Hamburg. Klimaschützer wollen Abholzung in Altenwerder verhindern, Räumung wäre politisch heikel. Aktion sorgt auch im Senat für Zündstoff.
Sie kamen als Gruppe von sieben Personen, bauten in professioneller Manier ihr Protestcamp in den Bäumen in Hamburg auf – und weigern sich bislang, die Fläche wieder zu räumen: Seit mehreren Tagen halten Aktivisten eine Fläche im Vollhöfner Wald in Altenwerder besetzt. Damit wollen sie gegen eine mögliche zukünftige Abholzung des Gebiets demonstrieren. Die Polizei stuft die Aktion zwar als politische Versammlung ein, stellt den Besetzern nun jedoch ein Ultimatum. Zudem sorgt die Besetzung auch im rot-grünen Senat für politischen Zündstoff.
Aus Sicht der Wirtschaftsbehörde verstoßen die Besetzer gegen geltendes Recht. „Es handelt sich um ein Biotop, in dem der Bau von Behausungen verboten ist“, so die Sprecherin Susanne Meinecke. Das gleiche gelte für das Entzünden offener Feuer in dem Bereich. Die Besetzer posteten etwa ein Foto davon, wie sie etwa in dem Camp in Hamburg kochen. Sie hatten ein Baumhaus gebaut und auch zu einem „Plattenformbauworkshop“ eingeladen.
Auf einem großen Schild prangt ein Anarchisten-Stern
Das Protestcamp liegt versteckt am Ende eines schmalen Trampelpfades. Seile halten Balken und sind an den Bäume verzurrt. Auf einem großen Schild prangt ein Anarchisten-Stern und der Schriftzug: „Wir bleiben hier!“. An der Seite der Baumhütte flattert eine Flagge „Republik Freies Wendland“, die 1980 von der Anti-Atomkraft-Bewegung bei Gorleben ausgerufen wurde, aus einem Hüttendorf bestand und nach zwei Monaten geräumt wurde.
Die Hafenbehörde Hamburg Port Authority (HPA), der die Fläche gehört, trat ihr Hausrecht an die Polizei ab. Nach Abendblatt-Informationen hat diese die Besetzer nun aufgefordert, die Fläche bis zum Mittwoch um 12 Uhr zu räumen. Andernfalls könnten Zwangsmittel eingesetzt werden.
Widerstand gegen Abholzung und das politische Abwarten
Hintergrund der Besetzung ist die Befürchtung von Klimaschützern, dass die Stadt die etwa 45 Hektar große Fläche roden könnte, um Platz für die Erweiterung des Hafengebietes mit zusätzlichen Lagerhallen zu schaffen. Dagegen hatte auch eine Initiative unter dem Motto „Völli bleibt“ mehr als 6000 Unterschriften gesammelt. Auch der Umweltschutzverband NABU tritt für den Erhalt der Fläche ein. Er spricht davon, dass bedrohte Vogelarten wie der Kleinspecht, der Neuntöter und Trauerschnäpper dort Rückzugsorte fänden, „genau wie sechs gefährdete Fledermausarten und seltene Insekten“.
Bereits vor drei Wochen hatte Umweltsenator Jens Kerstan (Grüne) bei der Landesmitgliederversammlung seiner Partei verkündet, dass es vorerst keine Rodungen oder Fällungen in dem Waldgebiet an der Alten Süderelbe geben werde. „Ich habe mich mit Wirtschaftssenator Michael Westhagemann (parteilos, Anm. d. Red.) geeinigt: Es wird ein Moratorium für diese Fällperiode geben“, sagte Kerstan.
Umweltsenator Kerstan steht intern in der Kritik
Die Klimaschützer bezeichnen ihre Aktion in Hamburg dagegen selbst als notwendig – „da jetzt Handeln gefordert ist, um eine globale Katastrophe abzuwenden“, wie es auf dem Twitter-Account der Gruppe heißt. Auf ein Handeln der Politik könne man sich auch im Fall des Vollhöfner Waldes nicht verlassen.
