Uhr bis etwa 23 Uhr habe er dann auf der Wache eingesperrt sitzen und später in seinem Bademantel und rosa Gummilatschen den Heimweg antreten müssen, so der Angeklagte. Zur Inszenierung passte auch die Aussage seines Vaters. Auch er beschwerte sich über die Härte, mit der die Polizisten vorgegangen waren, als sie seinen Sohn verhafteten.
Polizistin als Zeugin verteidigte das Vorgehen der Einsatzkräfte
Eine Anzeige gegen die beteiligten Polizisten sei bisher nicht weiterverfolgt worden. Eine Polizistin als Zeugin verteidigte das Vorgehen der Einsatzkräfte, es habe eine Bedrohung im Raum gestanden – und der Mann hätte beim Eintreffen der Polizei das Küchenmesser mit immerhin rund 20 Zentimetern Klingenlänge noch in der Hand gehalten. Dies sei durch ein großes Wohnzimmerfenster gut sichtbar gewesen, sagte auch die Mutter des Jungen aus, auf dessen Vernehmung man mit Rücksicht auf die Traumatisierung verzichtete.
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Eine Verwechslung sei ausgeschlossen, so der Staatsanwalt in seinem Plädoyer. Den Vorwurf der Sachbeschädigung ließ das Gericht auf Antrag der Staatsanwaltschaft fallen, weil nicht sicher geklärt werden konnte, ob es wirklich der Angeklagte war, der die Kürbistasche zerstörte. „Die Zeugin sei absolut glaubwürdig, sie habe keinerlei Belastungstendenz erkennen lassen“, führte der Staatsanwalt aus. Da der Angeklagte aber dem Strafbefehl widersprochen hatte und somit ein Schuld- und Sühneeingeständnis nicht gegeben sei, bleibt er wegen der Nötigung, bei seiner Forderung nach 50 Tagessätzen je 10 Euro. Der Angeklagte selbst verzichtete auf das letzte Wort, er habe schon bei seiner Vernehmung alles gesagt.
Urteil am Ende über der Forderung der Staatsanwaltschaft
Dass Anders L. den Jungen mit dem Messer bedroht und verfolgt hat, davon ist auch die zuständige Amtsrichterin überzeugt. Sie verurteilte den Angeklagten wegen Nötigung zu 90 Tagessätzen von jeweils 10 Euro. Anders L., der nach eigener Aussage von seinen Ersparnissen lebt, könne die Gesamtgeldstrafe von 900 Euro in monatlichen Raten von 70 Euro abzahlen. Sie begründet die höhere Strafe damit, dass der Junge bis heute und vielleicht sein Leben lang unter dem Angriff leidet. Er und seine Mütter müssten mit den Folgen leben und ihre alltäglichen Wege ändern.