Buchholz. Der Oekumenische Hospizdienst begleitet Schwerkranke auf ihrem letzten Weg – seit Beginn der Pandemie nur noch per Telefon.
Ein bisschen mulmig war Hildegard Herma schon zumute, als sie das erste Mal zum Telefonhörer griff und die Nummer von Dorit Jentsch wählte. Zwar hat die ehrenamtliche Mitarbeiterin des Oekumenischen Hospizdienstes Buchholz e.V. schon viele Schwerkranke und ihre Angehörigen auf dem Weg des Abschiednehmens begleitet, aber bislang immer von Angesicht zu Angesicht. Hospizbegleitung hieß vor Corona: Zu den Menschen hinzugehen, sich an ihre Seite zu setzen, ihnen die Hand zu drücken und in die Augen sehen.
Begleitende Gespräche und Seelsorge fanden von Angesicht zu Angesicht statt. „Ich konnte den Betroffenen ein Lächeln schenken, eine Sorgenfalte von der Stirn streichen und kleine Handreichungen im Alltag übernehmen“, sagt Hildegard Herma. „Manchmal hat es schon geholfen, dass man einfach nur für einen Moment vorbeigeschaut hat.“
Doch seit ein paar Monaten ist das nicht mehr möglich. Corona hat auch die Sterbebegleitung verändert. Besuche sind verboten. Es gibt strikte Einlassbeschränkungen für Pflegeheime und stationäre Einrichtungen. Zugang gibt es nur mit einer Sondererlaubnis. Auch Hausbesuche gibt es wegen der Ansteckungsgefahr kaum noch. Stattdessen findet Hospizbegleitung per Telefon , Videotelefonie und Email statt.
„Der erste Anruf kostet ein wenig Überwindung“
Hildegard Herma begleitet seit ein paar Wochen Dorit Jentsch per Telefon. Die beiden Damen haben sich noch nie zuvor gesehen. „Der erste Anruf kostete ein wenig Überwindung“, sagt Hildegard Herma. „Schließlich kannte ich die Frau nicht.“ Doch die Kommunikation klappt. Inzwischen telefonieren die beiden Frauen zweimal in der Woche. Manchmal nur für zehn Minuten, manchmal eine ganze Stunde lang.
Es sind Themen wie diese, die Dorit Jentsch auf der Seele liegen: Dass ihr Mann schwer an Parkinson erkrankt ist und sie ihn in ein Pflegeheim geben musste, weil sie es alleine zuhause mit ihm nicht mehr geschafft hat. Und dass sie manchmal damit hadert, ob sie die richtige Entscheidung getroffen hat – jetzt, wo sie ihn nicht mehr ungezwungen besuchen kann. „Corona hat die Situation stark verändert, Besuche waren lange Zeit gar nicht möglich“, sagt Dorit Jentsch. „Ich habe nur über die Pflegekräfte erfahren können, wie es ihm geht.“
Eine schwierige Zeit für alle sei das gewesen. Und auch jetzt seien Besuche nur unter ganz bestimmten Regeln möglich. „Ich sehe, dass mein Mann immer weniger wird. Was tue ich, wenn er stirbt und ich nicht bei ihm sein kann?“ Die Frage stellt sie sich in den vergangenen Wochen immer häufiger. Sie erzählt Hildegard Herma davon am Telefon. „Meist hilft es schon, wenn jemand zuhört“, sagt Dorit Jentsch, „und man die Gedanken und Sorgen teilen kann.“
Genau darum geht es den ehrenamtlichen Mitarbeitern des Oekumenischen Hospizdienstes Buchholz e.V. Der Verein vermittelt ausgebildete Hospizbegleiter an schwerkranke und sterbende Menschen und ihre Angehörigen. „Die Ehrenamtlichen nehmen sich Zeit für begleitende Gespräche und leisten damit emotionale Entlastung“, sagt Svenja Soria Vega. „Sie geben Trost und Beistand im Abschied und geben den Bedürfnissen und Wünschen der Menschen in der letzten Lebenszeit Raum.“
Svenja Soria Vega, die sich beim Hospizdienst um die Organisation ehrenamtlicher Einsätze kümmert, weiß, dass die Verständigung am Telefon schwieriger als das direkte Gespräch, welches über viele Kanäle geschieht. Die Hospizbegleiter haben gelernt, dass Augenbewegung und Mimik, Körperhaltung oder sogar die Position, die man im Raum zueinander einnimmt, eine Rolle spielen. Ist eine dieser Ebenen blockiert, kann es zu Missverständnissen und Konflikten kommen.
