Hamburg. 30.000 Blindgänger wurden in Hamburg seit dem Zweiten Weltkrieg entschärft. Der Süden der Stadt ist stark belastet.
Ihre Arbeit ist höchst gefährlich. Und obwohl sie akute Risiken beseitigen, machen sich die Bombenentschärfer vom Kampfmittelräumdienst oft unbeliebt. In einem dicht besiedelten, von Straßen und Schienenwegen durchzogenen Gebiet wie Harburg führt jeder Einsatz, bei dem Spreng- oder Brandbomben unschädlich gemacht werden, zu Evakuierungsmaßnahmen, Staus und anderen Unannehmlichkeiten für Anwohner und Reisende.
„Manche denken, dass wir sie ärgern wollen und die Einsätze besser planen könnten“, sagt Michael Hein, Stellvertretender Leiter des Kampfmittelräumdienstes in Hamburg. „Aber natürlich wägen wir die unterschiedlichen Belastungen ab und suchen nach der bestmöglichen Lösung.“
Bislang 30.000 Blindgänger in Hamburg entschärft
Seit gut 20 Jahren residiert der Kampfmittelräumdienst in der Feuer- und Rettungswache Harburg am Großmoorbogen. „Das ist der richtige Dienstsitz. Denn die meisten Bombenblindgänger werden südlich der Elbe gefunden“, sagt Hein. Es sei oft wichtig, schnell am Ort zu sein. Das gilt vor allem für Zufallsfunde. Wenn ein Bagger versehentlich eine Sprengbombe auf einen Lkw gehievt hat, sollten alle weiteren Aktionen Kampfmittelexperten übernehmen.
Rund 30.000 Bomben sind in Hamburg seit 1945 gefunden und unschädlich gemacht worden, eine Statistik für einzelne Stadtteile gibt es nicht. Fast 11.500 Funde waren Sprengbomben. Besonders kniffelig war die Entschärfung von 441 Blindgängern mit chemischen Langzeitzündern. „Die Zünder sind aus Messing. Das rostet nicht. Man kann den Zündern nicht ansehen, wie intakt sie innen noch sind. Die chemischen Zünder haben eine Ausbausperre. Sie sollten bei Entschärfungsversuchen den Leuten um die Ohren fliegen“, erklärt der Experte.
Im Durchschnitt wurden seit Kriegsende jährlich 260 Bomben unschädlich gemacht. Auch in der Gegenwart reißt die Arbeit nicht ab – im Jahr 2020 seien es mehr als 200 Einsätze gewesen, 2021 dagegen nur 130. Hein führt dies auf die Pandemie zurück, in jüngster Zeit sei weniger gebaut worden: „Bauvorhaben sind meist der Auslöser für die Suche nach Kampfmitteln. Seit 2005 führen wir keine Präventivsuche mehr durch. Die Stadt hat sich von dem Ziel, Hamburg bombenfrei zu machen, verabschiedet. Es ist ein fiktives Ziel. Heute geht es darum, sicheres Bauen zu ermöglichen.“
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Das heißt: Blindgänger-Risiken bei Erdarbeiten auszuschließen, in dem dort, wo gegraben werden soll, zuvor nach Bomben und anderen Kampfmitteln sondiert wird. Das machen Privatfirmen. Die Kosten sind vom Grundeigentümer zu tragen. Bei verdächtigen Gebilden wird nach ihnen gegraben. Erst wenn tatsächlich eine Bombe oder Granate freigelegt wurde, rücken die Experten des Kampfmittelräumdienstes an und beseitigen die Gefahr auf Kosten des Bundes und der Stadt Hamburg.
2021 wurden gleich fünf Bomben im Bereich Gut Moor entdeckt
Im Bezirk Harburg geschah dies zum Beispiel Mitte August bis Anfang September 2021 im Bereich Gut Moor am Großmoordamm. Dort wurden nacheinander fünf Bomben britischer und US-amerikanischer Herkunft aus rund sieben Metern Tiefe gehoben. Jeweils 300 Meter um die Fundstellen musste eine Sperrzone eingerichtet werden. Je nach Lage der einzelnen Bomben mussten einige hundert Menschen den Bereich verlassen. Der Zugverkehr zwischen Hamburg und Hannover musste unterbrochen werden, auch die S-Bahn und der Bahnhof Harburg waren betroffen. Zum Teil wurde die A1-Abfahrt Harburg gesperrt und die A253 zwischen Kornweide und Wilstorf. Auch Busse verkehrten nur eingeschränkt.
Einige Betroffene mögen sich gefragt haben, warum die in Moorwiesen versunkenen Bomben überhaupt gesucht und geborgen wurden. „Auslöser waren geplante Infrastrukturmaßnahmen der Umweltbehörde“, sagt Hein. „Wenn zum Beispiel Grabenverläufe verändert werden sollen, wird ins Erdreich eingegriffen.“ Im ersten Schritt prüft die Abteilung GEKV (Gefahrenerkundung Kampfmittelverdacht) der Hamburger Feuerwehr, ob das für Bauarbeiten vorgesehene Areal im Liegenschaftskataster unter Blindgängerverdacht steht. Dann nehmen sich die Experten alte Luftbilder vor und schauen sich den Standort genauer an.
