Wilhelmsburg. Der Musiker denkt viel über Live-Performance von elektronischer Musik nach. Den Beweis liefert sein Konzert bei 48 h Wilhelmsburg.

Deutsch und elektronische Musik. Diese Kombination ruft schnell die Assoziation an die Band Kraftwerk hervor. Der junge Wilhelmsburger Electronics-Musiker Felix Striegler steuert aber geradezu revolutionär gegen das Bild, mit dem die heute etwas angestaubten, aber selten mehr verehrten Epigonen die Darstellung der elektronischen Musik geprägt haben. Denn der 27-Jährige nimmt bei seinen Auftritten die Technik gezielt aus dem Fokus. Wie, das zeigt Felix Striegler als Fool, so sein Künstlername, beim Festival „48 h Wilhelmsburg“ am kommenden Wochenende.

Rockmusik kann eine berauschende Wirkung haben

Während seines Studiums der Musik und auditiven Kultur an der Universität Lüneburg hat sich Felix Striegler den Kopf zermartert über der Frage: Wie bekommt man mehr Performance in die elektronische Musik hinein? Denn während hedonistische Rockmusiker breitbeinig und mit großen Gesten ihr Publikum in Ekstase versetzen, wirken mit den Köpfen nickende Electronics-Musiker hinter ihren Konsolen oft seltsam verloren. Lost on stage, wie Stoiker im Dunkeln.

Felix Striegler kennt die berauschende Wirkung, die Rockmusik entfalten kann. Seine musikalische Sozialisierung begann Ende der 1990er-Jahren mit Stonerrock. Noch heute hört er gerne „Queens Of The Stonage“.

Leap Motion Controller setzt Handbewegungen in Töne um

Der Apfel zentriert die Aufmerksamkeit auf der Bühne. Was philosophisch anmutet, gilt als kulturwissenschaftliche Erkenntnis. Sie spielt auf das Firmenlogo des Computerherstellers Apple an, dessen Rechner die meisten Musiker benutzen. Gemeint ist das Phänomen, dass das Publikum während eines Konzerts auf die Maschinen starrt und den Musiker unbeachtet lässt.

„Ich möchte aber auch als Musiker erkannt werden“, sagt Felix Striegler. Und so kommt es, dass Fool den Rechner auf der Bühne unsichtbar macht. Das ist in etwa so, als würde man einem Gitarrenrocker die Klampfe klauen. Fool benutzt bei Konzerten Klaviaturen, um die Spielweise in den Fokus zu rücken. Weiter rät Felix Striegler Electronics-Musikern zu lesbaren Gesten. Er selbst setzt live den Leap Motion Controller ein. Mit Kameras und Infrarot-LEDs setzt das Gerät seine Handbewegungen in Töne und Melodien um. Fool öffnet und schließt die Hände in der Luft, erzeugt dadurch nicht nur Musik, sondern magische Momente. Als ob er Klavier in der Luft spielen würde.

Fool macht ektronische Musik, die Geschichten erzählt

Obwohl seit Jahrzehnten mit der 3D-Gestensteuerung für den Rechner experimentiert wird, hat sie sich in der Musik nicht durchgesetzt. Auch deshalb passt der Name Fool so gut zu Felix Striegler. Im englischen Sprachgebrauch bezeichne das Wort jemanden, der sich auf etwas einlässt, erklärt der Musiker. Die geläufigste Übersetzung lautet aber weniger schmeichelhaft „Narr“.

Fool steht für intime elektronische Musik, die etwas erzählt. Obwohl er nicht singt, spricht Felix Striegler von Songs, nicht von Tracks. „Ich zeichne Klangbilder“, sagt er, „da singt dir keiner vor, was du zu fühlen hast.“ Organische Einschübe und eine warme Grundstimmung kennzeichnen die Musik.

Gerade Beats lassen sie aber nicht in Geduldsproben-Ambient verfallen. Freunde von Boards Of Canada dürften bei Fool richtig sein. Bei solchen Reminiszenzen dürfte niemand eine Rampensau erwarten. „Ich spiele gerne live“, sagt aber Felix Striegler, „ich bin süchtig nach der Bühne geworden.“ Beim Festival „48 h Wilhelmsburg“ ist er von Anfang an beteiligt gewesen. Damals vor fünf Jahren spielte Felix Striegler noch in einer Band, machte Elektrorock mit Gitarre und Schlagzeug. Die Bühne war der eigene Balkon seiner Mietwohnung im Reiherstiegviertel.

Ein Konzert 40 Meter über dem Ausstellungshaus

Verblüffende Auftrittsorte sind ein Kennzeichen des nicht-kommerziellen Festivals. Wer Fool hören möchte, muss sich auf etwas einlassen und am Sonnabend, 13. Juni, auf den Weg zum Energieberg in Georgswerder machen. Der beleuchtete Horizontweg 40 Meter über dem Ausstellungshaus, in dem die Bühne steht, bildet aber auch eine passende Kulisse für ein Electronics-Konzert.

Wo würde er spielen, dürfte er sich einen Auftrittsort auf den Elbinseln aussuchen? „Die Soulkitchenhalle“, antwortet Felix Striegler spontan. An den inzwischen geschlossenen Kulturtreff habe er viele gute Erinnerungen.

Fool (Electronics), Sonnabend, 13. Juni, 22 bis 23 Uhr, Energieberg Georgswerder, Ausstellungsraum, Eintritt frei, der Veranstalter „48 h Wilhelmsburg“ bittet um Spenden für die Musiker.

48 h Wilhelmsburg: Konzert-Tipps von Fool

Bulgarische Pop-Interpreten, Singer-Songwriter, Electro-DJs oder auch Käsekuchenpostrockcabaret: Das Festival „48 h Wilhelmsburg“ von Freitag, 12., bis Sonntag, 14. Juni, bietet 131 Konzerte an 62 Orten. Fool alias Felix Striegler sagt, wo er das Festival feiert:

Am Freitag, 12. Juni, geht er zu Klein Melchow ins Stübiversum, Veringstraße 14. „Ich spiele da vielleicht selbst mit.“ Um 19 Uhr trifft dort Akustikgitarre auf Elektro-Setup.

Anschließend bleibt er im winzigen Stübiversum. The Leaves Of Pooky Hill spielen ab 20.30 Uhr Folk Rock mit Gitarre, Mandoline,Ukulele.

Sonnabend, 13. Juni, geht es zu den Trümmerratten (15 Uhr) in den Reiherstiegpark am Reiherstieg-Hauptdeich. „Schrammelpunk wie er sein soll.“

Braindead (18,30 Uhr, im Velo 54, Veringstraße 54) ist sein heißer Tipp: „Dub auf Basis von Ska, nicht auf Reggae.“

Fool selbst spielt am Sonnabend um 22 Uhr auf dem Energieberg.

Das Ensemble 20vor8 (Balkanswingklezmer) tritt entgegen anderslautender Information im Programmheft doch auf (Sonnabend, 22.30 Uhr, Musikkirche Veddel, Wilhelmsburger Straße 73)

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