Harburg. Bürgerschaftsabgeordnete stellt 35 Strafanträge gegen Hasskommentare auf AfD-Facebook-Seite. Was andere Politiker berichten
„Ich war bislang noch nie Beleidigungen ausgesetzt“, sagt Gudrun Schittek. Die Politikern aus der Region Süderelbe sitzt für die Grünen in der Hamburger Bürgerschaft. Dort hatte sie im Dezember eine Rede gehalten, in der sie der AfD vorwarf, durch die Verharmlosung des Corona-Virus’ und Äußerungen gegen das Impfen mitverantwortlich zu sein, dass die Pandemie so viel Schaden anrichtet. Die AfD-Fraktion verlinkte die Rede auf ihrer Facebook-Seite. Folge: 800 Kommentare. 35 enthielten schwere persönliche Beleidigungen. Schittek will das nicht hinnehmen und stellte jetzt 35 Strafanträge.
„Früher hätte man Hexe zu solch einem Luder gesagt… und man weis was mit Hexen gemacht wurde“, lautete ein Kommentar (Rechtschreibfehler inklusive), „Die alte ist leider Gaga im Kopf“ und „Auch diese Alte wird ihre gerechte Strafe bekommen“ zwei andere. Eine Schreiberin wendet sich direkt an die Grünen-Politikerin: „Ich hoffe, Sie werden an C erkranken und zwar heftig.“ Schittek wehrt sich angesichts der verrohten Umgangsformen in der politischen Auseinandersetzung auch für andere: „Menschen, die sich politisch engagieren, gerade auch Frauen, sollten nicht eingeschüchtert werden.“
Politikerin will Hasskommentare auf Facebook nicht hinnehmen
Unterstützung erhält Schittek, als Ärztin ansässig in Blankenese unter anderem für Gesundheitsthemen zuständig, vom Grünen Kreisverband Harburg. „Wir können und wollen sie damit nicht allein lassen“, sagt Oliver Domzalski vom Vorstand der Harburger Grünen. Parteikollege Kai Ringlau bereitete die Strafanträge vor. Damit sie nicht im Verborgenen bleiben, entschieden die drei Beteiligten, die Anzeigenerstattung symbolisch vor dem Polizeikommissariat 47 am Neugrabener Markt nachzustellen.
Über die Erfolgsaussichten der Strafanträge lasse sich derzeit noch nichts sagen, so das Trio. „Immerhin hat das Verfassungsgericht im Februar geurteilt, dass Renate Künast Hasskommentare auf Facebook nicht hinnehmen und Facebook die Daten von Nutzern herausgeben muss, die sie übelst beleidigt haben“, sagt Schittek. Zum Hamburger Verfahren ergänzt Domzalski: „Jetzt finden Recherchen statt, wer hinter den 35 Kommentaren steckt. Allein das wird sicherlich sechs bis neun Monate in Anspruch nehmen.“
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Eine Umfrage unter Harburger Bezirkspolitikern zeigt, dass solch massiven Anfeindungen ein Einzelfall sind. Zwar gebe es Beschimpfungen, diese richteten sich aber nicht speziell an einzelne Personen, lautete die parteiübergreifende Antwort.
