Hamburg. Die Sozialdemokraten werfen dem Koalitionspartner beim Thema Corona-Bekämpfung „Opposition in der Regierung“ vor.

Es gab Zeiten in der seit 2015 bestehenden Koalition von SPD und Grünen im Rathaus, in denen die Vorsitzenden der beiden Regierungsfraktionen für die Lösung der besonders heiklen Fälle zuständig waren und so geradezu zu Stabilitätsankern des Bündnisses wurden. Ob Busbeschleunigungsprogramm oder die Volksinitiativen gegen große Flüchtlingsunterkünfte und für einen „guten Ganztag“ – Andreas Dressel (SPD) und Anjes Tjarks (Grüne) gelang es mehrmals, bürgerlichen Protest durch Kompromisse einzubinden und so in Regierungshandeln zu überführen.

Sehr selbstbewusst formulierten die beiden damaligen Fraktionschefs (und heutigen Senatoren), die sich privat sehr gut verstanden und verstehen, ihren politischen Gestaltungsanspruch und den ihrer Fraktionen gegenüber dem Senat. Der „Troubleshooter“-Einsatz des Duos, das sich nicht nur wegen der Anfangsbuchstaben ihrer beiden Vornamen gern als „A-Team“ bezeichnen ließ, erstreckte sich bisweilen sogar direkt in die Exekutive, also den Senat.

Hamburger Senat: Jasberg setzte Statement zu Impfungen

Als im Mai 2016 Umweltsenator Jens Kerstan (Grüne) und Stadtentwicklungssenatorin Dorothee Stapelfeldt (SPD) wegen des Bündnisses für das Wohnen heftig aneinandergerieten, luden Dressel und Tjarks zum Krisengipfel. Binnen zweier Stunden gelangte das A-Team zum Interessenausgleich zwischen den streitenden Behörden. Das Abendblatt nannte Dressels Büro, in dem das Gespräch stattfand, damals „eine Art Nebenregierungszentrale“.

Um zu ermessen, was sich im koalitionären Binnenverhältnis gerade der beiden Regierungsfraktionen seitdem verändert hat, reicht ein Blick in die abgelaufene Woche. Am Mittwoch hielt Grünen-Fraktionschefin Jennifer Jasberg in der aktuellen Stunde der Bürgerschaft eine prononcierte Rede zur Corona-Lage, die aufseiten der Sozialdemokraten gar nicht gut ankam. „Wir brauchen jetzt eine schnelle Ausweitung der Impfangebote in den Bezirken. Die Hausärzte können das nicht allein stemmen“, sagte Jasberg mit Blick auf den zu erwartenden Ansturm auf Auffrischungsimpfungen, nachdem die Ständige Impfkommission das „Boostern“ nun für alle über 18-Jährigen empfiehlt.

SPD-Fraktionschef Kienscherf gab öffentlich Kontra

SPD-Fraktionschef Dirk Kienscherf.
SPD-Fraktionschef Dirk Kienscherf. © Michael Rauhe / FUNKE Foto Services | Michael Rauhe

Das hörte sich an wie eine forsch vorgetragene Forderung Jasbergs an die Adres­se des zögerlichen Senats, der genau deswegen in den Tagen zuvor öffentlich kritisiert worden war. Zustimmung erhielt die Grünen-Fraktionschefin denn auch aus der Opposition von CDU und Linken. Bei der SPD in Senat und Fraktion setzte sich der Eindruck fest, dass hier jemand „Opposition in der Regierung“ betreibe. „Das ist ungünstig, zumal SPD und Grüne in der Krise eigentlich zusammenhalten sollten“, heißt es auf sozialdemokratischer Seite schmallippig.

Ungewöhnlich, aber bezeichnend für die aktuellen Gereiztheiten zwischen den Koalitionspartnern, dass SPD-Fraktionschef Dirk Kienscherf seiner Amtskollegin Jasberg prompt öffentlich Kon­tra gab. „Rot-Grün hat in der schwersten Krise seit dem Zweiten Weltkrieg gemeinsam gehandelt und Verantwortung gezeigt. Umso mehr irritiert es mich, wenn nun vonseiten der Grünen-Fraktionsspitze, die es besser wissen müsste, Zweifel an der Krisenperformance des Senats geäußert werden“, sagte Kienscherf im Abendblatt.

Jasberg wusste über Pläne des Senats Bescheid

Auf SPD-Seite wird darauf hingewiesen, dass Jasberg und ihr Ko-Vorsitzender Dominik Lorenzen in der Senatsvorbesprechung am Dienstag ausführlich über die Pläne zum Ausbau der Impfkapazitäten informiert worden seien, die Sozialsenatorin Melanie Leonhard (SPD) am Freitag der Öffentlichkeit vorstellte. Statt eine Ausweitung der Impfangebote zu fordern, hätte die Grünen-Fraktionschefin in ihrer Rede auch darauf hinweisen können, dass der Senat längst an entsprechenden Plänen arbeitet. Wahr ist aber auch, dass Leonhard selbst die Gelegenheit ausgelassen hat, das zu tun.

