Hamburg. Vor elf Jahren startete eines der umstrittensten Energieprojekte Hamburgs. Nun wurde das Kohlekraftwerk eröffnet – nicht ohne Protest.

Die unüberbrück­baren ideologischen Gräben bestehen nach wie vor: Während die einen am Donnerstag von einem „wunderschönen Bau“, einer „Meisterleistung deutscher Ingenieurskunst“ und einem „wichtigen Teil der Energiewende“ schwärmten, echauffierten sich die anderen über die „CO 2 -Schleuder“ als „Bankrotterklärung für den Klimaschutz“. In dieser unverändert unversöhnlichen Gemengelage wurde das umstrittene Kohlekraftwerk Moorburg nach acht Jahren Bauzeit offiziell eingeweiht. Zum symbolischen Knopfdruck kamen neben dem Spitzenpersonal des schwedischen Betreibers Vattenfall auch Bürgermeister Olaf Scholz und 500 Gäste zur Anlage – sowie Protestdelegationen der Umweltschützer von BUND und Robin Wood.

Bei der Zeremonie im Innern wurde die beinahe unendliche Geschichte des Bauwerks nicht verschwiegen. „Geplant unter einem CDU-Bürgermeister, genehmigt von einer grünen Umweltsenatorin, eingeweiht von einem sozialdemokratischen Bürgermeister – mehr geht nicht“, sagte Scholz. Und weiter im Ironiemodus: „Ach, und Gerichte sind auch immer dabei gewesen.“

Eine Anspielung auf die juristischen Auseinandersetzungen, die den Bau des drei Milliarden Euro teuren Kraftwerks begleitet haben und immer noch begleiten. Aktuell befasst sich das Bundesverwaltungsgericht mit der Revision von Umweltbehörde und Vattenfall, nachdem der Bund für Umwelt und Naturschutz (BUND) die wasserrechtliche Erlaubnis beklagt hatte und vom Oberverwaltungsgericht bestätigt worden ist. Erwartetes Urteil: 2016.

Hamburgs Bürgermeister Olaf Scholz (SPD, M.), Vattenfall-Präsident Magnus Hall (r.) und Deutschland-Chef Tuomo Hatakka drücken am Donnerstag bei der offiziellen Einweihung des Kraftwerk Hamburg-Moorburg einen symbolischen roten Knopf.
Hamburgs Bürgermeister Olaf Scholz (SPD, M.), Vattenfall-Präsident Magnus Hall (r.) und Deutschland-Chef Tuomo Hatakka drücken am Donnerstag bei der offiziellen Einweihung des Kraftwerk Hamburg-Moorburg einen symbolischen roten Knopf. © dpa | Christian Charisius

Dabei hängen die beiden Blöcke des Kraftwerks seit Februar beziehungsweise August dieses Jahres am Netz, haben nach Unternehmensangaben schon fünf Millionen Megawattstunden Strom eingespeist – der Jahresverbrauch von etwa 1,6 Millionen Haushalten. Bei voller Leistung seien pro Jahr elf Milliarden Kilowattstunden drin. „Moorburg wird gebraucht“, sagte Pieter Wasmuth, Vattenfall-Chef für Norddeutschland.

Die Anlage stabilisiere das Stromnetz, sobald die Energie aus Wind- und Solaranlagen nicht ausreiche. Und wenn das Atomkraftwerk Brokdorf 2021 abgeschaltet werde, verbleibe Moorburg als einziges großes Kraftwerk der Region. Gleichwohl wäre Vattenfall die Investitionsentscheidung von damals heute „schwieriger“ gefallen, wie Magnus Hall, Vorstandsvorsitzender von Vattenfall, einräumte. Zu viel ist passiert.

Bei Volllast kann das Kraftwerk die Stadt allein mit Strom versorgen

Zur Erinnerung: Im Jahr 2004 drängte der CDU-Senat unter Ole von Beust den Kraftwerksbetreiber zu einem doppelt so großen Kraftwerk wie geplant. Als Jahre später die Grünen, die mit „Kohle von Beust“ Wahlkampf gegen Moorburg gemacht hatten, mitregierten, verschärfte Umweltsenatorin Anja Hajduk die Auflagen. Daraufhin strengte Vattenfall ein kritisch gesehenes, weil intransparentes internationales Schiedsgerichtsverfahren an, was dem Konzern als ausländischem Unternehmen zusteht – und verklagte die Stadt auf 1,4 Milliarden Euro.

Ein nicht öffentlicher Vergleich legte dieses Verfahren vorerst bei, weshalb nun nach elf Jahren Planungs-, Bau- und Erprobungszeit einerseits ein überdimensioniertes, andererseits ein limitiertes Kraftwerk (Wirkungsgrad 46,5 Prozent) eingeweiht wurde. Denn eine abgelehnte Fernwärmetrasse für nun nicht nutzbare Abwärme und ein zusätzlicher Kühlturm sind nur weitere Teile dieses Streits. Dennoch, so Vattenfall, sei Moorburg wirtschaftlich.

„Doppelt so viel CO2 wie Hamburgs gesamter Straßenverkehr“

Die Industrieanlage wurde auf maximale Flexibilität geeicht, kann binnen Minuten die Leistung variieren und bei Volllast die Stadt allein mit Strom versorgen. Dabei würde sie aber auch 8,5 Millionen Tonnen CO2 jährlich ausstoßen. Ein Widerspruch zur zeitgenössischen Energiepolitik, wie BUND-Landesgeschäftsführer Manfred Braasch kritisiert: „Es gehört schon eine Menge Zynismus dazu, vor der Uno-Klimakonferenz auf ein Kraftwerk anzustoßen, das pro Tag doppelt so viel CO2 ausstößt wie Hamburgs gesamter Straßenverkehr.“ Die Anlage sei ein klimapolitisches Armutszeugnis und gefährde das Ziel, die CO2-Emission bis zum Jahr 2050 um mehr als 80 Prozent gegenüber 1990 zu senken.

Der konventionell im Kohlekraftwerk gewonnene Strom sei wichtig für Hamburg, erwiderte Olaf Scholz. Bisher könnten erst 50 Prozent des Bedarfs durch regenerative Energie gedeckt werden. Gleichzeitig ging der Bürgermeister davon aus, „eine der letzten Anlagen dieser Art“ einzuweihen, ein fast schon „bewegender Moment“. Dabei gehört es zur Ironie dieser Geschichte, dass das Kraftwerk am Tag seiner offiziellen Einweihung nicht am Netz war, nicht gebraucht wurde. Dafür war es zu windig draußen.