Harburg. Hamburger Süden ist abgehängt. Eine alte Idee wird durch die Zustände nach dem Brand an der Station Elbbrücken wieder aktuell.
Ab 2028 soll auf dem „Harburger Ast“ des S-Bahn-Netzes im Drei-Minuten-Takt gefahren werden, verspricht die S-Bahn-Hamburg-AG. Derzeit kann sie allerdings nicht einmal den fahrplanmäßigen Fünf-Minuten-Takt anbieten. Noch mindestens bis Anfang der kommenden Woche dauern die Untersuchungen an der durch einen Lkw-Brand beschädigten Überführung der Bahn über die Zweibrückenstraße am Bahnhof Elbbrücken – und ob die Untersuchung ergibt, dass dann der Regelbetrieb wieder aufgenommen werden kann, ist völlig offen. Eventuell müssen auch langwierige Reparaturen ausgeführt werden.
Der Vorfall mit schweren Folgen stößt erneut eine Diskussion an, die im Hamburger Süden immer wieder geführt wird: Sollte Hamburg eine zweite Elbquerung für die Bahn bauen? Und wenn ja, wo? Würde es reichen, die seit 94 Jahren versprochene U-Bahn-Linie über die Elbe zu verwirklichen? Reichen vielleicht zwei zusätzliche Fernbahngleise parallel zu den jetzigen Elbbrücken? Oder sollte eine zweite Elbquerung lieber im Westen erfolgen und nach Altona zum neuen Bahnhof Diebsteich führen?
160.000 Menschen pendeln täglich mit der Bahn über die Elbe
Die Entscheidung, das Auto stehen zu lassen, macht die S-Bahn den Menschen selten leicht: Jetzt ist es die Sperrung aufgrund des Lkw-Brandes unter der Brücke, vor vier Wochen eine Bombenentschärfung und nicht einmal an dem Wochenende, wo die Sperrung des Autobahn-Elbtunnels Autofahren in Hamburg zur Qual machte, konnte die S-Bahn punkten, sondern musste vier Stunden den Hauptbahnhof sperren, weil Menschen ins Gleis gelaufen waren. Personen im Gleis und Signalstörungen sind nahezu an der Tagesordnung. 160.000 Menschen pendeln trotzdem täglich mit der Bahn über die Elbe – oder versuchen es.
„Die die ein Auto haben, können dies bei einer Störung nutzen. Viele haben diese Alternative nicht und nehmen sich vorsichtshalber sehr viel mehr Zeit für den Arbeitsweg, als sie benötigen sollten“, sagt der Wilhelmsburger Bundestagsabgeordnete Metin Hakverdi (SPD). „Andere kommen zu spät oder gar nicht zur Arbeit. Leistungsdefizite der Bahn werden so Einzelnen oder der Volkswirtschaft aufgebürdet.“
Hakverdi fordert seit geraumer Zeit gemeinsam mit dem Verkehrsexperten der Harburger SPD, Frank Wiesner, einen Bahn-Elbtunnel zwischen Altenwerder und Altona, der sowohl Fernzüge als auch S-Bahn unter dem Strom hindurchführt. Die S-Bahn könnte so in einem Ringverkehr fahren. „Wir sprechen im Straßenbau immer wieder von redundanten Systemen, in denen eine Straße bei Störungen die Last der anderen aufnehmen kann.“, sagt Verkehrsplaner Wiesner.
Was passiert bei einem wirklich kapitalen Schaden?
„Zu dieser Denkweise müssen wir auch beim S-Bahn-Verkehr vermehrt kommen. In der Hamburger Innenstadt gibt es das bereits mit Citytunnel und Verbindungsbahn.“
Metin Hakverdi weist darauf hin, dass damit nicht nur Hamburg profitieren würde. „Was passiert eigentlich mit Deutschland – nein mit Europa – wenn dieses Nadelöhr Hamburger Elbbrücken die einzige Nord-Süd-Strecke der Bahn bleibt und eines Tages etwas wirklich Schlimmes mit den Brücken oder der Strecke geschieht?“ Das Bundesverkehrsministerium hat eine Machbarkeitsstudie für eine zweite Elbquerung finanziert, die die Technische Universität in Harburg (TUHH) derzeit durchführt. Mit ersten Ergebnissen wird 2023 gerechnet. Viele Verkehrspolitiker, von Bezirk bis Bund wollen die Studie erst einmal abwarten. „Es gibt ja viele Optionen, die Schienenkapazität zu erweitern“, sagt der Grünen-Verkehrspolitiker Michael Sander, Vorsitzender des Mobilitätsausschusses der Harburger Bezirksversammlung. „Ob es der Elbtunnel sein muss, muss sich zeigen.“ Bei der S-Bahn sieht man mittelfristig keine Möglichkeiten für das Projekt: „Im Vordergrund stehen in den nächsten Jahren die Digitalisierung und Modernisierung unseres S-Bahn-Systems und die Einführung der dritten S-Bahn-Linie nach Harburg und Neugraben“, sagt Kay Uwe Arnecke, Geschäftsführer der S-Bahn Hamburg GmbH.
Bahn wäre Auftragnehmer der Politik
Metin Hakverdi will sich mit dieser Position nicht abfinden: „Wir müssen uns jetzt zu dem Projekt bekennen und es planen, damit es irgendwann in der Zukunft verwirklicht wird“, sagt er. „Dies ist ein sehr langwieriges Projekt, aber gerade das darf uns nicht davon abhalten, es jetzt anzuschieben, sonst wird es nie begonnen!“
Von allen Optionen ist der westliche Elbtunnel wahrscheinlich die teuerste. Auch deshalb zögert die Bahn wahrscheinlich. „Wenn aber herauskommt, dass das die beste Lösung ist und wenn das Geld bereitgestellt wird, ist die Bahn letztlich auch nur Auftragnehmer der Politik und muss die Pläne umsetzen“, sagt Michael Sander.