Die Lesart der SPD ist nun, dass Jasberg „wider besseres Wissen Melanie Leonhard eins reingewürgt“ hat, wie es einer drastisch ausdrückt. Und es sei eben ein „rotes Ressort“, dem die Attacke der Grünen galt. Als sei zwischen den Koalitionären das alttestamentarische Prinzip „Auge um Auge ...“ etabliert, wird auf SPD-Seite maliziös darauf hingewiesen, dass sich ausgerechnet das Universitätsklinikum Eppendorf (UKE) im Gegensatz zu den Asklepios Kliniken nicht an den Impfaktionen beteilige. „Darum sollten sich die Grünen kümmern“, sagt ein Sozialdemokrat. Für das UKE ist Wissenschaftssenatorin und Zweite Bürgermeisterin Katharina Fegebank (Grüne) zuständig.

Gallina bat Tschentscher um Entlassung von Günther

Die Genossen haben natürlich auch nicht vergessen, dass die Grünen derzeit selbst ein ungelöstes Problem mit ziemlicher Tragweite haben. Auch drei Wochen nach dem lauten Knall in der Justizbehörde ist die zentrale Personalie an der Spitze noch offen. Justizsenatorin Anna Gallina (Grüne) hatte Bürgermeister Peter Tschentscher (SPD) um Entlassung ihrer Staatsrätin Katja Günther (Grüne) gebeten, mit der sie sich komplett überworfen hatte. Die Juristin wurde zwar von ihren Aufgaben als Staatsrätin entbunden, aber eine Nachfolgerin oder einen Nachfolger hat Gallina noch nicht präsentieren können.

Wie gereizt die Stimmung zwischen den Partnern derzeit ist, zeigte sich auch im Verfassungsausschuss der Bürgerschaft am Freitag. Als die Grünen-Abgeordnete Gudrun Schittek bei der Beratung über die aktuelle Eindämmungsverordnung sagte, die Pandemie sei auch eine „Pandemie der Geimpften“, konterte Senatskanzlei-Staatsrat Jan Pörksen (SPD) scharf. Eine solche Äußerung sei Wasser auf die Mühlen der Impfgegner und Querdenker, so Pörksen.

Grüne agieren eigenständiger und selbstbewusster

Und als Jennifer Jasberg Wien als positives Beispiel darstellte, weil dort bereits Kinder unter zwölf Jahren geimpft würden, zeigte sich der SPD-Abgeordnete Hansjörg Schmidt irritiert und bat Pörksen, die deutsche Rechtslage zu erläutern, die eine Impfung der unter Zwölfjährigen derzeit noch nicht zulässt.

Es wäre falsch, das rot-grüne Stimmungstief auf den Konflikt zwischen den Fraktionsvorsitzenden beider Lager zu reduzieren. Die Grünen agieren insgesamt selbstbewusster und gelegentlich eigenständiger, was entscheidend mit dem Ergebnis der Bürgerschaftswahl Anfang 2020 zusammenhängt. Zwar konnte die SPD ihre Top-eins-Position klar behaupten, aber die Grünen verdoppelten ihren Stimmenanteil von 12,3 auf 24,2 Prozent.

Jasberg und Lorenzen setzen eigene Akzente

Besonders die Abgeordneten, die neu in die Bürgerschaft eingezogen sind – Jasberg und Lorenzen zählen dazu –, achten sehr darauf, eigene Akzente zu setzen, und sei es bisweilen auch um den Preis, sich von der SPD abzugrenzen. Bisweilen drängt sich auch der Eindruck auf, Jasberg und Lorenzen müssten sich gegenüber dem größeren Koalitionspartner profilieren, um der Stimmungslage einer fordernden und ungeduldigen Fraktion Rechnung zu tragen.

Auffällig ist, dass die grünen Senatsmitglieder die von Bürgermeister Peter Tschentscher (SPD) und Leonhard geprägte Corona-Politik des Senats ohne erkennbare Kritik mittragen. Deutlich wurde das zuletzt am Dienstag in der Landespressekonferenz, als sich Fegebank zu den aktuellen Senatsbeschlüssen äußerte und die Unterstützung des „grünen Teils des Senats“ betonte. Andererseits scheint der Einfluss Fegebanks als der grünen Führungsfrau in der Koalition auf Vorstöße und Tonlage der Fraktion und ihrer Spitzen nicht sehr groß zu sein.

Hamburger Senat: „Konflikt ist abgehakt"

Dominik Lorenzen wollte den Konflikt am Freitag nicht weiter schüren. „Das ist abgehakt. Wir haben das intern besprochen“, sagte Lorenzen. Es sei nun einmal „eine mega-angespannte Situation“ angesichts der geradezu explodierenden Infektionszahlen. „Wir haben da einmal über die Stränge geschlagen und haben uns dafür entschuldigt, wenn ein falscher Eindruck entstanden ist. Wir haben keine Lust auf einen Koalitionsstreit“, sagte der Fraktionschef. Es herrsche Einigkeit im Bündnis, was die Notwendigkeit des deutlichen Ausbaus der Impfkapazitäten angehe. Im Übrigen gehe es darum, unbedingt an der 2G-Regelung festzuhalten, um erneute Einschränkungen für Geimpfte und Genesene zu vermeiden. Nun denn.