Harburg . Seit 2011 arbeitet Kuchta als Professorin für Abfallwirtschaft an der Technischen Universität. Nun wird sie Vizepräsidentin für die Lehre.

Gäbe es die weibliche Form für einen Hansdampf in allen Gassen – zu Dr. Kerstin Kuchta würde sie passen. Seit acht Jahren forscht und lehrt die Professorin an der Technischen Universität Hamburg (TUHH) in Harburg. Ihr Spezialgebiet sind Techniken, mit deren Hilfe sich aus Abfällen neue Rohstoffe gewinnen lassen, zum Beispiel das Kunststoff- oder Metallrecycling. Seit Jahren lebt die umtriebige Abfallfachfrau mit vollem Terminkalender. Jetzt übernimmt sie zusätzlich das Amt der Vizepräsidentin für Lehre.

„Das ist ein unbezahlter Halbtagsjob, auf den ich mich sehr freue“, sagt Kuchta. Vor einigen Wochen sei sie vom TU-Präsidenten Prof. Ed Brinksma gefragt worden, ob sie die Nachfolge von Sönke Knutzen antreten wolle, erzählt die Abfallexpertin. „Ich habe eingewilligt. Mein Team aus 23 Leuten muss nun einen Teil meiner Arbeit übernehmen. Das wird gehen. Ein halbes Jahr werden wir improvisieren müssen, denn der Semesterplan ist natürlich nicht darauf ausgelegt, dass ich dieses Amt jetzt übernehme.“

Die zweifache Mutter und engagierte Forscherin freut sich auf die neue Herausforderung: „Wir haben mit dem Wachstumskonzept für die Technische Universität viel vor. Für mich fühlt es sich an, als sei die TU wachgeküsst worden, was die Präsenz in der Öffentlichkeit angeht, aber auch bei der Weiterentwicklung von Forschung und Lehre. Das Amt bedeutet eine höhere Belastung. Aber sie ist zu ertragen, denn ich weiß, wofür ich das mache.“

Ein wichtiger Trittstein des Wachstumspfads wird der Hamburg Innovation Port (HIP) an der Blohmstraße im westlichen Binnenhafen.

Prof. Dr. Kerstin Kuchta leitet die Arbeitsgruppe Abfallressourcen der Technischen Universität Hamburg und wird am 1. April Vizepräsidentin der TUHH.
Prof. Dr. Kerstin Kuchta leitet die Arbeitsgruppe Abfallressourcen der Technischen Universität Hamburg und wird am 1. April Vizepräsidentin der TUHH. © HA | Angelika Hillmer

Investor Arne Weber will in dem in Bau befindlichen Technologiezentrum Wirtschaft und Wissenschaft zusammenbringen, und die TUHH braucht dringend Räumlichkeiten – eine Win-win-Situation. Schon heute arbeitet das Institut für Umwelttechnik und Energiewirtschaft, zu dem auch der Bereich Abfallressourcenwirtschaft gehört, im Binnenhafen, allerdings an einem weniger repräsentativen Standort: Der Charme des zweigeschossigen Gebäudes an der Harburger Schloßstraße 36 liegt irgendwo zwischen einem in die Jahre gekommenen Gewerbebau und gestapelten Containern. „Im Herbst ziehen wir in den HIP“, sagt Kuchta und greift nach einem Bild, das den fertigen Innovation Port veranschaulicht. Sie deutet auf eine Gebäudeecke an der Wasserseite: „Hier wird mein Büro sein“, sagt die Professorin und wirkt so, als könne sie den Umzug kaum erwarten.

Schon heute pendelt sie ständig – etwa für Vorlesungen – zwischen der Arbeitsstelle im Binnenhafen und dem TU-Campus auf dem Schwarzenberg hin und her. Das wird in Zukunft noch mehr werden. Gleichzeitig sei die TU traditionell im Binnenhafen verankert, etwa im Gründungsgebäude an der Harburger Schloßstraße 20. Kuchta: „Nun ist das Präsidium auch im Hafencampus vertreten.“

Als angehende Vizepräsidentin für die Lehre sieht die 53-Jährige vor allem zwei Aufgaben: „Wir müssen die Strahlkraft unserer modernen Lehransätze, die bereits mehrfach international ausgezeichnet wurden, auch nach innen wirken lassen. Dabei spielt eigenständiges Arbeiten in Gruppen eine große Rolle. Damit Lehrende und Lernende von der modernen Lehre stärker profitieren können als bisher, brauchen wir mehr Betreuungskapazitäten und mehr Räume.“ Das Lernen in Arbeitsgruppen mit Kommilitonen auf dem eigenen Level passe viel besser zur heutigen Arbeitswelt als die Frontallehre in Hörsälen, so Kuchta. „Wir wollen verantwortliche, kreative Gestalterinnen und Gestalter für die Zukunft ausbilden.“

Aufgabe Nummer zwei hat mit dem quantitativen Wachstum zu tun: Natürlich gelte es angesichts des Ziels, um 30 Prozent zu wachsen, noch mehr Abiturienten für ein Studium an der TUHH zu interessieren. Dazu müsse sich die TU stärker auf die Kommunikationsgewohnheiten der Zielgruppe einlassen, findet die Professorin.

