Neugraben/Heimfeld. Um 1900 warben viele Ausflugslokale um Besucher aus Hamburg oder dem noch eigenständigen Harburg – samt unerwarteter Gemeinsamkeiten.

Aufgrund der Corona-Pandemie entdecken die Hamburger die Harburger Berge neu, gehen wandern, genießen das sportliche Auf und Ab der „Bergwelt“ südlich der Elbe. Wenn weite Reisen nicht möglich sind, gewinnt die Natur vor der Haustür an Bedeutung. Das galt bereits vor mehr als 100 Jahren.

Damals war eine Tagesreise in die Harburger Berge eine Freizeit-Attraktion; zahlreiche Gaststätten und Ausflugslokale lockten die Gäste. Der Harburger Stadthistoriker Jens Brauer und Museums-Hospitant Oliver Heß, der als Kind oft in Heimfeld war, gründelten in der Postkartensammlung des Stadtmuseums Harburg und begaben sich auf die Spuren des frühen Harburg-Tourismus.

Zwölf historische Ausflugsziele ergänzen Kulturrouten-App

„Um 1900 hatten die Menschen erstmals freie Zeit und die Mittel, ihre Freizeit zu gestalten“, sagt Brauer. Zuvor ließen eine 70-Stunden-Woche mit sechs Arbeitstagen keine Freiräume für Ausflüge. Als die Wochenarbeitszeit auf 50 Stunden gesunken war, stieg die Lust auf Vergnügungen, auf Erholung und Abenteuer in der Natur.

Brauer: „Die Eisenbahn mit der Station Hausbruch führte sehr nah an die Harburger Berge heran. An diesem und anderen Bahnhöfen entstanden Gaststätten, die oftmals mehrere hundert Gäste fassen konnten. Im Ausflugsgebiet lockten Lokale mit Kaffee- und Biergärten, mit Aussichtstürmen, Schießständen und Kegelbahnen.“

Von zwölf Ausflugszielen sammelten Brauer und Heß so viele Informationen, dass sie nun Teil der Kulturrouten des Stadtmuseums werden. Die vier bestehenden Routen sind in der Internet-App unter www.kulturrouten-harburg.de zu finden: der Geschichts- und der Kunstpfad sowie Routen im Binnenhafen und auf dem Alten Friedhof. Zum Pfingst-Wochenende sollen nun die historischen Ausflugsziele hinzukommen.

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Das "Berghotel Hamburg Blick" auf dem Wulmsberg ist weiterhin geschlossen. © AMH | Oliver Heß

Die westlichsten Ziele liegen in Neugraben. Mathias Pieper, damaliger Betreiber des Hotel-Restaurants zum Opferberg, war besonders erfindungsreich. Er legte eine Sommerrodelbahn an, die vom knapp 50 Meter hohen Opferberg fast bis in seine Gaststätte führte. Diese hatte einen großen Saal für 400 bis 500 Personen zum Feiern und für Veranstaltungen.

Heute residiert dort die HNT, die Hausbruch-Neugrabener Turnerschaft. Natürlich wurde die Rodelbahn auch im Winter genutzt. „Damals kamen 10.000 bis 15.000 Besucher“, sagt Brauer. „Als im Winter 1912/13 kein Schnee fiel, ließ Pieper ihn mit der Eisenbahn aus Clausthal-Zellerfeld kommen.“ Zudem habe der kreative Gastwirt eine „Kraftkegelbahn“ erfunden, bei der die Kugeln bergauf rollen müssen.

Der Scheinberg und der Kaiserstuhl sind reine Natur-Ziele

Eine von zwei Naturstationen unter den Ausflugszielen ist der benachbarte Scheinberg. Zwischen den beiden Bergen wurde Sand gewonnen, und oben auf dem Scheinberg befindet sich bis heute ein offener Platz. Dessen Bedeutung ist unklar. „Es könnte ein Rechtsplatz gewesen sein“, sagt Heß und verweist auf Vermutungen von Theodor Benecke (1870 – 1929), Gründungsdirektor des Helms-Museums. Das zweite Naturziel ist der weiter östlich gelegene Kaiserstuhl. Er erhielt seinen Namen von drei ineinander gewachsenen Eichen, die einen riesigen Stuhl zu bilden schienen.

