Nguyen Phong Dien wurde als Kind verletzt, kommt nach Hamburg, muss zurück und bekommt dann doch Bleiberecht. Eine Mutmachgeschichte.
Weltweit reißen die Flüchtlingsströme nicht ab. Über 20 Millionen fliehen aus Not, und Angst, vor Verfolgung, Kriegen und Terroristen. Sie müssen alles aufgeben.
Zahlen sagen wenig. Die Bilder, die wir täglich sehen, machen uns fassungslos. Aber sie machen auch viele aktiv. Ich erlebe dankbar, dass sich immer mehr Menschen in den Flüchtlingsunterkünften persönlich einsetzen. In diesen Tagen ist eine Gruppe dabei, sich auf die 51 unbegleiteten minderjährigen Jugendlichen vorzubereiten, die die drei neuen Häuser in der Cuxhavener Straße zum Teil bereits bezogen haben. Die Arbeit wird vom Stadtteilbüro Neuwiedenthal, der Thomaskirchengemeinde und engagierten Bürgern organisiert. An vielen Orten ist eine Willkommenskultur entstanden. Es gibt nicht nur Pegida-Proteste und Vorbehalte gegen Flüchtlingsunterkünfte in der Nachbarschaft oder sogar Brandanschläge.. Bischof Huber sagte: „Die Sorge um den Nächsten und den fernen Nächsten gehörten zusammen. Der Umgang mit Flüchtlingen ist ein Lackmustest für eine offene Gesellschaft.“ Er hat Recht.
Der Vertrag sah vor, dass er nach Kriegsende hier nicht bleiben konnte
Sich für Flüchtlinge einzusetzen hat eine gute Tradition bei uns. Ich will das an einem besonderen Einzelschicksal beschreiben: Nguyen Phong Dien wurde im Alter von fünf Jahren 1968 im Vietnamkrieg durch eine Granate schwer verletzt. Die Organisation Terre des hommes brachte ihn mit anderen verletzten Kindern 1968 nach Hamburg. Er wurde im AK Barmbek behandelt. Die Lähmung konnte nicht behoben werden. Eine Hamburgerin wurde seine Pflegemutter. Er nennt sie heute noch seine „Mama“. Sie holte ihn jedes Wochenende mit ihrem „Käfer“ zu sich nach Hause und zeigte ihm unser schönes Hamburg. Mit elf Jahren musste er zurück nach Vietnam. Der Vertrag sah vor, dass er nach Kriegsende hier nicht bleiben konnte. Die vietnamesische Sprache war ihm fremd. Zu Haus wurde er versteckt. Bei der Hochzeit seiner Schwester musste er das Gepäck der Gäste im dunklen Hinterzimmer bewachen. Durch das Schlüsselloch konnte er dem Fest zuschauen. In Vietnam galt eine Behinderung, wie er sie hatte, als Strafe Gottes! Der Junge strotzte vor Lebensmut und Tatendrang. Mit seinem klapperigen Rollstuhl brach er auf nach Saigon und lernte bei einem Uhrenmacher. Dort lernte ihn 2007 die Hamburger Reiseschriftstellerin Bruni Praske kennen. Inzwischen hatte er einen kleinen Laden. Geschäft und Wohnen auf kleinstem Raum. Frau Praske war fasziniert von der starken Persönlichkeit. Zusammen schrieben sie ein faszinierendes Buch „Heimat ist ein fremdes Land“. Das Buch und das zielstrebige Engagement der Autorin machte es möglich, dass Dien 2009 nach Hamburg zurückkehren konnte. Allerdings geduldet und nur so lange, wie er hier arbeitete als Mitautor. Mitglieder des Vereins „New Generation“ wurden auf das Buch aufmerksam. Sie luden ihn zu einer Lesung ein. Die fand großen Anklang. Ich organisierte daraufhin eine öffentliche Lesung mit ihm und Bruni Praske. Wir riefen einen Unterstützerkreis für Dien ins Leben. Und fanden 51 Menschen, die mit einem Dauerauftrag die Kosten seines Aufenthaltes aufbrachten.
Dien bekommt einen unbefristeten Arbeitsvertrag und könne seine Tätigkeit in Eppendorf aufnehmen
Er selbst betätigte sich ehrenamtlich als Übersetzer von Predigten in der Freien Ev. Gemeinde Hamm. Er ist evangelischer Christ. Zu der Gemeinde gehören viele Hamburger Vietnamesen. Er begleitete einige zu Ärzten und zu Behörden. Auch zur Ausländerbehörde. Die Mitarbeitenden kümmerten sich geradezu liebevoll um ihn. Ich begleitete ihn zu dem Welcome-Center der Handelskammer, um mir Rat zu holen für sein Bleiberecht. Das Center ist eingerichtet für die Migranten, die der Arbeitsmarkt dringend braucht. Auch dort: Wohlwollen und Unterstützung.
Ich konnte Artikel über ihn und sein Schicksal im Hamburger Abendblatt unterbringen. Auch im Fernsehen wurde berichtet. Das Ziel war, eine feste Anstellung für ihn zu finden. Er spricht perfekt Deutsch, kann mit dem Computer umgehen. Das Ergebnis: Niemand meldete sich. Wir ließen nicht locker. Dann waren die Bemühungen eines Mitgliedes von New Generation von Erfolg gekrönt: Sie hatte sich für die neue Seniorenresidenz der Bethanienstiftung Berlin in Eppendorf angemeldet. Trat an den Vorsitzenden der Stiftung heran und fragte nach einer Anstellung für Dien. Der lud ihn ein zu einem Gespräch. Und war von ihm so überzeugt, dass er ihm eine dreimonatige Ausbildung zum Betreuungshelfer anbot. Es folgen noch weitere Ausbildungen. Dann rief mich Dien an und berichtete überglücklich, dass er die Ausbildung mit sehr gut bestanden habe. Er habe jetzt einen unbefristeten Arbeitsvertrag und könne seine Tätigkeit in Eppendorf aufnehmen. Mit seinem „Rolli“ sei er auch gleich zur Ausländerbehörde gefahren. Die Mitarbeiterin habe ihn mit „Da ist ja unser Dien!“ begrüßt und erklärt, dass er nach zwei Jahren das endgültige Bleiberecht erhalte. Ein Traum ist wahr geworden!
Wir sind froh und dankbar. Wir haben das Ziel unserer Bemühungen um einen besonderen „Flüchtling“ erreicht. Ich erzähle seine Geschichte gern weiter. Nicht um uns zu rühmen. Es ist eine Mutmachgeschichte. Wir möchten dokumentieren, dass der persönliche Einsatz für den Nächsten und den fernen Nächsten dazu beiträgt, an einer offenen Gesellschaft mitzubauen.