Langenbek. Mit der Präsentation ihrer Bilder erfüllt sich der letzte große Wunsch von Helga Gehr. Verkaufserlös zugunsten der Einrichtung

Sie spricht leise, flüsternd. Jedes Wort kostet Kraft. Dabei hat sie noch so viel zu sagen. Also lässt sie die Farben sprechen. Früher, da waren es Aquarellfarben, heute ist es heißes Wachs, dass Helga Gehr zu kleinen Gemälden verlaufen lässt. Jedes einzelne Bild ist ein Hingucker.

Doch zu sehen bekommen die Bilder nur diejenigen, die sich im DRK-Hospiz für Hamburgs Süden um die alte Dame kümmern. Das soll sich jetzt ändern. Das Hospiz richtet für ihren Gast Helga Gehr eine Ausstellung aus und erfüllt der Hobbymalerin damit einen letzten großen Wunsch.

82-Jährige leidet an einem unheilbaren Tumor

Helga Gehr ist 82 Jahre alt. Sie leidet an einem unheilbaren Tumor. Ende Oktober zog sie mit ihrem schwerkranken Mann Manfred ins Hospiz. Sie nahm nur das Nötigste mit. Die Fotos ihrer Ziehtochter Christina, ein paar Bücher und ihre Farben. Sie wollte weitermalen, so, wie sie es Zeit ihres Lebens in ihrer Freizeit getan hat. Doch anders als in den Jahren zuvor, hatte sie plötzlich Zuschauer, wenn sie an einem Bild saß – Ehrenamtliche, die ihr über die Schulter schauten, Krankenschwestern, die sich für die Werke begeisterten.

Auch Hospiz-Sozialarbeiterin Simone Bärbig war von den Bildern angetan. Als sie erfuhr, dass Helga Gehr zuhause in ihrer Kunstmappe weit mehr als 100 Aquarelle liegen hatte, beschloss sie, dem Hospizgast eine besondere Freude zu machen. Sie ließ die schönsten Bilder rahmen und im Haus aufhängen. 30 Werke von Helga Gehr zieren nun die langen Flure, die Eingangshalle und das Wohnzimmer des Hospiz’. Die Ausstellung ist für Besucher des Hauses und nach Anmeldung sowie auf der Homepage der Einrichtung zu sehen.

30 Jahre lang nahm sie Unterricht in Bendestorfer Malschule

Die Bilder zeigen ganz unterschiedliche Motive und sind überwiegend mit Unterstützung von Imme Weber entstanden. Diese betreibt in Bendestorf eine Malschule. 1990 hatte Helga Gehr dort ihre erste Malstunde. 30 Jahre lang war sie eine treue und fleißige Schülerin. Dass sie nun mit 82 Jahren noch einmal die Möglichkeit hat, ihre Bilder einer Öffentlichkeit zu zeigen, bedeutet ihr viel. „Ich male nämlich nicht nur, weil es mir Freude macht, sondern auch, um Resonanz auf meine Bilder zu kriegen“, sagt sie. „Ich mag es, wenn andere über meine Bilder sprechen, diese ihnen gefallen und ich eine Rückmeldung bekomme.“

Doch die 82-Jährige will mehr, als in Bewunderung baden. Sie will mit ihrer Ausstellung und der damit verbundenen Spende an das Hospiz vor allem „Danke“ sagen. „Die Bilder sollen verkauft werden, der Erlös an das Hospiz gehen“, sagt sie. „Dieser Ort ist ein Segen. Hier geht es mir gut.“

Nie hätte sie gedacht, dass sie einmal im Hospiz landen würde. Und dass sie Sätze sagen würde wie diesen: „Ins Hospiz zu gehen, war für mich die einzig richtige Entscheidung.“ Sie habe immer gedacht, Hospize seien eine christliche Einrichtung, ein Ort, an dem sich eben nur Christen wohlfühlten. „Ich bin überhaupt nicht gläubig“, sagt sie. „Jetzt weiß ich, dass es darum aber nicht geht. Sondern dass dies ein guter Ort ist, an dem es Menschen gibt, die sich kümmern, Schmerzen lindern und Trost schenken.“ Immer sei jemand für sie da, der sie unterstütze und zur Seite stehe. „Als mein Mann im November starb, saß ich bei ihm bis zum Schluss am Bett“, sagt sie. „Als er die Augen für immer schloss, kam eine Krankenschwester und nahm mich in die Arme. Dass ich in diesem schwierigen Moment nicht allein war, hat mir sehr geholfen.“

