Hamburg. Hunderte Flüchtlinge erreichen Hamburg, andere wurden zu weiteren Unterkünften im Norden geschickt - mit falsch datierten Papieren.

Um 22.11 Uhr kommt der ICE 90 an Gleis 2 in Harburg langsam zum Stehen, die Bremsgeräusche gehen im Jubel unter. „Welcome!“, ruft eine Frau, andere wedeln mit den Armen, ein Spalier aus Helfern mit Kisten voller Obst, Kleidung und Geschenken reicht bis zum Ausgang. Insgesamt 500 Hamburger bereiten den 175 Flüchtlingen, die tagelang in Ungarn ausharren mussten und schließlich mit 6800 weiteren Menschen nach Deutschland einreisen durften, am späten Sonnabendabend einen warmherzigen Empfang.

Spitzenbeamte der Innenbehörde hatten am Morgen in einer Telefonkonferenz mit Vertretern aller 16 Bundesländer vereinbart, dass Hamburg 2,5 Prozent der aus Ungarn kommenden Flüchtlinge, also etwa 200 Menschen aufnehmen wird. Die genaue Zahl richtet sich nach dem sogenannten Königssteiner Schlüssel. Ein Sprecher der Innenbehörde nannte den Transport eine „politisch besondere Ankunft“. In sozialen Netzwerken hatten Nutzer die Fahrt des unter dem Titel „Train of Hope“, Zug der Hoffnung, begleitet.

Als die 175 Menschen nach teils monatelanger Flucht in Hamburg aussteigen, weiten sich ihre Pupillen, einige brechen später in Tränen aus. Unter den Schutzsuchenden sind viele Familien, kleine Kinder, die mit offenem Mund durch das Gedränge gehen, einige heben zart den Daumen. Zunächst lassen die Helfer den Flüchtlingen noch einen acht Meter breiten Durchgang, dann rücken sie dichter heran, überreichen Bananenbündel, Äpfel und Plastikbeutel mit Süßigkeiten und Kleidung, bis die Menschen vor Hilfsgütern auf dem Arm kaum vorwärts kommen.

„Thank You, Germany“, sagt eine Frau, gähnend wegen des Schlafmangels und gerührt von der Hilfsbereitschaft. Anderen ist das große Willkommen zu viel. Ein Mann nimmt Anlauf mit einem Kinderwagen und sprintet los, bis er aus dem Gedränge heraus ist. Etliche Helfer bleiben noch mit großen Vorräten zurück, als um 22.40 Uhr die letzten Flüchtlinge den Bahnhof in Richtung der Registrierungsstelle an der Harburger Poststraße verlassen.

Noch Sonnabendnacht begannen Ärzte damit, die Daten der Flüchtlinge zu erfassen und sie medizinisch zu untersuchen. Die Asklepios-Klinik Harburg hielt eine Station und Ärzte bereit, um Patienten aus dem Zug sofort aufnehmen zu können.

Die Flüchtlinge aus Ungarn wurden zunächst in den Containern der städtischen Gesellschaft „Fördern & Wohnen“ untergebracht. Am Sonntag kam ein weiterer Zug mit etwa 120 Menschen von insgesamt 7000 Schutzsuchenden am Hauptbahnhof an – 15 davon sollen ebenfalls in Hamburg untergebracht werden. Der Großteil fuhr nach einem kurzen Aufenthalt weiter in Richtung Dänemark und Schweden.

Drei Busse sollten bis zum Sonntagabend etwa 150 Flüchtlinge aus der Harburger Poststraße in die Notunterkunft in die Messehalle B6 bringen, die als Notunterkunft für Flüchtlinge dient. Eine Sonderbehandlung für die Flüchtlinge werde es nicht geben. „Sie werden auf mehrere Erstaufnahmen verteilt und in Containern, möglicherweise aber auch in Zelten schlafen“, hieß es aus dem Senat.

Für die Ankunft des Sonderzuges aus Wien verteilte die Innenbehörde jedoch schon vor der Ankunft des Zuges mehrere Hundert weitere Flüchtlinge um. Die bisherigen Bewohner der Schlafplätze in der Hamburger Poststraße wurden bereits ab Sonnabendnachmittag in die Messehallen geschickt. Dort wurden regulär rund 600 Plätze frei, da weitere Flüchtlinge in großer Zahl in andere Bundesländer gebracht wurden.

Bei dem Transfer kam es laut Augenzeugen bereits am Freitagabend zu turbulenten Szenen. „Einige Bewohner aus den Messehallen dachten kurzzeitig, sie müssten Deutschland verlassen. Andere sollten etwa zu einer Unterkunft in Niedersachsen fahren, aber niemand sagte ihnen den genauen Weg dorthin“, sagte eine Freiwillige der Initiative „Refugees Welcome“ im Karolinenviertel. Am Sonnabend hätten weitere Flüchtlinge fehlerhafte Dokumente erhalten. „Auf einigen Zetteln stand, die Geflüchteten sollten sich bis zum 24. August 2015 in anderen Unterkünften melden. Das hat zusätzliche Verwirrung gestiftet“. Neben den Mitarbeitern von Fördern & Wohnen berieten mehrere Dutzend Freiwillige die Flüchtlinge bei der Weiterreise.

Am Sonntagnachmittag legte eine Hilfsaktion an der Messehalle B6 zeitweise den Verkehr in der Umgebung lahm. Erneut sortierten mehrere Hundert Freiwillige in der Kleiderkammer die Spenden für die Bewohner. Die Autos weiterer Hamburger, die neue Hilfsgüter zur Messe brachten, stauten sich auf etwa einem Kilometer Länge.