Harburg. Der schwedische Spezialölkonzern kam vor sechs Jahren als Retter. Jetzt soll höchstens die Hälfte der 260 Arbeiter bleiben.
Für die Mitarbeiter der Nynas-Raffinerie auf der Hohen Schaar und im Harburger Seehafen waren es bittere Nachrichten. Bei einer Betriebsversammlung teilte die Werksleitung mit, dass die seit Monaten brachliegende Produktion nicht wieder aufgenommen wird.
Der schwedische Mutterkonzern möchte die ehemalige Raffinerie nur noch als Tanklager nutzen. Das bedeutet, dass von den 260 Mitarbeitern ungefähr die Hälfte gehen muss, teilt Nynas mit, die Gewerkschaft IGBCE fürchtet, dass der Stellenabbau noch größer ausfällt.
Nynas stellt Bitumen und naphtenische Spezialöle her
Nynas hatte die ehemalige Vollraffinerie der Shell auf der Hohen Schaar im Winter 2015/16 übernommen. Schon damals waren mehrere Hundert Arbeitsplätze abgebaut worden. Nynas stellt hier kein Benzin her, sondern Bitumen und naphtenische Spezialöle, die als Basis, Beimischung oder Betriebsmittel in der Industrie verwendet werden.
Naphtenische Öle isolieren in Trafos, kühlen und schmieren mechanische Metallbearbeitungsgeräte, befinden sich in der Druckerschwärze von Zeitungen oder machen Gummi geschmeidig. Auch Kunststoffe lassen sich daraus herstellen.
Nynas: Shell betreibt dort weiter Forschungslabor und Kraftstofflogistik
So wertvoll sie für ihre Käufer auch sind, sind naphtenische Öle in der Produktion weniger aufwendig als Kraftstoffe. Diverse Anlagenteile, wie Reaktoren und Kolonnen, die bei Shell noch unverzichtbar waren, waren in der neuen Produktion überflüssig und wurden abgebaut. Von 550 Mitarbeitern blieben damals 260 bei Nynas und noch einmal 40 bei Shell. Shell betreibt am Standort weiterhin ein Forschungslabor und Kraftstofflogistik.
Schon kurz nach der Übernahme der Raffinerie war Nynas wegen des US-Embargos gegen venezolanisches Öl und daraus entstandener Produkte in Schieflage geraten – der Konzern bezog sein Rohöl lange aus Venezuela, der venezolanische Staatsölkonzern hatte eine Minderheitsbeteiligung. Diese Krise war laut Nynas aber überwunden, venezolanisches Öl wurde nicht mehr verarbeitet. Zwischenzeitlich stand Nynas eine Insolvenz in Eigenverwaltung durch.
Die Anlagen der Raffinerie im Harburger Seehafen stehen seit Monaten still
„Die venezolanischen Anteile sind damals durch einen schwedischen Rentenfonds erworben worden“, erinnert sich Dennis Bornholdt, bei der IGBCE der für Nynas zuständige Gewerkschaftssekretär. „Danach kamen weitere Investoren. Die Belegschaft und die Gewerkschaften hatten es oft schwer, von der Konzernleitung klare Aussagen über die Zukunft der Standorte zu erhalten.“
Anfang 2022 hätte es laut Bornholdt aus der Zentrale im schwedischen Nynashamn geheißen, man wolle sich auf Kernmärkte konzentrieren: Naphtenische Öle nur noch in Europa verkaufen und Bitumen nur noch nach Großbritannien und in die USA. Bitumen stellt Nynas im Harburger „Werk Süd“ an der Seehafenstraße her – vielmehr stellte her, denn die Anlagen stehen seit Monaten still.
„Dass Nynas mit den naphtenischen Ölen auf die Märkte in Amerika und Asien verzichten möchte, hat bei mir schon die Alarmglocken schrillen lassen“, sagt Chemiegewerkschafter Bornholdt. „Nynas hat drei Raffinerien. Die wären ohne die Überseemärkte niemals ausgelastet. Und das Stammwerk in Nynashamn würde auf alle Fälle bleiben.“
Die Mitarbeiter halten die Anlagen im Standby-Betrieb
Bereits seit Mai wird in der Raffinerie nicht mehr produziert. Die Mitarbeiter kommen noch zur Schicht und halten die Anlagen im Standby-Betrieb. Im Bitumen-Werk geht das schon einige Monate länger so. Der Grund für das Herunterfahren ist nicht nur eine schwierige Rohstofflage.
Außer auf venezolanisches Öl wird aktuell auch auf russisches Öl verzichtet, freiwillig, wie es von Nynas heißt. „Die exorbitant gestiegenen Energiekosten haben einen wirtschaftlichen Betrieb der Raffinerie-Anlagen weiter erschwert“, sagt der Kommunikationsbeauftragte von Nynas, Pietro Nuvoloni.
Der Standby-Betrieb verursacht Kosten. Einige Monate lang trug der Konzern diese, während nach einer Möglichkeit gesucht wurde, die Anlagen im Auftrag anderer Hamburger Ölfirmen produzieren zu lassen. Mit einer war man sich fast einig, nur war die Auftragsmenge zu gering. Mit der Nutzung als Tanklager will Nynas laut Nuvoloni die Hälfte der jetzigen Belegschaft halten. Dabei wird auch darauf spekuliert, dass der Osten Deutschlands in Zukunft statt über eigene Raffinerien verstärkt über den Hamburger Hafen mit Kraftstoffen versorgt werden muss.
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Nynas: Erste Kündigungen im Februar
Dennis Bornholdt von der IGBCE fürchtet mehr Entlassungen, als „nur“ die Hälfte der Belegschaft: „Nach unserer Erfahrung werden für so ein Tanklager nur etwa 50 Mitarbeiter benötigt“, sagt er.
Im Februar sollen Kündigungen ausgesprochen werden. Damit das geschehen kann, muss der Konzern mit dem Betriebsrat einen Sozialplan aushandeln. „Betriebsrat und Gewerkschaft werden hart verhandeln – und die Hoffnung nicht aufgeben, dass wieder produziert werden kann. Die Anlagen werden unseres Wissens nach nämlich nicht abgebaut!“