Ramelsloh. Beim MTV haben Gewalt, Missbrauch und Mobbing keine Chance. Dafür gibt es den Niedersächsischen Kinder-haben-Rechte-Preis.

Mit dem Präventionsprojekt „Schweigen schützt die Falschen“ setzt sich ein ehrenamtliches Team beim MTV Ramelsloh seit fünf Jahren dafür ein, dass sich Kinder und Jugendliche in ihrem Verein sicher fühlen können. Nun ist das Projekt, das vom Landessportbund unterstützt wird und in Zusammenarbeit mit dem Kinderschutzbund im Landkreis Harburg umgesetzt wird, erneut ausgezeichnet worden. In Hannover nahm eine Reisebusdelegation des Sportvereins am Freitag einen K inder-haben-Rechte-Sonderpreis des Landes Niedersachsens entgegen.

Zusammen duschen, Hilfestellungen oder Übernachtungen – Körperlichkeit gehöre zum Sport und daran sei auch erst einmal nichts Schlimmes, sagt Nadine Becher, die das Projekt von Anfang an betreut. Doch Täter nutzen es aus, dass gerade hier Grenzüberschreitungen möglicherweise nicht sofort auffallen. Mit dem Projekt sollen deshalb zum einen potenzielle Täter abgeschreckt werden, sie sollen wissen, dass solche Überschreitungen nicht toleriert werden. Zum anderen geht es darum, die Kinder und Jugendlichen zu stärken und ihnen ihre Rechte bewusst zu machen.

Alle Kinder erhalten einen Pass mit ihren Rechten

Dafür geben die Projektbetreuer jedes Jahr an alle Kinder im Verein einen Kinder- und Jugendrechtepass aus. „Alle Mädchen und Jungen haben das Recht, sich im Verein wohl zu fühlen“, heißt es dort. Und: „Kein Kind und kein Erwachsener hat das Recht, Dir mit Blicken, Worten, Bilder oder Taten zu drohen oder Angst zu machen.“ Neun Grundsätze sind in dem vom Projektteam entworfenen Pass aufgeführt, auf einer letzten Seite unterschreiben der Betreuer im Verein, das Kind und dessen Eltern.

Es sei nicht selbstverständlich, dass Kinder und Jugendliche sich zu Wort melden, wenn sich ein Erwachsener unangemessen verhält, sagt Nadine Becher. „Die Kinder haben großen Respekt vor ihren Trainern, deshalb ist es so wichtig, sie immer wieder an ihre Rechte zu erinnern.“ Auf dem gesamten Vereinsgelände haben die 37-Jährige und ihre Mitstreiter leuchtend orangefarbenen Projektplakate aufgehängt. Auch das soll möglichen Tätern deutlich signalisieren, dass sie hier unerwünscht sind.

Übungsleiter und Trainer brauchen ein polizeiliches Führungszeugnis

Alle Trainer und Übungsleiter müssen beim MTV Ramelsloh zudem ein erweitertes Führungszeugnis vorlegen, die Kosten übernimmt der Landessportbund, die Einsicht aus Datenschutzgründen ein Rechtsanwalt. Das habe zwar anfangs bei einigen Trainern Kopfschütteln hervorgerufen, sagt Nadine Becher. „Aber es geht um unsere Kinder.“

480 Kinder und Jugendliche trainieren bei dem Verein, der insgesamt etwa 800 Mitglieder hat. Etwa 40 Trainer und Übungsleiter sind im Kinder- und Jugendbereich beschäftigt, die meisten in der Fußballabteilung. Es habe keine sexuellen Übergriffe gegeben, betont Nadine Becher, die oft mit dieser Frage konfrontiert wird. Allerdings habe es sie sehr zum Nachdenken gebracht, als sie beim Kinderschutzbund Zahlen zu sexueller Gewalt erfuhr.

Täter sind den Betroffenen häufig gut bekannt

„Etwa jedes vierte bis fünfte Mädchen und jeder neunte bis zwölfte Junge macht mindestens einmal vor dem 18. Lebensjahr eine sexuelle Gewalterfahrung“, sagt Kenneth Dittmann-Haselhorst vom Kreisverband Harburg des Deutschen Kinderschutzbundes (DKSB). Dazu zählen sexueller Missbrauch und Nötigung, exhibitionistische Handlungen, Missbrauch von Schutzbefohlenen und Vergewaltigung. Die Täter seien in zwei Drittel der Fällen den Betroffenen gut bekannt, in einem Drittel selbst minderjährig und kämen aus allen gesellschaftlichen Schichten.

Sportvereinen komme durch ihr Engagement in sportlich-körperlichen Tätigkeitsbereichen einerseits und ihrer gesamtgesellschaftlichen Einbindung andererseits eine wichtige Rolle bei der Prävention zu, sagt Dittmann-Haselhorst. „Vereine, die sich diesem Thema stellen und aktiv begegnen, zeichnen sich damit besonders aus, ihrer Verantwortung angemessen Sorge zu tragen.“ Schutzkonzepte müssten darüber hinaus in vielen weiteren Institutionen entwickelt werden, wie Kitas, Schulen oder Jugendfeuerwehren.

