Harburg. Die ASB-Einrichtung versorgt bedürftige Kinder seit der Schließung mit Hilfspaketen. Jetzt sollen Tablets verteilt werden.

Vergangene Woche sah Houda Mbarek endlich einmal wieder die Kinder aus dem Löwenhaus. Die Leiterin der Einrichtung für Mädchen und Jungs aus benachteiligten Familien besuchte die Sechs- bis 14-Jährigen in ihren Wohnungen im Phoenix-Viertel und verteilte an jedes einzelne eine Box mit Chicken-Nuggets und Pommes. Was die Pädagogin dort zu sehen bekam, erschütterte sie.

„Die Kinder waren in keinem guten Zustand“, sagt sie. „Viele hatten Ringe unter den Augen, sahen müde und kaputt aus. Ihnen fehlt die Struktur, die Schule, Menschen, die mit ihnen sprechen, sie wahrnehmen und sich kümmern. „Sie haben mich gefragt, wann sie endlich wieder kommen dürfen, zum Löwenhaus, zu ihren Freunden und in die Schule“, sagt Houda Mbarek. „Die Kinder sind wirklich in Not.“

ArArwina Hamad gehört zu den ehemaligen „Löwenhauskindern“. Sie näht jetzt ehrenamtlich Alltagsmasken für bedürftige Kinder aus  dem Viertel.
ArArwina Hamad gehört zu den ehemaligen „Löwenhauskindern“. Sie näht jetzt ehrenamtlich Alltagsmasken für bedürftige Kinder aus dem Viertel. © HA | Hanna Kastendieck

Um das zu ändern, startet das Löwenhaus in der kommenden Woche ein Projekt, das in Hamburg bislang einmalig sein dürfte. „Digitales Jugendhaus“ nennt sich die Aktion, bei der die Kinder quasi mittels eines Tablets Zugang zu den Angeboten des Löwenhauses haben sollen. Das Angebot richtet sich an Kinder aus sozialschwachen und bildungsfernen Elternhäusern und soll die Familien auf digitalem Wege bei vielfältig unterstützen.

„Über das digitale Jugendhaus bekommen wir als Einrichtung einen Zugang zu den Kindern“, sagt Houda Mbarek. „Wir können sie beim Lernen begleiten, mit ihnen spielen, Ideen zur Beschäftigung anbieten und als Ansprechpartner für die Kinder da sein.“ Getreu nach dem Motto: „Wenn die Kinder nicht ins Löwenhaus kommen können, kommt das Löwenhaus eben zu den Kindern.“

Spende von 20 Tablets macht das Jugendhaus digital

Die Idee für das „Digitale Jugendhaus“ kommt von Svenja Weber. Die Initiatorin hatte schon vor der Corona-Krise ein Konzept über das Projekt „Be my guide“ geschrieben und sich auf die Suche nach Sponsoren gemacht. Mit der API Kinder- und Jugendstiftung hat sie einen Partner gefunden, der das Projekt zunächst mit einer Spende von 20 Tablets unterstützt. Dass die Wahl aufs Löwenhaus fiel, ist Stiftungsvorsitzende Imme Adler zu verdanken, die einen Kontakt nach Harburg herstellte.

Löwenhausleiterin Houda Mbarek (l.) und Michaela Theißen vom ASB-Ortsverband Harburg packen 50 Hilfspakete für bedürftige Kinder.
Löwenhausleiterin Houda Mbarek (l.) und Michaela Theißen vom ASB-Ortsverband Harburg packen 50 Hilfspakete für bedürftige Kinder. © HA | Hanna Kastendieck

Aktuell werden die Tablets von Fachleuten für den Gebrauch vorbereitet. Anschließend soll die Hardware an die Kinder leihweise verteilt werden. „Sowohl die Mädchen und Jungs als auch die Betreuer werden eine Onlineschulung bekommen und gemeinsam lernen, wie ein erster Kommunikationskanal aufgebaut werden kann“, sagt Svenja Weber, die weiter aktiv Gelder für das Projekt sammeln will.

„Mein Ziel ist es, ein Tool an Geräten zu haben, so dass man mehreren Einrichtungen in Hamburg die Betreuung benachteiligter Kinder und Jugendliche auf diesem Wege ermöglicht“, sagt sie.

„Welche Themenfelder dort stattfinden sollen, entscheidet dann jedes Jugendhaus für sich.“ Möglich sei auch, mit Kooperationspartnern zusammenzuarbeiten und gemeinsam Themenräume zu schaffen, zu denen die Kinder sonst keinen Zugang haben, zum Beispiel gemeinsamer Musikunterricht oder Hörbücher.

Im „Digitalen Löwenhaus“ wird es aber zunächst einmal darum gehen, Kontakt zu den Kindern aufzunehmen und ihren Tag wieder richtig zu strukturieren. „Wir werden bei schulischen Themen begleiten, am Nachmittag gemeinsam basteln oder spielen“, sagt Houda Mbarek, die hofft, auf diese Weise den Kindern auch als Vertrauensperson zur Seite stehen zu können.

Sie weiß aus Erfahrung, wie schwierig das häusliche Umfeld der meisten ist. Und dass es immer wieder zu Problemen kommt. „Die meisten Eltern der Löwenhauskinder sind alleinerziehend, 98 Prozent von ihnen bekommen Hartz IV. Die Kinder und Jugendlichen kommen zu uns, weil sie jemanden brauchen, der zuhört und sie als Person wahrnimmt“, sagt die Löwenhausleiterin. Auch Gewalt sei definitiv ein Thema. Oft geht es um Kindeswohlgefährdung und Verwahrlosung.

