Hamburg. Erst vergangene Woche trat Thomas Völsch als Harburger Bezirksamtschef zurück. Jetzt erlag er dem Krebs. Ein Nachruf.

Er war unser guter Nachbar. Harburgs Bezirksamtsleiter Thomas Völsch hatte sein Büro in Sichtweite der Abendblatt-Regional­redaktion am Harburger Rathausmarkt. Wann immer er in Harburgs City unterwegs war – gern zu Fuß – und an unserem Wintergarten vorbeikam, klopfte er an die Scheibe und winkte uns fröhlich zu. Wenn er die Zeit hatte, kam Thomas Völsch auch gern mal einfach auf einen Schnack und einen Kaffee herein. Vorbei. Harburgs Bezirksamtsleiter hat den Kampf gegen den Krebs verloren und ist in der Nacht zum Dienstag verstorben.

Die Geschwindigkeit, mit der sich die Krankheit entwickelte, hinterlässt alle – Freunde, politische Weggefährten und Nachbarn – fassungslos. Noch im September wurde Völsch von der Harburger Bezirksversammlung erneut zum Bezirksamtsleiter gewählt. Erst vor einer knappen Woche bat er Hamburgs Bürgermeister Olaf Scholz darum, ihn vom Amt zu entbinden. Und nun lebt er nicht mehr.

Nachbar sein, unter den Menschen leben, für die er sich immer zuständig sah, war Völsch ein tiefes Bedürfnis. Anders als mancher Vorgänger im Amt des Bezirksamtsleiters sah er sich tatsächlich als ein Bürgermeister Harburgs. Er war ein Behördenchef, den die alltäglichen Sorgen der Menschen umtrieben und der – bei aller Professionalität als Politiker – nie die Bodenhaftung verloren hat.

Völsch war ein Zuhörer

Auf dem Höhepunkt der Flüchtlingswelle im Winter 2015/2016 saß er bei einem jener Nachbarschaftsbesuche auf unserem Redaktionssofa und sinnierte: „Die Unterbringung jetzt, das bekommen wir noch hin. Die eigentliche Herausforderung kommt, wenn wir diese Menschen in den Arbeitsmarkt integrieren wollen und ihre Kinder zur Schule gehen.“ In seiner Nachbarschaft, in Neu­graben-Fischbek, lag eine zentrale Erstaufnahme. Der Bezirksamtsleiter erlebte die Probleme damit sehr direkt.

Thomas Völsch war ein Zuhörer und ein Mensch, der seinen Einfluss geltend machen konnte, ohne ständig die Vorderkante der Bühne für sich in Anspruch zu nehmen. Seine integrative und ruhige Art, mit den Menschen und ihren Problemen umzugehen, brachte ihn politisch nach vorn. Seine frühere Arbeit als Geschäftsführer der SPD-Bürgerschaftsfraktion und als Vize- fraktionsvorsitzender sprechen für sich. Diese Ämter sind nichts für Menschen, die polarisieren. Integrationsfähigkeit und Empathie sind hier gefragt.

Beides war Thomas Völsch zu eigen. Kaum ein Bezirksamtsleiter vor ihm hat sich in so wenigen Jahren so viel Respekt quer durch alle in der Bezirksversammlung vertretenen politischen Parteien erworben wie Völsch. Die einstige Oppositionsmacht CDU unterstützte seine Wiederwahl im September ohne Vorbehalt und gern. Auch von den Grünen, Liberalen und Neuen Liberalen wurde besonders die integrative Kraft des Bezirksamtsleiters hervorgehoben. Und seine menschliche Integrität. Sie wollten ihn einfach alle gern in seinem Amt behalten.

Völsch war geerdet und humorvoll

Nicht zuletzt, weil der 59-Jährige die Verbundenheit mit seinem Bezirk tagtäglich gelebt hat. Entscheidungen zu treffen, die sich an der Lebenswirklichkeit der Menschen orientieren, war ihm wichtig. „Eine der größten Aufgaben ist es, dass die Menschen hier es sich leisten können müssen, in dieser Stadt gut zu leben“, sagte er in einem Interview mit dem Abendblatt. „Das hat zwei Aspekte: den finanziellen und die Lebensqualität.“

Wie sehr er dabei inzwischen seinem Bezirk verbunden war, wurde an der Entscheidung deutlich, gemeinsam mit seiner Frau Susanne nach 20 Jahren im Reihenhaus in Fischbek noch einmal umzuziehen: in den Harburger Binnenhafen. Dabei lockte ihn neben der Aussicht auf ein Leben im aufstrebenden und kulturell immer vielfältiger werdenden Stadtteil die Nähe zu Innenstadt und Arbeitsplatz. „Von hier aus kann ich alles mit dem Fahrrad erreichen“, sagte er. „Das ist einfach fantastisch.“ Und so blickte Thomas Völsch voller Zuversicht und Mut auf einen neuen Abschnitt in seinem Leben. Dabei blieb er stets geerdet und mit einem Humor gesegnet, der ihm über manche Krise hinweghalf.

Mit der Diagnose Krebs ging Völsch realistisch um

Auch mit der Diagnose Krebs ging Thomas Völsch in der ihm eigenen Art um: realistisch – doch ohne zu resignieren. Und er bezog als Person des öffentlichen Lebens seine Umwelt ein.

„Ich sehe keinen Grund, mich zu verstecken“, sagte er in einem Gespräch. „Aber es ist auch durchaus so, dass meine Arbeit für mich eine gute Ablenkung von den Gedanken ist, die ich mir sonst immer machen würde. Doch ich habe gelernt. Ich mache nur noch so viel, wie ich mir wirklich zumuten kann. Ich mache dann eben auch größere Pausen.“

Auch seine Hoffnung wurde zuletzt wieder größer. Sicher war er sich nicht, den Krebs überwunden zu haben. Aber sicher genug, um sein Amt weiterzuführen. Er hatte sich entschieden – auch für den Kampf gegen die Krankheit. Jetzt hat er ihn verloren. Thomas Völsch fehlt.