Der NABU teilte ebenfalls per Twitter mit, man sei weder in die Planung der Aktion involviert gewesen noch sei diese überhaupt abgesprochen worden – „sie zeigt aber den Widerstand aus verschiedenen Gruppen gegen die Abholzung und das politische Abwarten“, so der Umweltverband. Am Montag teilten auch Kölner Aktivisten der Bewegung „Fridays for Future“ Bilder von einem Besuch in dem Protestcamp. Die Besetzer haben damit begonnen, einen Livestream im Internet einzurichten, wenn Polizisten zu Gesprächen oder Kontrollen zu dem Baumhaus kommen.
"Umgang mit dem Protestcamp" obliegt dem Bezirksamt Harburg
Während Umweltsenator Jens Kerstan sich auch in sozialen Netzwerken deutlich gegen eine Rodung des Gebiets aussprach, soll in Koalitionskreisen auch Irritation über das Verhalten des Grünen-Politikers herrschen. Zum einen heißt es, Kerstan habe mit der Verkündung des Moratoriums bei der eigenen Wählerklientel punkten wollen, obwohl eine schnelle Abholzung im Vollhöfner Wald gar nicht zur Debatte stand. „Wir wollen die Fläche ohnehin erst 2023 entwickeln“, hatte die Behördensprecherin Meinecke vor drei Wochen gesagt. „So lange werden wir nicht fällen. Etwas anderes hat Herr Westhagemann Herrn Kerstan auch nicht gesagt.“
Zum anderen wünscht man sich auf Seiten der SPD im Senat offenbar Unterstützung dabei, die Besetzer zum Ende ihrer Aktion zu bewegen, weil diese gegen das Gesetz verstoße. „Das Thema wird am Dienstag definitiv in der Senatssitzung aufkommen“, heißt es in Koalitionskreisen.
Ein Sprecher der Umweltbehörde sagte auf Anfrage, dass der Umgang mit dem Protestcamp dem Bezirksamt Harburg obliege. Offenbar ist nicht geplant, auf eine Räumung der Fläche zu drängen. „Aus naturschutzfachlicher Sicht stellt dieses Baumhaus keine Belastung dar“, so der Sprecher. „Die Brutzeit der Vögel ist vorbei“. Erst ab dem kommenden März bestünde in dieser Hinsicht wieder eine Gefahr, wenn sich Menschen in dem Gebiet niederließen.
Besetzer fuhren wohl mit Boot zum Vollhöfer Wald
Eine politische Bewertung der Protestaktion wollte Jens Kerstan auf Anfrage nicht abgeben. Im seinem Umfeld ist davon die Rede, dass er ursprünglich nichts von den erst für 2023 geplanten Erschließungsarbeiten wusste – möglicherweise habe dies auch Michael Westhagemann im Gespräch der Senatoren nicht gewusst oder jedenfalls nicht erwähnt. „Wichtig ist, dass dem Waldbestand dort erst einmal keine unmittelbare Gefahr droht“, heißt es.
Von der Polizei heißt es, dass die Besetzer möglicherweise mit einem Boot über die Alte Süderelbe bis zum Vollhöfer Wald gefahren sind. Eine Räumung des Baumhauses wäre politisch heikel. Die Besetzer wollten bei einem Besuch des Abendblattes nicht detailliert über ihr Anliegen sprechen. Einer der Aktivisten, der nach eigenen Angaben aus Hamburg kommt, sagte nur: „Wir bleiben hier. Mal sehen, was passiert.“
Appell an Fegebank und Kerstan: Keine Baumhaus-Räumung
Am Montagabend veröffentlichte die "Klimaschutzinitiative Vollhöfner Wald" einen an Katharina Fegebank und Jens Kerstan adressierten offenen Brief, in dem an die Zweite Bürgermeisterin und den Umweltsenator appelliert wird, das Baumhaus auch nach Ablauf des Ultimatums nicht zu räumen. Von den Aktivisten gehe "keine Gefahr für den Wald aus".
Neben der Verhinderung einer polizeilichen Räumung fordert die Initiative von den Grünen-Politikern ein Bekenntnis "für den Erhalt des Vollhöfner Waldes", das in etwaige Koalitionsverhandlungen nach den Bürgerschaftswahlen aufgenommen werden solle. Darüber hinaus solle das Baumhaus eine offizielle Duldung "bis zur Rettung" des Gehölzes erhalten.