Der emeritierte Hauptpastor von St. Michaelis schreibt alle zwei Wochen im Abendblatt. Diesmal geht es um die Gartenkultur vieler Völker.

Ich stehe am letzten Sonntag vor dem Nachbarschaftsgarten am Striepenweg in Hausbruch. Er liegt direkt neben dem P&R-Parkhaus. Die Pforte im Staketenzaun ist offen. Ich gehe hinein und entdecke drei Frauen mitten zwischen den Beeten neben einem neuen Gartenhaus. Sie sitzen in der Sonne und unterhalten sich. Eine von ihnen ist Ulrike Bögel. Sie war 30 Jahre Leiterin der Kita der Elbkinder am Wümmeweg. Sie ist sofort bereit, mir alles zu zeigen, was hier entstanden ist. Auf dem großen Grundstück gastierte früher öfter ein Zirkus. Für kurze Zeit war es eine Hundewiese.

„Im Oktober des letzten Jahres haben wir hier mit einer kleinen Gruppe angefangen, Büsche und Bäume zu pflanzen, Beete anzulegen und das Grundstück einzuzäunen. Vorher waren wir an einer anderen Stelle. Es gab Proteste von Anwohnern und viel Streit. Da haben viele den Mut verloren. Wir haben uns dann fachkundigen Rat geholt, um das Konzept eines offenen Nachbarschaftsgartens zu entwickeln.“

Lernen, wie ein Garten angelegt wird

Ein Fachmann vom „Institut Perma Kultur“ aus St. Pauli habe ihnen Hilfestellung gegeben, gesagt, wie der Boden so bereitet wird, dass er guten Ertrag bringt und nicht ausgelaugt wird. „Edouard van Diem hat uns auch gezeigt, wie Bäume gepflanzt und beschnitten werden. Studenten von der Gemüseakademie in Lübeck haben mit Schülern der Schulen An der Haake und Lange Striepen Gemüse angepflanzt. Die Schüler sind begeistert dabei. Der NABU hat im hinteren Teil Bienenvölker untergebracht. Interessenten werden hier geschult. Davon machen viele Gebrauch. Privatleute haben uns Pflanzen und Samen geschenkt“, sagt Ulrike Bögel.

Während unseres Gesprächs kommt eine „Nachbarschaftsmutter“ mit ihrer kleinen Tochter. Sie wird von den drei Frauen herzlich begrüßt. Das Rote Kreuz hat die Idee der Nachbarschaftsmütter gefördert. Ich nehme wahr, dass hier viel zusammengewachsen ist. Ulrike Bögel spricht immer wieder vom „Wir-Gefühl“ im Quartier. „Wir sind Menschenfischer, die davon überzeugt sind, dass alle dieses Gefühl in sich haben. Das wollen wir wecken und Menschen begeistern, damit hier gute Nachbarschaft wächst. Wir sind inzwischen wie eine große Familie“, sagt sie.

Zwei Männer aus Kurdistan kommen zum Tee

Da kommen zwei Männer und werden ebenfalls herzlich begrüßt. Es sind Kurden. Sie haben hier ein eigenes Beet. Sie wollen jetzt Tee kochen und den Sonntag genießen. Ulrike Bögel: „Sie und andere Flüchtlinge bringen ihre Kenntnisse über Gärten und Landwirtschaft hier ein. Das Wir-Bewusstsein fördert auf ganz natürliche Weise die Integration.“ Eine andere Frau erzählt von dem 12-jährigen rumänischen Jungen. Bögel: „Ach ja, der hat hier tagelang Rasenkanten gestochen. Ihm haben wir dann ein Beet geschenkt. Er möchte darauf Erdbeeren pflanzen.“ Ein kurdischer Junge möchte auch ein Beet haben. „Wir erkennen, dass er Verantwortung übernehmen will.“

Für das Wasser sorgen die Nachbarn

Dann erzählt sie von einem kurdischen Mitgärtner, der sehr viel arbeitet, obwohl er kein eigenes Beet hat. „Er spielt gern auf der Flöte. So haben wir einen Musikabend veranstaltet. In der großen Familie blieben wir bis spät in die Nacht zusammen, bis die Polizei kam, weil es zu laut wurde. Aber auch die Polizisten sind unsere nachbarschaftlichen Freunde“. Mich interessiert, woher die Gärtnerinnen aus Liebe Wasser erhalten. „Am Anfang haben wir aus dem Einkaufszentrum volle Gießkannen geschleppt. Dann hat uns die Freiwillige Feuerwehr versorgt. Jetzt füllen unsere Nachbarn von nebenan unsere Tanks“, lautet die Antwort.

„Gibt es einen langfristigen Vertrag?“ frage ich. „An ein Ende denke ich nicht. Wir leben jetzt hier gemeinsam und haben nur positive Gedanken über die Zukunft. Negative Gedanken leiste ich mir in meinem Rentenalter nicht mehr. Ich bin glücklich, wenn ein Mädchen hier mitarbeitet und sagt: ,Das ist ein Ort, wo nette Menschen sind.“

Ein anderes 12-jähriges Mädchen hat zur Feier der Eröffnung ein Plakat geschenkt. Aus ihren Worten spricht Begeisterung. Ganz unten sind die Partner und Förderer der Aktion aufgeführt. „Projekt der integrierten Stadtteilentwicklung Neuwiedenthal“. „Förderung durch die Lawaltz-Stiftung“ und die engagierten Mitarbeitenden des „Stadtteilbüros“. „Bezirksamt Harburg,“ „Heimspiel Neuwiedenthal“. „Städtebauförderung“.

Es wachsen Pflanzen und die Freundschaft

Ein wunderbares Beispiel für das Wachsen von unten – wie fast alles in der Natur von unten nach oben wächst und gedeiht. Aber auch eine Aktion für gelingendes Zusammenwachsen von Menschen verschiedener Interessen und Kulturen, beispielhaft für die Vielfalt und Pluralität unserer Gesellschaft. Aus jüdischer Weisheit stammt der Satz: „Sagt nie, ihr seid zu wenige! Es genügen Zwei, um eine Sache zu verändern.“ Hier sind es sogar mehr.