Auch telefonische Begleitung kann erfolgreich sein
Dennoch ist die Sozialpädagogin davon überzeugt, dass Begleitungen auch telefonisch erfolgreich sein können, und dass sie gerade in dieser Zeit von besonderer Bedeutung sind. „Wir sind weiterhin für die Sterbenden und ihre Angehörigen da“, sagt sie. „Gerade jetzt während der Corona-Pandemie umtreiben die Menschen unterschiedliche Ängste und Sorgen. Da ist die Belastung der Angehörigen, wenn ein Kontakt zu Menschen im Heim nicht möglich oder eingeschränkt ist.
Vor allem, wenn der Mensch aufgrund von einer Erkrankung wie Demenz den ausbleibenden Kontakt gar nicht verstehen kann.“ Es fehle die menschliche Nähe, die sonst selbstverständlich sei. „Ebenfalls ist die Sorge da, möglicherweise keinen Abschied mehr zu haben, wo Lebenszeit begrenzt ist oder wenn jemand plötzlich und rasch sich reduziert“, sagt Svenja Soria Vega. „Hier sehe ich uns als Hospizdienst in der Verantwortung einen Teil zur Entlastung und Unterstützung der Menschen beizutragen.“
Auch Elisabeth Glaser gehört zum Team der ehrenamtlichen Hospizbegleiter. Zu den beiden Familien, die sie bereits vor Ausbruch der Pandemie betreut hat, hält sie telefonischen Kontakt. „Ich bin für die Familien so eine Art Freundesersatz, sorge dafür, dass der Erkrankte nicht so isoliert wird“, sagt sie. „Als Corona anfing, gab es bei den Betroffenen große Unsicherheit. Fragen wie, welche Kontakte sind jetzt noch möglich, welche Gefährdung stellen die Angehörigen für den Menschen dar, der zur ’Risikogruppe’ gehört, standen im Raum.“
Des Weiteren habe man sich gefragt, ob die Pflegekräfte weiter kommen sollten. „Gemeinsam haben wir die Themen besprochen und Lösungen gefunden“, sagt Elisabeth Glaser. Sorge bereitet ihr jetzt vor allem die Zeit nach Corona. „Es wird eine neue Form der Trauer geben“, befürchtet sie. „Zu viele Menschen haben aufgrund der Pandemie nicht richtig Abschied nehmen können. Ihnen werden wir neue Wege aufzeigen müssen, Trauer oder gar Schuldgefühle zu bewältigen.“
Begleitung
Viele Menschen möchten trotz einer schweren Erkrankung ihre gewohnte Umgebung und die vertrauten Menschen nicht verlassen. Häufig fühlen sie sich jedoch überfordert und auch das nahe Umfeld ist mit Ängsten, Unsicherheit und Trauer konfrontiert.
Die ehrenamtlichen Mitarbeiter möchten Unterstützung anbieten und Entlastung schaffen. Die Begleitung schwerkranker Menschen und ihrer Angehörigen orientiert sich an den Wünschen, Bedürfnissen und Ressourcen der Menschen.
Die Mitarbeit im Hospizdienst erfordert ein hohes Maß an Einfühlungsvermögen, Flexibilität und sozialer Kompetenz. Um sich auf die Begleitung und Arbeit im Hospizbereich vorzubereiten, werden die ehrenamtlichen Mitarbeiter geschult.
Die Hospizbegleiter werden nach dem Celler Modell „Sterbende begleiten lernen“ ausgebildet. Die Ausbildung umfasst circa neun Monate mit rund 100 Unterrichtsstunden. Der Kurs ist gegliedert in Grundkurs, Praxisphase und Vertiefungskurs.
Die Kosten für den Vorbereitungskurs betragen 150 Euro. Nach zweijähriger aktiver Mitarbeit im Hospizdienst Buchholz werden diese zurückerstattet. Infos: www.hospizdienst-buchholz.de
Hospizgedanke
Der Begriff Hospiz stammt aus dem Lateinischen und bedeutet soviel wie Herberge. Bereits im Mittelalter boten Hospize Räume der Erholung und Ruhe für Wanderer und Pilger auf ihrer Reise.
Ende der 60er-Jahre gründete Cicely Saunders das erste Hospiz in London, das die Sterbebegleitung aus christlicher Nächstenliebe um fundiertes Fachwissen im medizinisch-pflegerischen Bereich ergänzte.
„Hospiz“ ist dabei in erster Linie als eine Haltung zu verstehen. Im Vordergrund steht nicht länger die Heilung der Erkrankung, sondern das umfassende Begleiten einer schweren, zum Tode führenden Krankheit nach palliativmedizinischen Grundsätzen.
Dieses Grundverständnis von Hospiz fand in Deutschland Ausdruck in einer ehrenamtlichen Bürgerbewegung – der Hospizbewegung. Der Ursprung der deutschen Hospizbewegung liegt in dem Wunsch, den Umgang mit dem Thema Sterben sowie die Begleitung schwerkranker und sterbender Menschen in unser alltägliches Leben zu integrieren.