Gut Moor: Bombe unterirdisch explodiert und zersplittert
„In Gut Moor gab es diverse Verdachtspunkte“, berichtet Hein. „Tatsächlich wurden fünf Bomben gefunden. An einem anderen Punkt war eine Bombe bereits unterirdisch explodiert und zersplittert. Eine weitere Bombe wurde in der Nähe bei einem Parkplatz-Bauprojekt an der Hörstener Straße gefunden und entschärft. „Sechs Bomben in einem 500-Meter-Radius sind schon ungewöhnlich“, sagt Hein.
Diese und weitere Funde nahm die CDU-Fraktion der Harburger Bezirksversammlung zum Anlass, die Verwaltung um eine Stellungnahme zu bitten, inwieweit sie vorsorglich bei geplanten Bau- und Infrastruktur-Maßnahmen vorhandene Informationen auswerten und Abhilfe schaffen kann, „um Verzögerungen von Bauvorhaben und weitere starke Belastungen der Verkehrssituation durch aufgefundene Sprengbomben zu vermeiden“. Über den Antrag wird der Hauptausschuss der Bezirksversammlung am kommenden Dienstag, 25. Januar, abstimmen.
"Zwei Drittel der Bomben im Umfeld der Elbe"
Für kleine und große Bauherren sind die militärischen Altlasten im Harburger Boden zunächst vor allem ein Kostentreiber. Die vorgeschriebene Erkundung ist teuer und verzögert das Bauvorhaben. Selbst im Kleinen ist die 2005 eingeführte Verantwortung der Grundeigentümer belastend. Ein Beispiel: In einem Neuländer Schrebergarten sollte ein Stromkasten gesetzt und ein Anschluss hergestellt werden. Stromnetz Hamburg verlangte eine Bestätigung der Kampfmittelfreiheit oder einen Sondierungsnachweis für den betroffenen Bereich der Parzelle. Sie steht unter Kampfmittelverdacht; eine einfache Sondierung kostet 2000 Euro.
Die Harburger leiden besonders unter den Blindgängern. „In Hamburg gibt es ein Nord-Süd-Gefälle“, sagt Michael Hein. „Zwei Drittel aller Bomben finden wir im größeren Umfeld der Elbe. Harburg und Wilhelmsburg waren mit ihrer Industrie und den Hafenbecken in den Kriegsjahren bevorzugte Ziele.“ Auch Außenbereiche seien betroffen, so Hein: „Wenn zum Beispiel feindliche Flugzeuge von der Flugabwehr getroffen wurden, aber noch fliegen konnten, warfen sie irgendwo ihre Last ab und versuchten nach Hause zu kommen.“
Selbst in niedersächsischem Boden finden sich Relikte der Bombardements auf Hamburg, sagt der Sprengmeister. „Während der Operation Gomorrha, dem verheerenden Angriff britischer und US-amerikanischer Bomber im Juli 1943, brannte die Stadt. Der aufsteigende Rauch führte dazu, dass nachfolgende Bomberpiloten ihre Ziele nicht mehr fanden und abdrehten. Damit der Treibstoff für den Rückweg reicht, mussten sie sich ihrer Bomben entledigen“, erklärt Hein.
Anders als im Norden der Stadt fielen die Sprengkörper in der Süderelberegion vielerorts auf weiche, oftmals morastige Kleiböden. Durch den relativ weichen Aufprall lösten die Zünder vermehrt nicht aus. Zudem versanken die stählernen Schwergewichte schnell und tief im Boden. Manche von ihnen werden in der Gegenwart nahezu rostfrei wieder ans Tageslicht befördert. Viele Jahrzehnte nach dem Abwurf werden si dann endlich unschädlich gemacht.
Verdachtsfälle und weiße Flecken auf der Karte:
- Ob eine Fläche im Hamburger Stadtgebiet unter Kampfmittelverdacht steht, ist im amtlichen Liegenschaftskataster ersichtlich. Sehr große Bereiche sind anhand von Luftbildauswertungen verdächtig. Bereiche, in denen bereits mit negativem Ergebnis sondiert wurde oder Kampfmittel geräumt wurden, sind grün markiert. Gebiete, über die keine Daten vorliegen, sind weiße Flecken auf der Stadtkarte.
- Luftbilder der alliierten Streitkräfte aus den Kriegsjahren bilden die Basis für die Gefahrenerkundung vom Schreibtisch aus. Mehr als
40 Mitarbeiter der Feuerwehr Hamburg sind damit befasst. Die Bilder dienten damals der Erfolgskontrolle vorangegangener Bombenangriffe. Britische und US-amerikanische Luftstreitkräfte schickten am Tag nach einem nächtlichen Angriff Aufklärungsflugzeuge, die Fotoserien von den Zerstörungen machten. Die Auflösung der US-Aufnahmen ist so hoch, dass ein Fahrradfahrer oder ein Hutträger auf dem Bild zu erkennen sind. Löcher im Boden deuten auf nicht explodierte Bomben hin. Aber vielerorts überdecken auf den Bildern Trümmerberge den Boden. - Weitere Quellen zur Einordnung von Flächen sind Zeitzeugenberichte. Orte, an denen ein Flugzeug abgestürzt ist, sowie ehemalige militärische Standorte gelten generell als Kampfmittelverdachtsflächen.