Harburg. Sportpolitiker Sören Schumacher (SPD) und Michael Rothschuh (NOlympia) über das Für und Wider Olympischer Spiele in Hamburg.
Am Sonntag, 29. November, stimmen die Hamburger in einem Referendum darüber ab, ob die Stadt die Olympischen Spiele 2024 nach Hamburg holen soll. In einem Streitgespräch haben der Harburger Bürgerschaftsabgeordnete und Mitglied des Sportausschusses, Sören Schumacher (SPD), und der Wilhelmsburger Professor für Sozialpolitik, Michael Rothschuh, noch einmal die Argumente der Befürworter und Gegner ausgetauscht.
Hamburger Abendblatt: Passt solch ein Megaevent überhaupt noch in diese Zeit, oder hat die Welt nicht wichtigere Probleme zu lösen?
Sören Schumacher: Solch ein Fest passt ganz hervorragend in diese Zeit. Es dient der Völkerverständigung, es ist ein Friedens- und Freiheitsfest der Jugend. So etwas hat immer Platz in unserer Gesellschaft.
Michael Rothschuh: Ich glaube, Hamburg hat Wichtigeres zu tun. Hamburg muss sich zu einer sozialen Zwei-Millionen-Stadt entwickeln, in der alle Stadtteile gleichermaßen entwickelt werden und nicht nur ein Areal im Hafengebiet.
Werden die zahlreichen Affären, in die in jüngerer Vergangenheit Spitzenverbände wie die FIFA, der russische Leichtathletikverband oder das IOC selbst verstrickt waren und sind, Einfluss auf das Abstimmungsverhalten am Sonntag haben?
Schumacher: Wer diese Verbände in eine positive Richtung steuern will, der kann sich entscheiden, ob er dabei steht und zuschaut, oder sich aktiv einbringt. Solch eine Chance bietet gerade die Hamburger Bewerbung. Mit der Agenda 2020 hat das IOC unter seinem deutschen Präsidenten Thomas Bach begonnen, sich zu reformieren und die Spiele neu zu entwickeln, dabei kann Olympia in Hamburg sehr hilfreich sein.
Rothschuh: Hamburg ist kein Rehabilitationszentrum und keine Besserungsanstalt für das IOC. Außerdem ist Olympia nichts für eine Stadt, die über kein Leichtathletik-taugliches Stadion verfügt, und nicht mal über ein sofort bebauungsfähiges Gelände dafür.
Ist es nicht so, dass die reiche Stadt Hamburg mit Olympia vor allem viele ihrer infrastrukturellen Probleme lösen will?
Rothschuh: Diese Probleme werden mit dem Konzept ja gar nicht angegangen. Hamburg braucht Stadtentwicklung, hat aber keine langfristige Planung. Das betrifft auch die dringend notwendige Koordination mit der Hafenentwicklung. Dass dies so eng mit Olympia verknüpft wird, ist ein großer Fehler. Wenn der Senat sagt, der neue Stadtteil auf dem Kleinen Grasbrook entstehe ohne Olympia nicht, dann widerspricht er sich selbst, hat er dessen Entwicklung doch zu einem unverzichtbaren Stadtentwicklungsprojekt erklärt.
Schumacher: Hamburg hatte über alle Senate immer eine aktive Stadtentwicklungspolitik. Der amtierende SPD-Senat hat sich etwa bei dem wichtigen Problem der Wohnungsnot klar positioniert mit dem Bau von 6000 Wohnungen pro Jahr. Weitere Stichworte zum Thema sind die Entwicklung der HafenCity und der Sprung über die Elbe. Die großen Förderprogramme des Bundes sind in den vergangenen Jahren am Norden vorbeigegangen, profitiert hat vor allem der Süden des Landes. Jetzt zieht Hamburg die Aufmerksamkeit des Bundes durch die Olympiabewerbung in den Norden. So können jetzt viele Infrastrukturprojekte beschleunigt werden, die ohnehin geplant waren.
Es geht aber nicht nur um den Bau von Autobahnen. Viele Sportstätten Hamburgs, gerade für den Jugend- und Breitensport, sind höchst sanierungsbedürftig und keineswegs fit für Olympia, wie gern glauben gemacht wird.
Schumacher: Dank der seit 2011 umgesetzten Dekadenstrategie ist die Aufwertung dieser Hallen und Sportplätze nicht abhängig von einer erfolgreichen Olympiabewerbung. Es ist vollkommen klar: Ohne Breiten-, kein Spitzensport. Deshalb hat der Senat das große Konjunkturprogramm für Schulen mit seinen Sportstätten in einem Umfang von 2,5 Milliarden aufgelegt. Hinzu kommen 4,5 Millionen Euro für die Sanierung von Sportplätzen. Olympia könnte diesen Prozess natürlich beschleunigen. Der Breitensport würde also in erheblichem Maße profitieren.