„Normalerweise arbeiten wir eng mit den Schulen zusammen und bekommen über diesen Weg vieles mit“, so Mbarek. Jetzt, wo die Schulen geschlossen seien, sei sie in großer Sorge um die Kinder. „Vor der Krise war es schon schwer genug. Jetzt könnte die Situation zuhause eskalieren.“ Die Eltern seien es nicht gewohnt, die Kinder mit Mahlzeiten zu versorgen. Auch bei den Schulaufgaben seien viele überfordert. Hinzu komme die finanzielle Sorge und die Angst vor einer Ansteckung. „Der Druck ist enorm.“

„Von Mensch zu Mensch“ stellt Lebensmittelgutscheine

Mit dem „Digitalen Jugendhaus“ soll sich die Situation künftig so weit wie möglich entspannen. Darüber hinaus werden die Löwenhausmitarbeiter von kommender Woche an einmal pro Woche ein Lunchpaket an die Kinder verteilen. Außerdem werden die Familien mit Lebensmittelgutscheinen versorgt, die der Verein „Hamburger Abendblatt hilft“ mit seiner Initiative „Von Mensch zu Mensch“ mit Hilfe von Spendengeldern zur Verfügung gestellt hat. Bis zum Wochenende sollen darüber hinaus 50 Pakete gepackt werden. Darin sind unter anderem haltbare Lebensmittel, Hygieneartikel, Gutscheine, Bastelsachen, Spiele, Stifte und Papier.

Das ASB-Löwenhaus für benachteiligte Kinder liegt in der Kalischerstraße im Harburger Phoenix-Viertel.
Das ASB-Löwenhaus für benachteiligte Kinder liegt in der Kalischerstraße im Harburger Phoenix-Viertel. © HA | Hanna Kastendieck

Auch etwas ganz Persönliches wollen die Löwenhausmitarbeiter in das Paket hineinlegen. „Jedes Kind bekommt von uns eine selbstgenähte Maske, die mit dem eigenen Namen bestickt ist“, sagt Michaela Theißen, erste Vorsitzende des ASB-Ortsverbands Harburg e.V., der die Arbeit des Löwenhauses finanziert. „Damit wollen wir den Kindern die Möglichkeit geben, sich auch im Freien unbeschwert zu bewegen.“

Genäht werden die Masken übrigens von ehemaligen Löwenhauskindern, die sich nachmittags mit entsprechendem Sicherheitsabstand im großen Gruppenraum der Einrichtung an die Nähmaschinen setzen. Eine von ihnen ist Arwina Hamad. Die 17-Jährige kommt seit elf Jahren immer wieder ins Löwenhaus.

Die Menschen dort sind für sie wie eine zweite Familie. Sie hat hier viele gute Erfahrungen in ihrer Kindheit sammeln können. Nun ist froh, dass sie etwas zurückgeben kann. „Mir macht die Arbeit Spaß“, sagt sie. „Und wenn ich damit anderen eine Freude machen kann – um so besser!“

Löwenhaus

Das Löwenhaus wendet sich an Kinder im Alter von sechs bis 14 Jahren, die in der Schule Schwierigkeiten haben, nicht „mitkommen“ oder nach Schulschluss auf sich allein gestellt wären. Kooperationspartner ist die benachbarte Schule Maretstraße.

Die Einrichtung unterstützt und betreut benachteiligte Kinder und hat es sich zur Aufgabe gemacht, gezielt und kontinuierlich gegen soziale und kulturelle Benachteiligungen zu arbeiten.

Ein Großteil der Besucher bezieht staatliche Transferleistungen und lebt an der Armutsgrenze.

Das Angebot des Löwenhauses umfasst ein tägliches Mittagessen sowie ein warmes Abendessen. Es gibt Hilfestellungen bei den Hausaufgaben sowie ein breites Spiel- und Sportangebot und einen Raum zum Chillen.

Ausflüge und Reisen, Museums- und Theaterbesuche gehören ebenfalls zum Angebot.

Finanziert wird das Löwenhaus durch Spenden. Es erhält keinerlei staatliche Zuschüsse. Weitere Infos: www.asb-hamburg.de

Kinderschutz

Der Kinderschutzbund Kreisverband Harburg-Land e.V. befürchtet, dass das Kinderrecht auf gewaltfreie Erziehung in der Corona-Pandemie gefährdet ist.

DKSB-Präsident Heinz Hilgers fordert anlässlich des heutigen „Tags der gewaltfreien Erziehung“ eine Debatte darüber, wie die Betreuungseinrichtungen und Schulen schrittweise geöffnet werden können.

Heinz Hilgers: „Wir greifen aktuell tief in die Grundrechte von Kindern ein: Wir isolieren sie von ihren Spielkameraden. Wir begrenzen sie in ihrem verbrieften Recht auf Bildung. Und wir enthalten ihnen ausreichend körperliche Bewegung vor. Auch das sind Formen der Gewalt.“

Das Team des Kinderschutzbundes nimmt mit Begeisterung das beherzte Engagement von Lehrern und Schulleitungen im Landkreis wahr, die aktuell den Fokus ihrer Arbeit auf die emotionalen Bedürfnisse der Kinder und Jugendlichen legen. Noch nie sei die psycho-soziale Verantwortung von Schule so hoch gewesen wie aktuell.

Der Tag der gewaltfreien Erziehung wird in Deutschland seit 2004 begangen. Seit dem Jahr 2000 gilt in Deutschland das Recht des Kindes auf gewaltfreie Erziehung. Der Tag soll daran erinnern, dass die gesamte Gesellschaft die Verantwortung für das gewaltfreie Aufwachsen von Kindern trägt. Zudem soll er Eltern ermutigen, ihr Ideal einer gewaltfreien Erziehung Wirklichkeit werden zu lassen.