Viktoria Isabell Ehlers, Vorsitzende der FDP-Fraktion in der Harburger Bezirksversammlung, sagt, dass sie ab und an sexistisch belästigt werde: „Ich habe gerade erst eine E-Mail bekommen, in der stand: ,Ich habe Dich auf dem Wochenmarkt gesehen.’ Das ist nicht schön.“ Generell wünsche Sie sich mehr politische Auseinandersetzungen im Netz. Aber die Kritik müsse sachlich sein und dürfe nicht anonym geäußert werden: „Dann kann man darauf eingehen und sich politisch austauschen. Das Problem ist: Das, was Frau Schittek passiert ist, kann jeden treffen. Es hat nichts mit ihrer Person zu tun.“
Das berichten Kommunalpolitiker im Landkreis Harburg
Kollegen aus der Kommunalpolitik im Landkreis Harburg berichten dagegen von persönlichen Auseinandersetzungen. So hat ein Mitglied der Buchholzer SPD ebenfalls Erfahrungen mit Anfeindungen von Seiten der AfD machen müssen: „Es gab zu dieser Zeit häufig sehr unangenehme Situationen in Ausschuss- und Ratssitzungen“, sagt der Politiker, der ungenannt bleiben möchte. Die Sozialdemokraten seien des Öfteren nach Nordkorea gewünscht worden. „Irgendwann habe ich eine Mail mit Anhang erhalten. Darin befand sich der Screenshot einer Website, wo es hieß, mir sollte man Anstand einprügeln und die ,Gefängnisse der Nationalsozialisten’ hätte ich nicht überstanden.“ Davon erfahren hat er von einem Kreistagsmitglied der AfD, das sich von den Äußerungen distanzieren wollte, so der SPD-Politiker. Er habe überlegt, die betreffenden Personen zu verklagen. Im Gegenzug wurde ihm mit einer Verleumdungsklage gedroht.
Christian Horend, Kreistagsabgeordneter der CDU und Ortsbürgermeister von Dibbersen (Buchholz), stellt fest, dass in der Kommunalpolitik der Ton rauer geworden sei und zugleich komplexe Sachverhalte vereinfacht dargestellt werden – „die Leute reden in Absolutheiten“. Er sorgt sich um die Zukunft des Ehrenamts. Gerade junge Menschen überlegten sich zweimal, ob sie den Schritt in die Kommunalpolitik wagen sollen, so Horend: „Für junge Menschen ist es eine große Herausforderung, oft werden sie aufgrund ihres Alters als untauglich hingestellt. Das sollte auf jeden Fall anders laufen.“ Das gelte nicht nur für politische Ehrenämter, sondern zum Beispiel auch für die freiwillige Feuerwehr, der er angehört.
Brenzlige Situationen habe es im Kommunalwahlkampf gegeben
Willy Klingenberg, Abgeordneter der Freien Wähler im Harburger Kreistag und im Gemeinderat von Seevetal, sah sich im Frühjahr 2021 mit nach seiner Sicht falschen Unterstellungen konfrontiert. Er hatte Verständnis für die sogenannten Corona-Andachten in Hittfeld geäußert: „Die Maßnahmen der Regierung sind auf jeden Fall kritikwürdig, und es ist völlig legitim, dagegen zu protestieren. Wegen einer solchen Aussage als rechtsradikal hingestellt zu werden, halte ich für problematisch.“
Thorsten Prenzler, Vorsitzender der AfD Buchholz/Nordheide, sieht vor allem die Zerstörung von Wahlplakaten kritisch. Er betont, dass persönliche Angriffe zwar manchmal hart seien, er dafür aber auch Verständnis aufbringen könne. „Äußerst problematisch“ sei dagegen, wenn Gastwirten damit gedroht werde, „dass ihre Scheiben eingeschlagen werden, sollten sie der AfD ihre Lokal zur Verfügung stellen“.
Vereinzelte brenzlige Situationen habe es im Kommunalwahlkampf im September gegeben, sagt Judith Höfler, Kreisvorsitzende der FDP Harburg Land: „Wenn sich am Stand jemand mit ausgestreckter Brust und verschränkten Armen direkt vor dich hinstellt, dann kann man darauf sicher verzichten.“ Kommunalpolitiker müssen oft für etwas geradestehen, das auf Landes- und Bundesebene falsch gemacht wurde. Höfler: „Dann heißt es: ‚Sie tun nichts für uns’, dabei sind uns die Hände gebunden. Aber ich höre zu und leite Ideen und Kritik gern nach Hannover oder Berlin weiter. Sofern sie sachlich und konstruktiv sind.“