Rothschuh: Olympia wird dazu führen, dass in den nächsten Jahren vorrangig die Sportstätten entwickelt werden, die für Olympia von Bedeutung sind. Das betrifft im Übrigen auch alle anderen städtebaulichen Projekte, wie Radwege, U-Bahnen, den Wohnungsbau.
Schumacher: Woher nehmen sie diese Erkenntnis?
Rothschuh: Weil die notwendigen Olympiabauten so viele Kapazitäten und Ressourcen binden werden, dass für andere Bauvorhaben nichts übrig bleibt. Zumal ja auch etliche temporäre Bauten entstehen, die erst errichtet und später wieder zurückgebaut werden müssen. Eine Mär ist auch, dass vorhandene Sportstätten wie die Messehallen schon fit für Olympia seien. Richtig ist, dass die Stützen in den Hallen entfernt werden müssen. Das wiederum hat Auswirkungen auf die gesamte Dachkonstruktion, die neu aufgesetzt werden muss.
Hätte man den Kleinen Grasbrook nicht auch ohne Olympia entwickeln können?
Rothschuh: Die Frage ist doch, ob er für den Wohnungsbau überhaupt geeignet ist. Rundherum ist viel Lärm, werden Gefahrengüter umgeschlagen und gelagert, und auf dem Terrain ist es sehr eng. Stand heute wäre eine Wohnbebauung gar nicht erlaubt. Langfristig gäbe es sicher eine Chance für die Stadt, die problematischen Umschlagplätze umzusiedeln und das Gebiet zu einem Wohnquartier zu entwickeln. Doch das braucht Zeit, um den Firmen auch Planungssicherheit zu geben. Im Hau-Ruck-Verfahren geht es nicht und würde so deutlich teurer. 1,3 Milliarden Euro sind jetzt schon veranschlagt, was ja auch kein Pappenstiel ist.
Schumacher: Ohne Olympia gibt es keine Chance, den Kleinen Grasbrook zu entwickeln, das kann sich Hamburg schlicht nicht leisten. Viele der von Herrn Rothschuh genannten Gegenargumente gab es allerdings auch vor der Entwicklung der HafenCity – und die wurde auch realisiert. Die Hafenwirtschaft ist aber nur im Zusammenhang mit einer Bewerbung für die Olympischen Spiele zu einer Einigung bereit.
Sind die Kosten für Olympische Spiele in diesen Zeiten überhaupt verlässlich schätzbar angesichts eines Vorlaufs von neun Jahren?
Schumacher: Der Finanzreport ist sehr seriös erstellt worden. Die Politik hat aus dem Finanzdesaster Elbphilharmonie gelernt, die zehnmal so teuer geworden ist, wie ursprünglich geplant. Mit dem kostenstabilen Bauen hat sich die Stadt neu aufgestellt. Es sind also diverse Kostenaufschläge, etwa für teurer werdende Baustoffe und die Inflationsrate, eingerechnet. Stadien mit einer Kapazität von rund 60.000 Plätzen werden heute international mit rund 300 Millionen Euro veranschlagt. Das Hamburger Olympiastadion steht mit 600 Millionen Euro im Finanzreport.
Rothschuh: Wenn Hamburg ein Olympiastadion bauen will, das hinterher zum Wohnen geeignet ist, will die Stadt etwas bauen, was weltweit „einmalig“ ist und für das es keine Erfahrungswerte gibt. So war es auch bei der „einmaligen“ Elbphilharmonie. Allein die Kosten des Stadionrückbaus in Wohnungen kann niemand seriös prognostizieren. Hinzu kommt der enorme Zeitdruck: Niemand kann garantieren, dass der Kleine Grasbrook bis 2024 von einem Hafengebiet zu einem tauglichen Olympiagelände umgewandelt werden kann.
Schumacher: Die Bauzeit macht mir keine Sorge. Weltweit entstehen große Projekte in relativ kurzer Zeit. Da gibt es genügend positive Beispiele, wie die acht großen Konzert- und Opernhäuser in China zeigen, die dort in den letzten Jahren entstanden sind.
Rothschuh: Es ist wohl richtig, dass in China anders gebaut und geplant wird. Unter anderem deshalb, weil es dort ein ganz anderes Bau- und Umweltrecht mit eingeschränkten Bürgerrechten gibt. Ich finde es aber bemerkenswert, dass Sie in diesem Zusammenhang ausgerechnet mit den Verhältnissen einer Diktatur argumentieren.
