Unsere Reihe „Auf Achse“ stellt Menschen vor, die viele Kilometer täglich beruflich unterwegs sind. Heute: Busfahrerin Christiane Saft.
Manchmal sind es neun Stunden. Immer auf derselben Route. Vom Harburger Busbahnhof links in die Moorstraße, rechts in die Wilstorfer, dann wieder rechts auf den Ring. Den Schwarzenberg hinauf, vorbei an Uni, S-Bahn, Krankenhaus, rechts in die Denickestraße, am Heisenberg vorbei, Triftstraße rauf und wieder die Heimfelder runter, schnell noch eine Schleife durch den Binnenhafen und zurück zum Bahnhof. Immer rundherum. „Den Ring“, nennt Christiane Saft die Tour des 142-ers, die eine halbe Stunde dauert. Bevor eine neue beginnt. Und noch eine.
Christiane Saft dreht sich im Kreis, an fünf Tagen die Woche, 39 Stunden insgesamt. Und sie tut das gern. Weil hinter den scheinbar immer gleichen Abläufen oftmals unerwartete Herausforderungen stecken. „Jeder Tag, jede Fahrt ist anders. Ich weiß morgens nie, was ich erlebe“, sagt die 50-Jährige. Freundliche Fahrgäste oder frustrierte Pöbler, Menschen, die sich bedanken oder bei ihr ausheulen, die Hilfe brauchen.
Sie weiß bei Schichtbeginn nicht, ob die Straßen frei sind, Feuerwehreinsätze oder Bombenentschärfungen passieren, ob die Haltestellen zugeparkt sind und sie den Fahrplan einhalten kann. Was sie weiß, ist, dass sie ihr eigener Herr am Arbeitsplatz ist, ihr keiner über die Schulter schaut. „Ein Stück Freiheit“, nennt sie das.
Die Linie 142 gehört zu den meistgenutzten in Harburg
Es ist 6.17 Uhr. Dienstbeginn. Christiane Saft ist seit zwei Stunden auf den Beinen. Damit sie alles in Ruhe erledigen kann, frühstücken, Brotdose packen und den Rucksack für unterwegs, in dem alles drin ist, was sie für den Notfall braucht: Wasserflasche, Taschentücher, Medikamente gegen Übelkeit, Kopfschmerztabletten, Pflaster und das Handy. Es sind nur ein paar hundert Meter Fußweg von ihrer Haustür bis zum Betriebshof an der Winsener Straße.
Sie meldet sich am Fahrer-Informations-Terminal an, druckt den Routenplan für den Tag aus. Auf dem Monitor sieht sie, welcher Bus heute für sie vorgesehen ist. Dann steigt sie in ihr Fahrzeug, ein Citaro Euro 5 der Marke Mercedes Benz, mit Klimaanlage, Rampe, LAWO-LED-Fahrtzielanzeige, Dieselbetrieben, 286 PS stark mit 30 Fahrgast-Sitzen und Stehplätzen. Sie startet den Motor und steuert den Bahnhof an.
Die Linie 142 gehört zu den meistgenutzten in Harburg. Insgesamt rund 60 Busse sind hier am Tag unterwegs - zeitgleich im Durchschnitt elf. Sie verkehren im Fünf-Minuten-Takt, bringen Studierende an die TUHH, Patienten zur Asklepios-Klinik, Schüler Schulen, Menschen zum Einkaufen in die City, zum Bahnhof oder auch in den Harburger Binnenhafen. Werktags startet die erste Tour um 4.02 Uhr am AK Harburg, die letzte endet um 1.29 Uhr am Bahnhof Harburg.
14000 Fahrgäste werden täglich mit dem 142-er befördert. Seitdem die Fahrgäste ihren Fahrschein beim Einsteigen vorzeigen müssen, hat Christiane Saft zu jedem von ihnen Kontakt. Doch die meisten schauen ihr nicht einmal ins Gesicht, gehen stumm vorbei. Manchmal grüßt einer freundlich oder bedankt sich. Das sind gute Momente.