Im Hospiz fasst Helga Gehr neuen Lebensmut

Plötzlich allein. Nach 55 Jahren Ehe. Selbst so krank, dass es zuhause einfach nicht mehr geht. „Da bleiben einem nicht mehr viele Möglichkeiten“, sagt Helga Gehr, die schwer an einem Tumor erkrankt ist und im Hospiz neuen Lebensmut gefasst hat. „Als mein Mann starb, wollte ich nicht mehr weiterleben“, sagt sie. Doch dann habe sie gespürt, dass ihre Zeit noch nicht gekommen sei. Dass vielleicht noch ein paar gute Momente auf sie warten. Sie richtet sich in ihrem Zimmer einen Platz zum Malen ein, holt die Farben, lässt die Töpfe auf der Terrasse bepflanzen und einen Nistkasten direkt vorm Fenster aufhängen. „Ich freue mich auf den Frühling“, sagt sie.

Im Hospiz für den Harburger Süden hat Helga Gehr einen Ort gefunden, an dem sie nicht allein ist.
Im Hospiz für den Harburger Süden hat Helga Gehr einen Ort gefunden, an dem sie nicht allein ist. © HA

Inzwischen malt Helga Gehr nicht mehr mit Aquarellfarben, sondern mit Wachs. Encauticmalerei nennt sich die künstlerische Maltechnik, bei der spezielle Wachsfarben mit einem Maleisen erhitzt und auf den Malgrund aufgebracht werden. „Die Motive, die dabei entstehen, sind nicht vorhersehbar. Jedes Bild ist auch für mich eine kleine Überraschung“, sagt die ehemalige Auslandssekretärin, die fließend Englisch, Französisch und Spanisch spricht und mit ihrem Mann zeitweise in London gelebt hat. Als dieser Ende der 1970er Jahre eine Anstellung am Friedrich-Ebert-Gymnasium als Sport- und Englischlehrer bekommt, zieht das Ehepaar von Eimsbüttel nach Eißendorf. Sie entscheiden sich gegen Kinder. „Schließlich hatte mein Mann tagsüber beruflich genug mit jungen Menschen zu tun“, sagt sie.

Dann kommen sie doch noch zu einer Tochter, auch wenn es nicht die leibliche ist. „Es gab eine Schülerin, die uns häufig besucht hat, weil sie zuhause Schwierigkeiten hatte“, sagt Helga Gehr. „Sie fand in uns eine Ersatzfamilie und wir das Kind, das wir nie hatten.“ Der Kontakt zu Christina hält bis heute. Regelmäßig besucht diese Helga im Hospiz.

Vor der Corona-Pandemie war das Hospiz ein offenes Haus

„Monatelang waren Besuche aufgrund der Pandemie nur sehr eingeschränkt möglich“, sagt Hospizleiterin Britta True. „Jetzt dürfen Gäste immerhin zwei Besucher gleichzeitig empfangen.“ Dennoch erschweren die Maßnahmen noch immer die Arbeit im Hospiz. Rein darf nur, wer geimpft oder genesen ist und ein negative Testergebnis vorweisen kann. „Die Eingangstür halten wir nach wie vor geschlossen“, sagt Britta True. „Jeder, der kommt, wird überprüft.“ Das Verständnis der Besucher sei groß. Dennoch sei vieles nicht mehr so unbeschwert wie vorher. „Wir waren vorher ein offenes Haus. Es haben viele Veranstaltungen stattgefunden“, so True. „Und wir haben versucht, jeden Wunsch zu erfüllen.“

Vieles war in den vergangenen zwei Jahren unmöglich. Um so mehr freut sich das Hospiz-Team darüber, dass mit der Ausstellung jetzt endlich wieder ein bisschen Normalität in das Haus einzieht und sie damit einem Hospizgast einen letzten großen Wunsch erfüllen können. Sogar eine kleine Vernissage haben sie vorbereitet, zu der aber nur einige geladene Gäste kommen dürfen.