Vertrauenspersonen sind jederzeit ansprechbar

Zu dem Projekt gehört auch, dass es umfangreich geschulte Vertrauenspersonen gibt, bei denen sich Kinder oder auch Trainer melden können, wenn sie unangenehme Situationen erlebt haben. Beim MTV Ramelsloh haben diese Aufgabe der Judoleiter Tommy Freese und Daniela Wegner aus der Abteilung Volleyball übernommen. „Uns kann man einfach ansprechen“, sagt die 41-Jährige, die dafür in einem Infoflyer sowohl eine Handynummer als auch eine E-Mail-Adresse angegeben hat. Außerdem sind auf dem Gelände mehrere rote Kummerkästen aufgestellt, über die sich die Vereinsmitglieder melden können.

Wenn jemand zu ihr Kontakt aufnimmt, hält sich Daniela Wegner an einen Handlungsleitfaden, den sie in den Schulungen des Landessportbundes gelernt hat. Aufnehmen, genau dokumentieren und gegebenenfalls weitergeben – das sind die Schritte, die sie genau einhält. „Und ich gebe immer eine Rückmeldung, das war ein wertvoller Tipp des Kinderschutzbundes“, sagt sie.

Ein Leitfaden gibt Umgang mit Anschuldigungen vor

In erster Linie ist die Mutter von zwei Töchtern Ansprechpartnerin für Kinder, Jugendliche, Eltern und Trainer, außerdem kann sie zum Beispiel an Beratungsstellen vermitteln. Die Aufklärung eines Verdachts oder gar eine Ermittlung gehört dagegen ebenso wenig zu ihren Aufgaben wie eine möglicherweise erforderliche Therapie.

Die Inhalte bleiben innerhalb des dreiköpfigen Projektteams. Nur wenn es tatsächlich darum geht, dass Sanktionen ausgesprochen werden sollen, wird der Vereinsvorstand eingeschaltet. Bisher seien vor allem Konflikte in verschiedenen Teams angesprochen worden, sagt Daniela Wegner. Auch ein Fall von Mobbing wurde an sie herangetragen. „Das war ganz am Anfang und leider war der Fall zu dem Zeitpunkt schon eskaliert.“ Sexualisierte Gewalt sei dagegen bisher kein Thema gewesen.

Gewalt kann viele Gesichter haben

Den Initiatoren des Projekts ist es wichtig, dass sie mit ihrem Engagement vielfältige Formen von Gewalt – Missbrauch, Mobbing oder Konflikte mit dem Trainer – verhindern. „Wir haben erreicht, dass solche Themen hier kein Tabu mehr sind. Kinder können jederzeit sagen, was sie wollen und was nicht“, sagt Nadine Becher. „Je mehr Leute die Augen aufhalten, desto sicherer sind die Kinder und Jugendlichen im Sportverein. Deshalb ist es uns so wichtig, auf das Thema aufmerksam zu machen.“

Dabei wird auch die Auszeichnung helfen. Für die Preisverleihung in Hannover hat ein Filmteam zuvor einen professioneller Imagefilm mit zahlreichen Kindern und Jugendlichen aus dem Ramelsloher Verein gedreht.

Die jungen Mitglieder präsentieren darin ihre Sportarten und zeigen, wie das Miteinander in ihrem Verein gelingt. Nadine Becher ist stolz auf die Kinder, die großen Einsatz gezeigt haben. „Dieser Preis ist für sie!“

Film zum Projekt ist online zu sehen

Das Präventionsprojekt „Schweigen schützt die Falschen“ wird vom Deutschen Kinderschutzbund (DKSB) im Landkreis Harburg begleitet und vom Landessportbund (LSB) Niedersachsen unterstützt. Es gibt zwar keine direkte finanzielle Förderung, der LSB zahlt aber die umfangreichen Schulungen der Projektbetreuer im Verein. Diese können sich jederzeit beim DKSB Rat holen.

Weitere Vereine sollen dem MTV Ramelsloh folgen. Bereits gestartet sind die Vorbereitungen in Hollenstedt und Fleestedt. Vereine, die sich ebenfalls gegen jede Form von Gewalt in ihren Reihen stellen wollen, erhalten weitere Informationen beim Landessportbund auf www.lsb-niedersachsen.de oder beim MTV Ramelsloh auf www.mtv-ramelsloh.de.

Der Kinder-haben-Rechte-Preis des Deutschen Kinderschutzbundes und des Landes Niedersachsen zeichnet Projekte aus, die die UN-Kinderrechte bekannt machen und in der Gesellschaft verankern. Der Preis wird seit 2013 verliehen. In diesem Jahr lautete das Motto „Überall sicher sein“.

Der Film über den MTV Ramelsloh und die weiteren Preisträger ist im Internet auf www.kinderhabenrechtepreis.de zu sehen.