Harburg. Warum das niederschwellige, inklusive und integrative Kunstprojekt mit Sitz in den Arcaden plötzlich ein Finanzierungsproblem hat
Die meisten Harburgerinnen und Harburger kennen das „Habibi-Atelier“ in den Harburg-Arcaden wegen seiner jährlichen Aktion „Kunsttausch für Obdachlose“ im Dezember. Doch auch in allen anderen Monaten des Jahres hat die aus der Flüchtlingshilfe entstandene Künstlerwerkstatt für jeden geöffnet, der sich in den bildenden Künsten ausprobieren möchte – noch.
Die Existenz des Ateliers, mit dem sich der Bezirk gern brüstet, weil es niederschwellig, inklusiv und integrativ voll dem Harburger Leitbild „Zusammenleben in Vielfalt“ entspricht, ist gefährdet. Es hakt am Geld.
Förderung durch den Bezirk Harburg ist ausgelaufen
Die bezirkliche Förderung für 2021 ist kalendergemäß am 31. Dezember ausgelaufen. Die Förderung für 2022 ist seit September beantragt, aber noch immer nicht durch die Bezirkspolitik bewilligt. Jetzt wurde dem Künstler Sladan Kristicevic, Künstlername „Sly“, der hinter dem Projekt steht, zugesagt, dass er auch 2022 Förderung erhält – aber nur bis Ende August. Einen Beschluss oder gar Bescheid darüber gibt es auch noch nicht. „Eigentlich hätte ich im Januar schon schließen müssen“, sagt Sly, „aber das will ich ja nicht. Ich will die Arbeit hier fortsetzen.“
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Begonnen hat Slys Arbeit in Harburg 2015. Viele Geflüchtete kamen nach Deutschland und auch in Harburg entstanden zahlreiche Unterkünfte. Zunächst arbeite Sly direkt in den Unterkünften, malte mit den Bewohnern. Für die hatte das zweierlei Nutzen: Sie hatten ein paar Stunden etwas zu tun und viele fanden in der Kunst ein Ventil, um vor und auf der Flucht Erlebtes zu verarbeiten. Als sich das Leben für die Bewohner der Unterkünfte zusehends normalisierte, fasste das Habibi-Atelier sein Angebot an einem zentralen Ort zusammen. Räume fand Sly im Obergeschoss der Harburg-Arkaden. Er öffnete das Atelier auch für Jedermann. Es wurde zur Begegnungsstätte zwischen kunstinteressierten Flüchtlingen und ebensolchen Harburgern.
Habibi-Künstler Werke spenden Werke für Obdachlose
Mittlerweile hat sich die Besucherschaft noch einmal gewandelt. Das Habibi-Atelier ist einerseits zur offenen Kunstwerkstatt geworden, in der sich Menschen unter Slys Anleitung kreativ ausprobieren können. Andererseits arbeiten Organisationen der Behindertenbetreuung mit Sly zusammen und gehen mit Gruppen ins Atelier. Ein Tag in der Woche ist für Kinder reserviert.
Einmal im Jahr spenden Habibi-Künstler Werke zu Gunsten von Obdachlosen: Gegen ein Hygienepaket oder einen Schlafsack werden Kunstwerke herausgegeben. Die Sachspenden werden kurz vor Weihnachten verteilt. Als einmalige Zusatzaktion verwandelte Sly im Herbst 2020 die Harburg-Arcaden in Hamburgs größte Handarbeitsstube, in der Menschen 100 Schals für Obdachlose stricken konnten.
Dauerhafte Finanzierung sorgt nun für gar keine
„Wir erkennen Slys Arbeit an und uns ist bewusst, dass sie für Harburg gut und wichtig ist“, sagt die kulturpolitische Sprecherin der SPD-Bezirksfraktion Natalia Sahling. „Aber wir müssen das Habibi-Atelier anders finanzieren als bisher.“ Bislang wurde das Habibi-Atelier nämlich nicht aus dem Etat für Stadtteilkultur bezahlt, sondern aus dem „Quartierfonds“, den die Bezirke vom Senat zur freien Verfügung haben. „Daraus sollen aber eigentlich keine dauerhaften Projekte finanziert werden, deshalb wollen wir eine andere Finanzierung für das Habibi finden, eben damit es dauerhaft werden kann“, sagt Sahling.
Der Kulturausschussvorsitzende Heiko Langanke (Linke) wüsste, wo Geld wäre: „Im Etat für Stadtteilkultur ist regelmäßig Geld übrig“, sagt er. „Obwohl wir immer zurecht beklagen, dass dieses Geld aus der Kulturbehörde für Harburg zu knapp bemessen ist. Aber die Mehrheitsparteien wollen es nie ausgeben. So bekommen wir auch nie mehr. An Slys Stelle würde ich mir einen anderen Bezirk suchen.“
Daran hat er gedacht, will das aber noch nicht. „Es hat lange gedauert, bis das Atelier etabliert war, das möchte ich nicht aufgeben. Andererseits habe ich für die Januarmiete jetzt erst einmal Schulden gemacht. Ich muss wissen, wie es weitergeht – jetzt und im Herbst“, sagt er. „Wenn man mich nicht will, soll man mir das rechtzeitig sagen. So viel Aufrichtigkeit habe ich verdient.“