„Wenn ich merke, dass sich die Menschen wohl fühlen, macht die Arbeit Spaß“, sagt Christiane Saft. „Und auch dann, wenn sie meinen Fahrstil loben.“ Das komme vor, dass Fahrgäste meinen, Frauen seien die besseren Fahrer, erzählt sie. Rücksichtsvoller, bedächtiger, nicht so aggressiv. „Ich glaube das nicht“, sagt sie. Die meisten Fahrer, die ihr an diesem Vormittag entgegenkommen sind männlich. Der Anteil der Frauen im Fahrdienst liegt nach Unternehmensangaben bei etwa zehn Prozent. „Uns liegt daran, diesen zu erhöhen“, sagt Sprecherin Constanze Dinse.
So würden im Rahmen der aktuellen Offensive beispielsweise augenzwinkernde Kampagnenmotive genutzt, um eventuelle Hemmschwellen mit Blick auf den bislang männerdominierten Beruf abzubauen. „Das Problem für viele Frauen ist die Vereinbarkeit von Beruf und Familie“, glaubt Christiane Saft. Sie spricht aus Erfahrung. Erst als ihre Tochter 15 war, hat sie sich bei der Hochbahn beworben.
Bis dahin arbeitete die gelernte Zahnarzthelferin in der Spätschicht der Post. Tagsüber war sie für die Kinder da, abends übernahm ihr Mann Andreas. Dieser ist ebenfalls Busfahrer. Genauso wie Sohn Alexander. Im Herbst 2009 sah sie durch Zufall in der U-Bahn eine Werbung der Hochbahn mit dem Slogan „Wir suchen Fahrer“. Ihr erster Gedanke: „Warum nicht auch ich?“ Sie schickte eine Bewerbung. Im November begann ihre Ausbildung. Am 15. Dezember hatte sie den Führerschein Klasse D zum Fahren eines Busses in der Tasche.
Seitdem ist die mit dem zwölf Meter langen Fahrzeug in Harburg und Wilhelmsburg unterwegs. Ab und zu fährt sie auch mal bis zum Berliner Tor. In all den Jahren hat sie noch nie einen Unfall gebaut. „Es sieht schwerer aus als es ist“, sagt sie. „,Der Mittelstreifen ist dein Freund’, hat mir mein Fahrlehrer gesagt. Wenn ich mich daran orientiere, bleiben die Autos am Fahrbahnrand verschont.“ Das funktioniert.
Sie weiß, wie groß die Verantwortung ist, die sie als Busfahrerin trägt. Und dass ein Fahrfehler Menschenleben kosten kann. Wenn Eltern ihr Kind im fahrenden Bus rumlaufen lassen, wird sie schon mal laut. „Die Fliehkraft eines fahrenden Busses ist schon bei 20 Stundenkilometern so hoch, dass man durch den Bus fliegt, wenn ich plötzlich bremse“, sagt sie. Schlimm sei auch, dass viele Passanten die Kraft und Geschwindigkeit eines Busses unterschätzen würden. Oft komme es vor, dass diese noch schnell vor dem herannahenden Bus über die Straße rennen. „Horror, wenn da einmal etwas passiert.“
Als Fahrerin des Busses hat sie Hausrecht
Das sind die Schattenseiten. Ignorante Verkehrsteilnehmer, Fahrgäste, die Streit suchen. „Da gibt es einige Stammkunden, denen ich schon beim Einsteigen sage, ,wenn du nicht ruhig bist, kannst du gehen’.“ Als Fahrerin des Busses hat sie das Hausrecht, kann entscheiden, wann sie jemanden von der Fahrt ausschließt. „Ich habe die Pflicht, zu gewährleisten, dass alle meine Fahrgäste sicher von A nach B kommen“, sagt Christiane Saft.
„Wenn es Ärger gibt, handeln wir nach festen Plänen.“ Bei einem Unfall wird die Leitstelle sofort informiert und kann bei Bedarf umgehend Polizei sowie Rettungsdienst anfordern. Bleibt ein Fahrzeug liegen, verständigt der Fahrer ebenfalls die Leitstelle und es wird ein sogenannter UHD-Wagen (Unfall-Hilfs-Dienst) geschickt. Sie brauchte diesen nur einmal. „Da ging mir nachts das Getriebe des Busses kaputt, natürlich kurz vor Schichtende“, sagt sie.
Weder einen Unfall , noch Übergriffe durch aggressive Fahrgäste hat sie bisher erlebt. „Natürlich wurde ich schon beschimpft und aufs Übelste beleidigt“, sagt sie. Nur einmal, in der Linie 154, haben sich zwei Männer geprügelt. Die Geschichte ging glimpflich aus. Ein anderes Mal stieg eine Schwangere mit heftigen Wehen in den Bus. Da rief Christiane Saft vorsorglich den Krankenwagen.
