Harburg . Traditionshaus an der Harburger Schloßstraße muss schließen, weil es Teil eines Hotel-Projektes wird.

„Für das Grundstück ist seit 1730 dieses hafennahe Gasthaus bezeugt, das mit dem „Ausspann“ – den Stallungen für Pferde – dem Fracht- und Reiseverkehr diente.“ Dies ist auf dem blauen Hinweisschild zu lesen, das am historischen Fachwerkhaus an der Harburger Schloßstraße 7 angebracht ist. Hier residiert der Goldene Engel. Doch seit gestern ist erst einmal Schluss: Wirtin Waltraud Hörlberger muss das Traditions-Gasthaus aufgeben, weil das Gebäude Teil eines Hotelprojekts wird. Hinter ihm, zum Kaufhauskanal hin, ist ein Neubau mit 140 Zimmern geplant.

„Eine Ära geht zu Ende. Wir sind alle traurig“, sagte Hörlberger am Abschiedsabend, zu dem sie am Sonntag Lieferanten, Kunden und Stammgäste eingeladen hatte. „Morgen ist Umzug, und es wird schwer für uns, hier alles auszuräumen. Aber ich wünsche dem Haus, dass es weiterhin viele nette und zufriedene Gäste haben wird.“

Seit 2002 ist die gebürtige Österreicherin in der Binnenhafen-Gastronomie tätig. Fünf Jahre hatte sie den Goldenen Engel geleitet, der seit 2003 an den Harburger Gastronom und Veranstaltungsmacher Heiko Hornbacher verpachtet war. Zum September 2018 hatte Waltraud Hörlberger den Pachtvertrag komplett übernommen, der am 30. Juni 2019 auslief und nicht verlängert wurde.

Mit Catering will die Wirtin ihren Betrieb am Leben halten

Zur Gastwirtschaft gehörte auch Catering und Partyservice. Das Catering soll nun den Betrieb übergangsweise am Leben halten, bis ein neuer Standort im Binnenhafen gefunden ist. Hörlberger: „Das Catering ist stetig gewachsen und hat zuletzt fast 50 Prozent der Einnahmen ausgemacht. Wir werden jetzt in die Vogteistraße 20, in die ehemalige Metzgerei von Kohlhase, ziehen und dort die Catering-Küche einrichten.“ Vier Mitarbeiter werden das verkleinerte Team bilden: Ihren Koch möchte sie halten, dazu eine Küchenhilfe, einen Ausfahrer und eine Reinigungskraft – der Goldene Engel beschäftigte im Hochbetrieb bis zu 13 Mitarbeiter, inklusive Aushilfen.

Vor dem Goldenen Engel stand im Mai ein Bauschuttcontainer. Auf dem hinteren Teil des Grundstücks wurden Garagen- und Werkstatttrakt abgerissen, um dort ein Hotel zu errichten.
Vor dem Goldenen Engel stand im Mai ein Bauschuttcontainer. Auf dem hinteren Teil des Grundstücks wurden Garagen- und Werkstatttrakt abgerissen, um dort ein Hotel zu errichten. © HA | Angelika Hillmer

Der reine Catering-Betrieb in Rönneburg wird wie bisher Firmen und Privatkunden beliefern. Er soll einen neuen Namen bekommen, der jedoch noch nicht gefunden ist. Der Goldene Engel wird, so viel steht fest, an seinem angestammten Standort an der Schloßstraße bleiben. Die neue Firma wird mit ihm im Zusammenhang stehen, so Hörlberger.

Was genau aus dem denkmalgeschützten Fachwerkhaus werden wird, muss später der Betreiber des neuen Hotels entscheiden. „Der alte Eingang bleibt erhalten, ebenso die gesamte Außenfassade“, sagte Frank Andreas Kohl vom Investor Harburg aestate kürzlich dem Abendblatt. Doch jenseits der Außenmauern wird sich viel ändern. „Im Laufe der Zeit wurde in die Gasträume viel Neues eingebaut. Wir haben bisher nur eine grobe Vorstellung davon, was wirklich alt und erhaltenswert ist.“ Die Arbeiten werden „in enger Abstimmung mit dem Denkmalschutz“ ausgeführt, versicherte Kohl. Vieles spricht dafür, dass die Engel-Räume weiterhin der Gastlichkeit dienen werden, allerdings als Hotelrezeption, vielleicht mit Bar und Frühstücksraum. Aber womöglich nur für Hotelgäste.

Waltraud Hörlberger ist zuversichtlich, dass sie eines Tages im Binnenhafen wieder ein Gasthaus eröffnen wird. Sie sucht Räumlichkeiten am Wasser mit ausreichend großer Terrasse – der kleine Biergarten des Goldenen Engels habe nicht genug Außenplätze bieten können, sagt die Gastwirtin. Zwei Objekte hat Hörlberger im Visier – und ist mit den potenziellen Geschäftspartnern im Gespräch. Details kann sie noch nicht nennen. Und sie geht davon aus, dass es mindestens ein Jahr dauern wird, bis ein Ersatzstandort zur Verfügung steht. Deshalb will sie ihr Mobiliar vom Goldenen Engel verkaufen und nicht einlagern.

Die Gasthaus-Historie wurde schon mehrfach unterbrochen

„Wir suchen weiter“, versprach die Wirtin am Sonntagabend ihren Gästen. „Und, wer weiß: Noch ist nicht klar, was der zukünftige Hotelbetreiber machen wird. Vielleicht hat er Lust, an dem traditionellen Ort wieder eine Gaststätte einzurichten – wir stünden bereit!“

Ein Neuanfang an traditionsreicher Stelle würde zur Vergangenheit passen. Denn es ist nicht das erste Mal, dass dem Engel die Flügel gekappt werden. Im Zweiten Weltkrieg seien dort Zwangsarbeiter untergebracht worden, erzählte Karl-Heinrich Altstaedt kürzlich auf einem Treffen der Geschichtswerkstatt. Und 1985 gab es einen Brand, der das alte Fachwerkhaus fast vernichtete. Damals habe das Gebäude einem Makler gehört, der denkmalgeschützte Häuser aufkaufte, einige sanierte und andere abreißen ließ, berichteten Zeitzeugen auf dem Treffen. Und es habe einmal eine Bürgerinitiative zur Rettung des Goldenen Engel geben, als ein Investor andere Pläne für das Gebäude hatte, über einen Kindergarten oder ein Kino nachdachte. Ein Kino-Projekt hätte ebenfalls historische Wurzeln gehabt: In dem Ende des 19. Jahrhunderts angebauten Saal gab es ab 1915 Filmvorführungen. Damit war der Goldene Engel eines der ersten Kinos in Harburg.

Rückblick

Die Harburger Schloßstraße war das Zentrum des mittelalterlichen Harburgs. An ihr entlang entwickelte sich die Stadt von ihrer Keimzelle, der Horeburg auf der heutigen Schlossinsel landeinwärts. Hier stand das erste Rathaus, lebten wohlhabende Kaufleute und Handwerker.

Der goldene Engel war im 19. Jahrhundert eines von mehreren Gasthäusern an der belebten Straße und am Kanalplatz. Die anderen mussten weichen – der Engel gilt als eines der ältesten Lokale Harburgs.