Neugraben. Seit Jahren engagiert sich Gruppe von Ehrenamtlichen mit Veranstaltungen, Aktionen und Verkauf für den fairen Handel in der Welt.

Alles fing mit einem Erbe an. Einem sechsstelligen Betrag, den ein Gemeindemitglied in seinem Testament der Michaelis-Kirchengemeinde in Neugraben hinterließ. Mit der Summe war eine Vorgabe verknüpft.

Das Geld sollte für die Bekämpfung des Hungers in der Welt eingesetzt werden. Wolfgang Zarth erinnert sich noch genau an jenen Tag, als die Mitglieder des Kirchengemeinderates zusammensaßen, und überlegten, welche Projekte von dem vielen Geld angeschoben werden sollten. Er sagte: „Armut zu bekämpfen bedeutet, hier vor Ort etwas zu verändern.“

2011 nahm Gruppe ihre Arbeit unter dem Dach der Kirche auf

Das war 2011. Einige Wochen später startete eine kleine Gruppe engagierter Menschen in der evangelisch-lutherischen Gemeinde an der Cuxhavener Straße das Projekt „Neugraben fairändern“. Die Idee: das Bewusstsein für globale Zusammenhänge zwischen Nord- und Südhalbkugel zu wecken und die Menschen in Neugraben zum fairen Handeln zu bewegen.

„Hunger wird in erster Linie dadurch bekämpft, dass die Menschen hier vor Ort ihr Konsumverhalten umstellen“, sagt Wolfgang Zarth. „Wenn wir Rohstoffe klauen und billig produzieren lassen, unterstützen wir Strukturen von Ausbeutung und Ungerechtigkeit weltweit. Insofern hat es jeder einzelne von uns in der Hand, etwas dagegen zu tun und Veränderungen hin zu einer gerechteren Welt zu bewirken. Es ist im Grunde ganz einfach. Aber genau das wissen viele nicht.“

Budget reicht nicht für ein eigenes Geschäft aus

Hier setzt die Initiative „Neugraben fairändern“ an. Die Gruppe Ehrenamtlicher möchte über globale Zusammenhänge aufklären, aufzeigen, wie unsere Lebensweise Ausbeutung und Ungerechtigkeit auf der Welt bewirken und wo jeder Einzelne ansetzen kann, um Veränderungen zu bewirken. Es geht darum, die Bewohner von Neugraben für das Thema „Fair Trade“ zu sensibilisieren und ihnen eine Möglichkeit zu geben, faire Produkte vor Ort zu erwerben.

Weil das Budget für die Anmietung einer Ladenfläche im Stadtzentrum allerdings nicht reicht, haben die Mitglieder auf einen eigenen Laden verzichtet und stattdessen in der ASB-Sozialstation am Neugrabener Marktplatz ein paar Regale mit fair gehandelten Waren bestückt. Zweimal in der Woche öffnet Mitstreiter Dirk Müller die Türen für den Verkauf. Müller ist 70 Jahre alt, hat zwei Kinder und fünf Enkel, war vor dem Ruhestand als Chemiker im technischen Umweltschutz tätig. Als er in Rente ging, suchte er nach einer ehrenamtlichen Tätigkeit, die den Nachhaltigkeitsgedanken fördert. Er landete bei „Neugraben fairändern“.

„Ich möchte dazu beitragen, dass Menschen im globalen Süden ohne Armut leben können, in dem ich ihnen einen fairen Preis für ihre Produkte zahle“, sagt er. Der Laden, in dem die fair gehandelten Produkte wie Kaffee, Kakao und Schokolade angeboten werden, ist aber nur ein Standbein der Initiative gegen den Hunger in der Welt. Viel mehr als um das Sichtbarmachen und den Verkauf der Produkte, die es inzwischen auch in vielen Supermärkten und Discountern gibt, gehe es darum, die Menschen zu sensibilisieren und darüber aufzuklären, warum sie diese Produkte kaufen sollten – und andere eben nicht.

Beim gemeinsamen Kochworkshop erfahren die Teilnehmer, wie sie aus fair gehandelten Produkten ein leckeres, nachhaltiges Essen kreieren können.
Beim gemeinsamen Kochworkshop erfahren die Teilnehmer, wie sie aus fair gehandelten Produkten ein leckeres, nachhaltiges Essen kreieren können. © HA | Privat

Dafür organisieren die Ehrenamtlichen regelmäßig Info-Veranstaltungen und Vorträge im Stadtteil, sie laden Referenten ein, zeigen Filme oder Ausstellungen. Darüber hinaus sorgen sie mit viel Ideenreichtum und Kreativität dafür, dass die Bewohnerinnen und Bewohner von Neugraben selbst aktiv werden. Besonderes Highlight ist der öko-faire Kochworkshop, der regelmäßig im Stadtteil veranstaltet wird. Dann wird gemeinsam geschnippelt und gefachsimpelt, es werden Zutaten probiert und deren Handelswege nachvollzogen. Am Ende wird das gemeinsam kredenzte Mal mit gutem Gewissen verspeist.