Sie fühlt sich sicher an ihrem Arbeitsplatz. „Wenn wirklich einmal etwas passiert, kann ich per Notruf Kontakt zur Leitstelle aufnehmen, welche sich per Kamera direkt aufschalten und die Situation bewerten kann“, sagt sie. So können innerhalb weniger Minuten Einsatzkräfte der Hochbahn-Wache oder auch der Polizei bei Bedarf vor Ort sein.“
Angst habe sie noch nie gehabt. Als sie am Wochenende des G-20-Gipels jedoch die Bilder des Hamburger Linienbusses auf der Elbchaussee sah, die vielen Vermummten, die daran vorbeizogen, Bengalos anzündeten und schließlich die Scheibe an der Fahrerseite einschlugen, war sie doch schockiert. „Ich habe mit dem Kollegen mitgefühlt“, sagt sie. „Das war bedrohlich.“
Dass einem Fahrer immer die Zeit im Nacken sitzt, ist klar. Und manchmal ist der Bahnhof so vollgeparkt, dass sie Mühe hat, ihren Bus für ein paar Minuten abzustellen, um kurz auf die Toilette zu gehen. Diesmal aber klappt alles problemlos. Nach sieben Runden mit dem 142-er wechselt sie die Linie.
Noch vier Touren nach Wilhelmsburg und zurück, das war’s für heute. Feierabend. Christiane Saft stellt den Bus am Betriebshof ab, zahlt die Einnahmen am automatischen Zählgerät ein. Schnell noch einen Blick auf die morgige Tour. Dann geht es nach Hause. Vielleicht will sie nachher noch einmal in die Stadt fahren. Natürlich mit dem Bus.
Busfahrer werden
Mit dem Slogan „Für Hamburg am Start - mit 280 PS“ will die Hochbahn neue Busfahrer gewinnen. In diesem Jahr stellt das Unternehmen rund 170 Busfahrer und -fahrerinnen ein – bis Ende des Jahres aktuell noch rund 80. Derzeit sind etwa 2000 Busfahrer bei der Hochbahn beschäftigt.
Die Ausbildung in der betriebseigenen Fahrschule dauert in der Regel drei Monate. Unterrichtet werden auch Tarif- und Streckenfragen.
Das Gehalt liegt drei Monate lang bei einer 39-Stunden-Woche bei 2262 Euro. Nach drei Monaten erhöht es sich auf 2374 Euro plus Zuschläge für Wochenend- und Feiertagsdienste.
Voraussetzungen sind ein Mindestalter von 21 Jahren, ein gepflegtes Äußeres, Schulabschluss sowie Führerschein Klasse B seit mindestens zwei Jahren, gute Deutschkenntnisse und Freundlichkeit.
Bewerbungen sind über den Online-Bewerbungstool der Hochbahn möglich unter www.hochbahn.de/busfahrer.
Details zum Ablauf der Ausbildung können Interessenten diesem Blog entnehmen: http://dialog.hochbahn.de/unser-job-fuer-hamburg/busfahren-im-selbstversuch/
Die Hochbahn
Die Hochbahn befindet sich im Besitz der Freien und Hansestadt Hamburg – und ist ein nach privatwirtschaftlichen Grundsätzen geführtes Unternehmen mit rund 5000 Mitarbeitern und rund 1,2 Millionen Fahrgästen täglich. Es ist der größte Partner im Hamburger Verkehrsverbund.
1327 Bushaltestellen und 91 U-Bahn-Haltestellen gehören zu Hochbahn. Das Streckennetz umfasst rund 1000 km.
Auf 111 Buslinien werden 212 Millionen Fahrgäste pro Jahr befördert. Insgesamt werden 820 Fahrzeuge betrieben.
Im Süderelberaum fahren insgesamt um die 50 Buslinien inklusive Nachtbusse. Die am meisten frequentierte Strecke im Süden ist die Linie 13 von der S-Bahn Veddel nach Kirchdorf Süd mit rund 34.000 Fahrgästen täglich.
In Harburg gibt es zwei Betriebshöfe, von denen aus die Busse eingesetzt werden. Der Betriebshof Harburg I liegt an der Winsener Straße Harburg II an der Hannoverschen Straße.