Das Danken ist in unserem Wohlstands-Wunderland und in Städten nicht so einfach. Wir leben mit dem Gefühl der Selbstverständlichkeit

Das Erntedankfest gehört zu den ältesten Festen der Menschheit. In christlicher Zeit ist das Fest der Ernte seit dem 3. Jahrhundert belegt. Einen einheitlichen Termin gab es nie. Verständlich, denn die Ernte wurde je nach Klimazone und Wetter zu verschiedenen Zeiten eingebracht. In Deutschland hat man sich auf den ersten Sonntag im Oktober geeinigt. In Neuenfelde auf den letzten Sonntag. Dann ist die Apfelernte eingebracht.

Interessant ist, wie sich in unserer Umgebung das Programm dieses Tages entwickelt hat. Zur Erlöserkirchengemeinde Vahrendorf gehört das Freilichtmuseum am Kiekeberg. Dort wird das Fest traditionell in einer Scheune begangen. Am Freitag bringen die Kinder der Kita Obst und Gemüse in die Kirche. Der Volkstanzkreis bindet die Erntekrone. Am Sonnabend werden Gaben und Krone in die Scheune gebracht. Der Altar und der Raum werden geschmückt. Sonntag beginnt der Gottesdienst für Groß und Klein um 10.00 Uhr. Ganz sicher wird dabei der „Schlager“ des Erntedankfestes gesungen, das Lied von Matthias Claudius „Wir pflügen und wir streuen den Samen auf das Land…“. Mit dem Kehrvers: „Alle gute Gabe kommt her von Gott, dem Herrn, drum dankt ihm, dankt, drum dankt ihm, dankt und hofft auf ihn!“. Frau Schuster vom Kiekeberg hatte vor Jahren eine besondere Idee. Die Erntegaben werden seitdem im „Gasthaus zum Kiekeberg“ für eine Suppe verwendet. Eingeladen werden vor allem ältere Menschen, die so Gemeinschaft und Gastfreundschaft erleben.

In Eißendorf fanden schon in der letzten Woche zwei große Gottesdienste in der Apostelkirche statt. Der Andrang war groß. Denn die Kinder aus 20 der 28 Klassen der Grundschule „In der alten Forst“ füllten an zwei Tagen die Kirche. Die Diakonin, Rena Lewitz, geht mit ihrer Gitarre in die Klassen, lädt alle ein und übt schon mal die Lieder. Die Kleinen sind begeistert. Auf meine Frage, ob auch die muslimischen Kinder teilnehmen und ob es Proteste der Eltern gegeben habe, antwortet sie: „Noch nie von Muslimen, eher schon von Eltern, die atheistisch sind.“ Wichtig ist ihr wie den Lehrern und Eltern, dass die Teilnahme der Kinder freiwillig ist.

Traditionell sind auch die Erntedankumzüge. Der größte in der weiteren Umgebung findet in Kirchwerder statt. Hier veranstaltet der „Förderverein Erntedankfest e.V.“ das große Volksfest. Das erinnert an die alte Tradition, als diese Volksfeste zur Ernte mit Karussells und Jahrmarktsbuden verbunden waren. 60 Gruppen und Vereine, Spielmannszüge und Blaskapellen ziehen mit 30 Erntewagen, von Treckern gezogen und festlich geschmückt, zum Festplatz. Nach dem Gottesdienst setzt sich der lange Zug in Bewegung, begeistert begrüßt von den vielen Menschen am Straßenrand.

Ich finde es schön, dass es einmal im Jahr einen besonderen Danktag gibt. Das Danken ist in unserem Wohlstands-Wunderland und besonders in Städten nicht so einfach. Wir leben mit dem Gefühl der Selbstverständlichkeit. Das tägliche Brot kommt in Hülle und Fülle aus der Bäckerei oder aus den Backöfen von Lidl. In den Supermärkten liegen Kiwis aus Australien, die Erdbeeren kommen im November aus Südafrika. Marzipan und Weihnachtsgebäck lag schon Ende September auf den übervollen Tischen der Supermärkte. Weil wir alles in Überfülle haben und kaufen können, verlieren wir das tiefe Grundgefühl der Dankbarkeit. Das verhindert auch das Staunen darüber, was uns alles in den Schoß fällt. Das ist ja viel mehr als wir uns selbst verdient haben. Es ist mehr als alles, was wir erarbeiten, schaffen und erreichen können. Darum wird am Erntedanktag für die Früchte der Felder und unserer Arbeit gedankt. Wer staunen kann, freut sich an allem, was ihm geschenkt wird. Und damit auch für das Wunder des Lebens, dieser kostbarsten Gabe. Eine Gabe, die so verletzbar, manchmal gefährdet und auch immer begrenzt ist.

In dieser Woche haben wir den „Tag der Deutschen Einheit“ begangen. Den ersten Danktag nach der Wiedervereinigung werde ich nie vergessen. Bundeskanzler Helmut Kohl hatte alle Kirchengemeinden aufgerufen, am 3. Oktober Dankgottesdienste zu feiern. Viele meiner Kollegen empfanden das als Einmischung und weigerten sich. Ich habe am 2. Oktober alle Hamburger zu mitternächtlicher Zeit in den Michel eingeladen, um für das Geschenk der Einheit staunend zu danken. Um Null Uhr läuteten die Glocken den Danktag ein. Im Kirchenschiff sangen wir den Choral „Nun danket alle Gott mit Herzen, Mund und Händen, der große Dinge tut an uns und allen Enden…“ Spontan erhoben sich alle von ihren Plätzen und sangen tief bewegt dieses bekannteste Danklied der Protestanten. Was die meisten nicht wussten: Als der 30-jährige Krieg 1648 endlich ein Ende fand, sang man in vielen Dankgottesdiensten eben dieses Lied als Dank für das so sehnlich erwartete Geschenk des Friedens.

Erntedank und der Dank für die geschenkte Einheit Deutschlands gehören für mich zusammen Seitdem sage ich mit Romano Guardini: „Dankbarkeit ist das Gedächtnis des Herzens,“ meines, unseres Herzens.