Schumacher: Ich habe mich rein aufs Bauen bezogen. Natürlich bin ich froh, dass wir in Deutschland langfristige, rechtsstaatliche Planungsprozesse haben, anders als in autoritären Staaten wie Dubai, Katar, Saudi-Arabien oder eben China.
Wird es zur Deckung der Kosten nicht zu einer massiven Umschichtung des Hamburger Haushalts kommen müssen und welche Bereiche werden besondere Kürzungen hinzunehmen haben?
Schumacher: Es werden keine Bereiche Kürzungen hinnehmen müssen und es wird auch keine massive Umschichtung geben. Der Hamburger Haushalt liegt derzeit bei etwa 11,5 Milliarden Euro. Wir reden hier von einem gedeckelten Betrag für Olympia von 1,2 Milliarden Euro, verteilt auf sechs Jahre à 200 Millionen – und die werden auch zur Verfügung stehen.
Rothschuh: Es ist eine rein rechnerische Logik, dass umgeschichtet werden muss. Denn 200 Millionen Euro pro Jahr werden fehlen, die für andere Ausgaben nicht zur Verfügung stehen.
Schumacher: Dem ist eben nicht so, diese 200 Millionen wären sonst in die Schuldentilgung geflossen. Und noch mal: Nicht Hamburg bewirbt sich, sondern der Deutsche Olympische Sportbund. Und auch die Kanzlerin hat ja gesagt, dass solch eine Bewerbung eine nationale Aufgabe ist.
Rothschuh: Das Bundesinnenministerium will sehr genau prüfen, welche Kosten wirklich für Olympia anfallen und welche überwiegend der Stadtentwicklung dienen.
Schumacher: Das ist auch völlig in Ordnung, dass sich der Bund Zeit nimmt und keinen Blankoscheck ausstellt. Aber es gibt auch noch andere Töpfe als den des Innenministeriums.
Rothschuh: Es gibt Versteckmöglichkeiten in Sonderhaushalten, die einen scheinbar gesichtswahrenden Ausweg böten. Ein Beispiel: Die Hamburg Port Authority darf sich verschulden. Faktisch wären aber auch das öffentliche Kosten.
Schumacher: Es ist zutreffend, dass der Rechnungshof vor Risiken gewarnt hat. Aber all das wird bei der Finanzplanung auch berücksichtigt. Von irgendwelchen Schattenhaushalten kann gar keine Rede sein.
Wir sollten aber nicht nur immer die Kostenseite Olympias betrachten. Ich brenne für diese Spiele, weil Olympia die Welt nach Hamburg holt und die Stadt im Ausland noch bekannter macht. Es ist aber vor allem ein Gemeinschaftserlebnis, das so nur die integrative Kraft des Sports ermöglicht. Es wird das Gemeinschaftsgefühl in der Stadt stärken, weit über Olympia hinaus. Insofern ist jeder Euro bestens investiert. Die Chancen sind alle mal größer als die Risiken.
Rothschuh: Die Welt ist ja schon mitten in Hamburg. Wir sollten Finanzmittel und auch Personal besser jetzt schon, auch für den Sport, in den Stadtteilen und Quartieren einsetzen, in denen die Menschen zu Hause sind oder ihr Zuhause finden wollen. Hamburg ist auch ohne Olympia weltweit bekannt. Nein, Olympia ist überwiegend ein kommerzielles Ereignis. Wir müssen aber andere Prioritäten setzen.
Mit welchem Ergebnis würde das Referendum Olympia in Hamburg tatsächlich legitimieren?
Schumacher: 20 Prozent der Wahlberechtigten müssen mit Ja stimmen, dann wäre das Quorum erreicht. Und dann ist es so, wie es in einer Demokratie immer ist: Die einfache Mehrheit zählt.
Und 51 Prozent Zustimmung wären ein klares Votum dieser Stadt für Olympia?
Schumacher: Wünschen würde ich mir, wenn 80 Prozent mit Ja stimmen. Aber ich bin nicht naiv und unrealistisch – man darf in unserer Gesellschaft auch dagegen sein. Doch selbst 51 Prozent wären eine Mehrheit. Das Ergebnis wird aber sicher klarer ausfallen.
Rothschuh: Ich finde es problematisch, dass der Staat und die Stadt ihre Mittel so offensiv eingesetzt haben, um für diese Spiele Werbung zu machen. Es gab keine objektive und ausgewogene Darstellung. Diese Art der Bewerbung halte ich nicht für demokratisch.