Das Ausflugslokal Goldene Wiege lockte mit einem Aussichtsturm und einem
Das Ausflugslokal Goldene Wiege lockte mit einem Aussichtsturm und einem "verborgenen Schatz", nach dem es benannt ist. © AMH | AMH/Stadtmuseum Harburg

Auch der 65 Meter hohe Falkenberg am Rande der Neugrabener Heide war ein Ausflugsziel. Auf dem Gipfel thronte die Gaststätte Burg Störtebeker. Der massive Aussichtsturm gab ihr den Burgcharakter. Der Verweis auf Störtebeker beruhte auf der Mär, dass dort Klaus Störtebeker einen Schatz vergraben hatte. Tatsächlich wurde bei einer Grabung vor dem Bau der Gaststätte ein kleiner Schatz gefunden, vermutlich Silberlinge aus dem 30-jährigen Krieg (1618-48). Damals war der legendäre Pirat schon gut 200 Jahre tot… Heute sind auf dem Berg nur noch ein paar Mauerreste des einstigen Ausflugsziels zu entdecken.

Am Gasthof Falkenberg wurden die Pferde ausgespannt

Am Fuß des Berges lag der Gasthof Falkenberg damals in einem Eichenhain. Heute ist der Bereich am Störtebekerweg ein Wohngebiet. Vor gut 100 Jahren feierten auch dort bis zu 400 Personen in einem Saal. Zudem gab es einen Ausspann, wo Zugpferde von Kutschen ausgespannt wurden – hier erholten sich auch Reisende aus ferneren Regionen.

Die Sennhütte (heute Berghotel Hamburg Blick) auf dem Wulmsberg warb für sich mit einer Edelweiß-Postkarte.
Die Sennhütte (heute Berghotel Hamburg Blick) auf dem Wulmsberg warb für sich mit einer Edelweiß-Postkarte. © AMH/Stadtmuseum HarburG

Auf dem Hausbrucher Wulmsberg gab es gleich zwei Ausflugslokale, den Bergpavillon und die Sennhütte. Der Pavillon privatisierte Anfang der 1990er Jahre, die Sennhütte erhielt mehrere Anbauten und heißt heute Berghotel Hamburg Blick. Die Namen der Gaststätten sowie Bezeichnungen wie Harburger Schweiz oder Eißendorfer Schweiz ließen ferne Ziele näher rücken – die Sennhütte warb für sich mit einer aufwendig hergestellten Postkarte, auf der im Prägedruck Edelweiß-Blüten zu sehen sind.

Brauer: „Die Leute konnten damals nicht in die Alpen fahren, sie kannten sie nur durch Postkarten. Für sie waren die Harburger Berge eine Attraktion.“ Österreichisches Ambiente mit entsprechender Speisekarte gibt es noch heute in den Harburger Bergen, in der Kärntner Hütte an der Cuxhavener Straße.

„Majestätische Aussicht“ heute von der A7 beherrscht

Jenseits der heutigen Trasse der A7, in der Heimfelder Bergregion, schlossen sich die Hotel-Gaststätten Eißendorfer Schweiz und Adlerhorst an, beide würden heute in Wohngebieten liegen. Dagegen gibt es am Standort der Goldenen Wiege noch heute ein Restaurant: 1983 haben Koula und Dimos Papadimitriou die Gaststätte an der Heimfelder Straße übernommen und die Taverna Olympiade daraus gemacht. Das große historische Hauptgebäude gab es allerdings nicht mehr. Einige Meter weiter hat sich das ehemalige Hotel Brunnenthal zum Privathotel Lindtner gemausert.

Die Majestätische Aussicht ist heute alles andere als majestätisch - man blickt auf die A7.
Die Majestätische Aussicht ist heute alles andere als majestätisch - man blickt auf die A7. © AMH | Oliver Heß

Von der Majestätischen Aussicht ist nur noch der Name übrig geblieben. Die gleichnamige Gaststätte hatte einen Aussichtsturm, der einen Rundum-Blick über die Harburger Bergwelt erlaubte. Am Ehestorfer Weg tragen ein Hotel und eine Bushaltestelle noch den Namen. Der Blick fällt vor allem auf die A7-Trasse und wird von Verkehrslärm begleitet. Ein Holzschild erinnert an den Ursprung der Bezeichnung: Hier soll Georg II., König von Großbritannien und Kurfürst von Hannover, die „majestätische Aussicht“ gelobt haben.