Hamburg. Die 77-Jährige muss sich wegen des Ausstellens falscher Gesundheitszeugnisse verantworten – zum Prozess kommt sie ohne Maske.

Susanne Beate L. ist Ärztin im Ruhestand. 2015 hat sie ihre Praxis in Bramfeld aufgegeben. Doch während der Coronazeit stellte sie Atteste zur Befreiung von der Maskenpflicht in ihrer Privatwohnung aus. Doch hat sie ihre Patienten jemals untersucht? L. wandte sich gegen einen Strafbefehl von 60 Tagessätzen von jeweils 50 Euro. Daher wird der Fall jetzt vor dem Amtsgericht in Harburg verhandelt.

Die schmächtige Frau steht schon 20 Minuten vor Sitzungsbeginn auf dem Flur des Harburger Amtsgerichts. Natürlich ohne Maske, die Befreiung dafür hätte sie von einem Arzt erhalten und sich keineswegs selbst ausgestellt. „Ich bekomme sofort Atemnot“, erzählt Susanne L. vor Prozessbeginn. Im Gerichtsgebäude gilt eigentlich die Pflicht, eine FFP2-Maske zu tragen. Die mittlerweile im Ruhestand befindliche Ärztin (77) ist angeklagt, im September 2020 unrichtige Gesundheitszeugnisse ausgestellt zu haben. Der Prozess beginnt mit einer Überraschung.

Attest ohne echte Untersuchung?

Teile der Anklageschrift der Staatsanwaltschaft sind offenbar nicht haltbar, so heißt es darin unter anderem, die ehemalige praktizierende Medizinerin hätte keine Approbation mehr. Dies ist allerdings nicht der Fall – und auch die angeklagte Tat selbst wurde nicht im September 2021 begangen, sondern bereits im Jahr 2020.

Damals so der Anwalt der Angeklagten, hätten noch deutlich lockere Regeln für ein entsprechendes Attest gegolten. Im Prozess fordert er die Einstellung des Verfahrens, was von der Staatsanwaltschaft wegen des öffentlichen Interesses abgelehnt wird. Die Staatsanwaltschaft wirft der Rentnerin vor ein von ihr gezeichnetes „Ärztliches Attest zur Befreiung von der Maskenpflicht“ ausgestellt zu haben, ohne ihren Patienten Oliver J. jemals untersucht zu haben. Dies solle sie auch bei einer Hausdurchsuchung ein Jahr später, gegenüber den ermittelnden Polizeibeamten, selbst zugegeben haben.

„Querdenken“-Aufkleber an der Wohnungstür

In der Wohnung, an dessen Eingangstür ein „Querdenken“-Aufkleber prangte, waren keinerlei arzttypische Gerätschaften, erläutert der damals eingesetzte Beamte. Patientenakten oder Dokumentationen seien bei der ehemaligen Ärztin auch nicht gefunden worden. Nur Blanko-Formularvordrucke für ärztliche Atteste. Die ehemalige Allgemeinmedizinerin bestreitet nicht, entsprechende Atteste ausgestellt zu haben. Oliver J. hätte unter einer chronischen Sinusitis gelitten, sie habe den Patienten abgetastet und nach einer 30-minütigen Beratung und einem Gespräch über das Befinden des Patienten festgestellt, dass Oliver J. keine Maske tragen kann – und das, obwohl ihm vorher ein Lungenfacharzt eine entsprechende Befreiung von der Maskenpflicht versagt habe.

Eine Dokumentation hätte sie bei diesen einmaligen Besuchen nicht gefertigt. Ihre Patienten seien über eine Website der Querdenker-Bewegung gekommen, sie selbst sei Mitglied bei der Gruppe „Ärzte für Aufklärung.“

„Ich lehne die Maske nicht grundsätzlich ab, aber ich lehne die Maskenpflicht ab“, beteuert die Angeklagte in einem ihrer Statements. Sie hätte den verzweifelten Menschen helfen wollen und kein Geld dafür genommen. Jemals einen Patienten das Attest nicht ausgestellt zu haben, wie der Staatsanwalt fragt, daran kann sie sich nicht erinnern. Bei einem Fortsetzungstermin soll Oliver J. schildern, wie er an das Attest gekommen ist und auf welcher Grundlage es ausgestellt wurde. Der zweite Verhandlungstag ist am 20. April geplant.