Harburg. Die Standsicherheit des maroden Turms an der Bremer Straße ist nur bis zum Herbst gewährleistet. Doch es gibt Probleme mit dem Gerüst.

Noch immer steht der baufällige Kirchturm von St. Johannis an der Bremer Straße. Eigentlich sollte er seit Mitte Juli abgerissen werden. Doch nicht nur die Statik des Turms ist kritisch, auch die des geplanten Baugerüsts fiel im ersten Anlauf durch die Prüfung. Nun läuft allmählich die Zeit davon: Bis zu den ersten Herbststürmen sollte der Turm mindestens zehn Meter niedriger sein.

„Wir warten und warten“, fasst Pastorin Sabine Kaiser-Reis die augenblickliche Situation zusammen. Bereits Anfang Juli war das Gemeindebüro wegen der anstehenden Abrissarbeiten umgezogen. Es befindet sich jetzt an der Lutherkirche in Eißendorf. Auch sie gehört zur Kirchengemeinde Harburg-Mitte. Ebenso wie St. Paulus in Heimfeld und die im Verkauf befindliche Dreifaltigkeitskirche an der Neuen Straße. Im Juli wurden auch ein Bauzaun und ein Dixi-Klo aufgestellt – passiert ist seitdem nichts weiter.

Der Gerüstaufbau an der Harburger Kirche ist anspruchsvoll

„Der Gerüstaufbau ist anspruchsvoll“, sagt die Pastorin und Vorsitzende des Kirchengemeinderates. „Das Gerüst muss eingehaust werden um sicherzustellen, dass beim Abriss keine Betonbrocken unkontrolliert herunterfallen können.“ Schließlich sind in den Gemeindegebäuden und an der Bremer Straße viele Menschen unterwegs. Kurz vor den Sommerferien verlangte der mit der Prüfung beauftragte Gutachter Nachbesserungen bei der Planung des Gerüsts. Diese sind inzwischen abgearbeitet, der Prüfer am Montag aus dem Urlaub zurückgekehrt. Bis gestern hat Kaiser-Reis jedoch keine Meldung erhalten, dass der Gerüstbau grünes Licht erhalten hat.

Pastorin Sabine Kaiser-Reis von der Kirchengemeinde Harburg kämpfte um den 1952 erbauten Kirchturm von St. Johannis. Nun muss er endgültig abgerissen werden. 
Pastorin Sabine Kaiser-Reis von der Kirchengemeinde Harburg kämpfte um den 1952 erbauten Kirchturm von St. Johannis. Nun muss er endgültig abgerissen werden.  © Hillmer/HA | Angelika Hillmer

Schon jetzt steht der Abriss unter Zeitdruck. Allein der Gerüstbau wird drei Wochen beanspruchen. Der Abbau des Turms kann technisch nur per Hand erfolgen. Im ersten Bauzeitplan (Sabine Kaiser-Reis wartet gerade auf den dritten) waren für die Abbrucharbeiten vier Monate vorgesehen. Damit werden die Arbeiten bestenfalls – wenn das Gerüst Mitte September steht – im Januar abgeschlossen.

Turm war 1952 an der Grenze des technisch Machbaren gebaut worden

Der Turm war 1952 an der Grenze des technisch Machbaren konstruiert und gebaut worden. Heute würde er so nicht mehr genehmigt werden. Nach 70 Jahren ist er am Ende seiner Standzeit: Im September 2021 hatte ein Statiker bei der routinemäßigen Überprüfung des Bauwerks festgestellt, dass die Standfestigkeit nur noch bis Herbst 2022 gewährleistet sei. „Vor den ersten Herbststürmen müssen zumindest die ersten zehn Meter abgetragen sein. Dann ist die Windlast nicht mehr so dramatisch; die Standsicherheit wäre gegeben“, sagt Kaiser-Reis. Insgesamt müssen gut 30 Meter abgetragen werden. Bleibt es bei der veranschlagten viermonatigen Abrisszeit, wären die ersten zehn Meter nach gut einem Monat geschafft. Bestenfalls also Mitte/Ende Oktober.

Zwei Jahre lang hatten die Gemeinde, der Kirchenkreis Ost, der Harburger CDU-Politiker Ralf-Dieter Fischer und das Denkmalschutzamt darum gekämpft, den schadhaften Stahlbeton-Turm zu erhalten. Zunächst waren dafür 1,5 Millionen Euro veranschlagt – eine Summe, die die Gemeinde nicht tragen kann. Fischer hatte sich dafür eingesetzt, dass der Bund aus seinem Kulturetat die Hälfte der Instandsetzungskosten übernimmt. Die andere Hälfte wollte die Stadt Hamburg zahlen. Die Kirchengemeinde hätte die Wartung und die bereits absehbare nächste Sanierung in rund 15 Jahren übernehmen müssen. Um diese nächste Instandsetzung bezahlen zu können, hätte die Gemeinde – Stand 2020 – jährlich rund 30.000 Euro aus dem Haushalt in eine Turm-Rücklage stecken müssen.

Kredit aus dem Baumittelfonds des Kirchenkreises

Während der Corona-Zeit und angesichts des Ukraine-Krieges stiegen die kalkulierten Kosten noch einmal deutlich. Es blieb nur noch der Abriss. Der wird für die Gemeinde nun mehr als 500.000 Euro kosten. „Für den Abriss gibt uns niemand Geld“, sagt die Pastorin. Zur Finanzierung der Arbeiten dient zunächst ein Kredit aus dem Baumittelfonds des Kirchenkreises Ost. Später soll das Darlehen mit dem Erlös aus dem bevorstehenden Verkauf der Dreifaltigkeitskirche getilgt werden. Investor Lukas von Lüdinghausen plant, an der Neuen Straße eine Kita und eine Kinderbibliothek einzurichten. Noch liegt keine Baugenehmigung vor. Erst wenn das Projekt vom Bezirk abgenickt ist, wird der Verkauf vollzogen.

Die Entscheidung zum Abbruch des Turmes von St. Johannis sei ihr und der ganzen Kirchengemeinde extrem schwergefallen, sagt die Pastorin: „Der Kirchturm ist ein symbolträchtiges Bauwerk für Harburg und ein deutlicher Hinweis auf eine Kirche. Er ist, wie das gesamte Ensemble mit Kirche und Pastoraten, denkmalgeschützt und stellt eine architektonische Besonderheit dar. Denkmalschutz ist uns ein hohes Gut.“

In einigen Monaten wird der Kirchturm aus dem Stadtbild verschwunden sein

In einigen Monaten wird der markante Kirchturm nun aus dem Stadtbild verschwunden sein. Sein Sockel wird bleiben, denn er steht innerhalb des Gemeindehauses. Mit einem Meter wird der Turmstumpf später über das Gebäudedach herausragen. Kaiser-Reis versichert: „Wir sind entschlossen, den Standort St. Johannis – das Kirchenschiff mit seiner außerordentlichen Architektur sowie die Gemeinderäume und vor allem das gemeindliche Leben darin – zu erhalten.“

Ob St. Johannis jemals einen neuen Turm bekommt, steht dagegen in den Sternen. Sabine Kaiser-Reis hofft auf einen neuen Glockenturm, sagt aber auch: „Jetzt werden wir uns erst einmal an die neue Situation gewöhnen müssen.“