Wie die Entscheidungsfindung von Gymnasiasten über zukünftige Studienfächer abläuft, kann Kuchta beispielhaft am eigenen Frühstückstisch in Marienthal (Bezirk Wandsbek) verfolgen – ihr Sohn besucht die elfte, die Tochter die zehnte Klasse. „Sie haben zum Beispiel gesagt, dass auf der TU-Website zu wenige Filme zu sehen sind. Wir wollen zwar kein Entertainment liefern, sondern legen Wert auf Qualität in der Lehre. Dennoch müssen wir darauf reagieren, wie heute kommuniziert wird.“ Zumal es an der TUHH durchaus üblich sei, Abschlussarbeiten im Filmformat einzureichen.

Prof. Dr. Kerstin Kuchta in ihrem Büro.
Prof. Dr. Kerstin Kuchta in ihrem Büro. © HA | Angelika Hillmer

Bundesweit stagnieren die Bewerberzahlen für Ingenieurstudiengänge, so Kuchta. „Ein Ingenieurstudium wird immer noch als schwierig angesehen.

Ein Medizinstudium auch, aber dort gibt es die Aussicht, als Arzt oder Ärztin viel Geld zu verdienen.“ Natürlich seien Ingenieure gefragt und könnten auch gut verdienen, sagt die promovierte Diplom-Ingenieurin. Aber viel wichtiger sei es aus ihrer Sicht, die Sinnfrage zu betonen: „Wir arbeiten an Themen wie Erneuerbare Energien, Lebenswissenschaften, Biotechnologie. Das sind alles entscheidende Zukunftsthemen. Wer ein Ingenieurstudium absolviert, betritt eine vielfältige Arbeitswelt mit viel gestalterischen Möglichkeiten.“

Die angehende Vizepräsidentin hält es für wichtig, vermehrt Frauen für die technischen Wissenschaften zu begeistern – derzeit liegt der Frauenanteil bei 26,4 Prozent. Sie selbst sei schon mehrmals „die erste“ gewesen: die erste Promovierende im Bereich Abfalltechnik an der Technischen Universität Darmstadt (1997), die erste Leiterin einer Arbeitsgruppe – und nun die erste Vizepräsidentin an der TUHH.

Neben der präsidialen Tätigkeit will Kerstin Kuchta weiterhin forschen. Gerade das Thema Plastik-Recycling habe in jüngster Zeit eine große Dynamik entfaltet. Es sei spannend, in dem für die Industrie eher lästigen Themenfeld zu arbeiten. Im Labor sei sie allerdings eher selten. Einen weißen Laborkittel habe sie noch, beantwortet sie lachend die Frage nach der typischen Arbeitskleidung. Und ergänzt: „Ich werte Labordaten aus und bin viel unterwegs, zum Austausch mit anderen Wissenschaftlern. Aber wenn es im Labor etwas Neues gibt, dann muss ich dahin und an ein paar Schrauben drehen.“

TUHH in Zahlen

7832 Studierende zählt die Technische Universität Hamburg in Harburg. Bis 2025/30 soll ihre Zahl auf 10.000 steigen.


94 Professoren sowie 673 Wissenschaftliche Mitarbeiter lehren und forschen an der TUHH.


19,7 Prozent
der Studierenden kommen aus dem Ausland. Die Frauenquote der Studentenschaft liegt bei 26,4 Prozent.


1464 Erstsemester
nahmen im vergangenen Jahr ihr Studium in Harburg auf. 1245 Studierende machten ihre Abschlüsse. Zudem wurden 104 Doktorarbeiten geschrieben.


Der Etat
der TUHH lag im Jahr 2018 bei gut 128 Millionen Euro. Der Betriebszuschuss der Stadt liegt bei 68,7 Millionen Euro.


978
wurde die TUHH als Technische Universität Hamburg-Harburg gegründet. 1980 begann der Forschungsbetrieb, zwei Jahre später die Lehre.