Kochworkshops, Verkostungen sowie Tipps für den Alltag

„Wir setzen auf Spaß und Kreativität anstatt auf den erhobenen Zeigefinger“, sagt Ruth Sattelberger. „Durch Freude beim Mitgestalten, durch Genuss bei Kochworkshops und Verkostungen sowie durch Tipps für den Alltag.“ Die 57-jährige Psychiaterin und Psychotherapeutin ist seit 2012 dabei. „Man muss die Dinge anpacken, die man für richtig hält“, sagt sie. „Ich bin davon überzeugt, dass das Thema Fairer Handel eine wesentliche Grundlage für das Zusammenleben auf dieser Erde ist.“

Um möglichst viele Menschen zu erreichen, stehen die „Fairänderer“ zudem einmal im Monat auf dem Neugrabener Markt, bauen ihre Infostände bei verschiedenen Events und Workshops zum Globalen Lernen in Schulen und Kitas auf und denken sich immer wieder neue Aktionen aus. So verteilten sie zum Beispiel im September und Oktober an zehn Markttagen Flyer zum Thema „Markteinkauf ohne Plastiktüten“ und boten den Besuchern außerdem 1000 wiederverwendbare Gemüsenetze an. Bei der Aktion „Faire Kaffeezone“ besuchten sie Gewerbetreibende und Dienstleister, spendierten ein halbes Pfund fairen Kaffee und appellierten dafür, diesen künftig im Betrieb auszuschenken.

Gruppe beteiligt sich an Demos und sammelt Unterschriften

Auch auf politischer Ebene sind die Mitstreiter aktiv, unterstützen politische Initiativen zur Förderung der Nachhaltigkeit und fairen Handelsbeziehungen, indem sie an Demonstrationen und Unterschriftenaktionen teilnehmen. „Themen wie Klimaschutz, Welthandel, Armut werden auf der bezirklichen Ebene umgesetzt“, sagt Oliver Domzalski. Der 61-jährige Lektor, der auch im Vorstand des Kreisverbandes der Harburger Grünen ist, macht seit zwei Jahren bei der Initiative mit. „Ich will Bewusstsein schaffen für bewussteren Konsum“, erklärt er.

Inzwischen ist „Neugraben fairändern“ ein fester Akteur im Stadtteil, der gut vernetzt ist und mit vielen anderen Einrichtungen zusammenarbeitet. Dazu gehören unter anderem „Brot für die Welt Hamburg“, der BUND Hamburg, das EU-Projekt CleverCities, der Verein German Watch, die STEG Hamburg sowie die Bücherhalle Neugraben, verschiedene Kitas im Stadtteil und die Rudolf-Steiner-Schule Harburg. Darüber hinaus erreichen sie mit ihrem Newsletter rund 340 Adressaten. Und auch wer nicht regelmäßig Post von den „Fairänderern“ erhält, kommt in Neugraben nicht darum herum, sich mit deren Botschaften auseinanderzusetzen.

Das Wandbild haben die „Fairänderer
Das Wandbild haben die „Fairänderer" im Neugrabener Zentrum aufgehängt. Es thematisiert eines der UN-Nachhaltigkeitsziele.. © HA | Privat

Aktuell hängt mitten im Stadtzentrum ein Großbild zum Thema „Wasser und Sanitäre Anlagen für alle“ an der Hauswand von Kaufland in der Marktpassage Neugraben. Es ist eines der 17 globalen Ziele für nachhaltige Entwicklung, die die Vereinten Nationen aufgestellt haben. Sie sollen weltweit der Sicherung einer nachhaltigen Entwicklung auf ökonomischer, sozialer sowie ökologischer Ebene dienen.

Wichtiger noch aber als alle Plakate, Infoflyer und Vorträge ist den Aktiven das direkte Gespräch mit den Menschen in Neugraben. Die Möglichkeit dazu gibt es am Sonnabend, 11. Dezember, auf dem Neugrabener Markt, auf dem die Mitstreiter Punsch servieren werden – natürlich fair gehandelt. „Wir möchten, dass jeder in Neugraben sich klar wird: ‚Ich trage mit meinem Einkauf dazu bei, ob menschenwürdiges Leben für alle – und damit auch für mich und meine Nachkommen – möglich ist’“, sagt Ruth Sattelberger, die zutiefst davon überzeugt ist, dass der faire Handel eigentlich das Grundprinzip jedes Wirtschaftens sein müsse. „Nur so ist ethisch richtiges Handeln möglich“, sagt sie. „Davon hängt wiederum unser Überleben als Menschheit ab.“

So können Interessierte mitmachen:

  • Der faire Handel in Neugraben existiert seit 40 Jahren, wobei fair gehandelte Waren zunächst aus dem globalen Süden nach dem Gottesdienst in der Michaeliskirche verkauft wurden.
  • Die Produkte werden aktuell direkt am Neugrabener Markt im Eingangsbereich der ASB-Sozialstation angeboten. Öffnungszeiten: dienstags und donnerstags
    9 bis 14 Uhr. Jeden ersten Sonnabend im Monat gibt es die Produkte auch auf dem Neugrabener Wochenmarkt von 9 bis 13 Uhr.
  • Um das Angebot aufrechtzuerhalten, werden weiter Ehrenamtliche gesucht. Zu den Aufgaben gehören der Ladendienst (Verkauf und Information), die Warenauswahl, Material- und Wareneinkauf, Gestaltung und Dekoration, Projektvorbereitung und Standbesetzung des Marktstands, Öffentlichkeitsarbeit und Gestaltung des Internetauftritts.
  • Weitere Infos gibt es bei Dirk Müller unter 040/700 07 40 oder bei Ruth Sattelberger unter 040/ 18 07 85 10, E-Mai: info@neugra ben-fairaendern.de sowie auf www.neugraben-fairaendern.de