Winsen/Pattensen. Wie ein Pattenser Landwirt und seine Frau ihre Biogasanlage vergrößern und die Zukunft des Unternehmens sichern wollen.
Den 8. Juli haben Doris und Dirk Neven fest in ihren Terminkalender eingetragen. Denn an diesem Mittwoch steht im Winsener Stadtrat eine für die Familie und ihren Hof zukunftsweisende Entscheidung an. Folgt der Rat dem Votum des Planungsausschusses, wird es eine knappe Mehrheit für das Biogas-Projekt der Nevens geben. Wohl wie schon im Ausschuss gegen die Stimmen von SPD und Grünen. Doch die Nevens könnten dann die Kapazität der Anlage von 2,3 auf 3,5 Millionen Kubikmeter pro Jahr aufstocken. Für das Ehepaar steht fest: Nur so kann ihr Hof für die nächste Generation interessant bleiben. „Wir wollen jetzt die Weichen stellen“, sagt Dirk Neven, seine Frau nickt.
An diesem sonnigen Nachmittag stehen die beiden auf dem Garlsberg, einer Erhebung gut 500 Meter abseits ihres Wohnorts Pattensen. Zehn Hektar dort gehören ihnen. 2,5 Hektar davon umfasst das Sondergebiet, das der Planungsausschuss mit seiner Entscheidung ausgewiesen hat. Dort soll ein dritter Fermenter entstehen, in dem Mais, Roggen, Gras, Gülle und Rüben in rund 100 Tagen zu Gas gären. Mit dem Gas werden zwei Blockheizkraftwerke betrieben, die heute 1200 Vier-Personen-Haushalte mit Strom und dazu gut 50 Wohnungen im Dorf mit Fernwärme versorgen. Zudem werden mit der Abwärme der Anlage direkt auf dem Berg Getreide, Holzhackschnitzel oder zuletzt gar Olivenzweige für die Dekoration von Aida-Kreuzfahrtschiffen getrocknet. Neven hat errechnet, dass seine Anlage einen Wirkungsgrad von 92 Prozent erreicht.
Früher hatte der Betrieb 80 Hektar Fläche, 55 Milchkühe, Bullen und Fersen sowie Felder mit Raps, Weizen, Kartoffeln und Zuckerrüben
Mit dem Konzept für ihren Hof stemmt sich das Ehepaar gegen den Strukturwandel in der Landwirtschaft. Für die nächsten Jahre rechnet die Landwirtschaftskammer in Buchholz damit, dass jährlich drei Prozent der aktuell 900 Betriebe im Landkreis verschwinden werden. Meist, weil sich keine Nachfolger finden, wenn die Besitzer zu alt werden. Die Nevens haben deshalb früh eine Wende eingeleitet, nachdem Friedo Neven seinen Besitz 1999 zunächst an seinen ältesten Sohn Dirk verpachtet und ihm den Hof 2003 endgültig überschrieben hatte.
Ausgangspunkt des Wandels in Pattensen war ein Betrieb mit 80 Hektar, 55 Milchkühen, Bullen und Fersen sowie mit Feldern mit Raps, Weizen, Kartoffeln und Zuckerrüben. Die Eltern halfen beim Melken. Im ersten Schritt wurde der eigene, renovierungsbedürftige Kuhstall aufgegeben und ein größerer gepachtet. Auch dort stehen aber seit 2012 keine Milchkühe mehr sondern 120 Fersen. Der alte Stall ist dabei kaum wieder zu erkennen, weil dort von 2004 bis 2008 zwölf Wohnungen eingebaut wurden. Gleich gegenüber hat Doris Neven das zuerst angeschaffte Blockheizkraftwerk aufstellen und wie ein Gartenhäuschen verkleiden lassen. Es ist mit einer Gasleitung mit der Außenanlage verbunden und versorgt die neuen Wohnungen einschließlich der der Familie mit Wärme.
Der Schwere Weg der Nevens
Für die neue Strategie kamen professionelle Ratgeber ins Haus
Zunächst mit einem Angestellten bewirtschaftet die Familie dann 120 bis 130 Hektar, baut Getreide an und lässt als Lager eine Halle bauen. Doch Doris und Dirk Neven schwenken schon bald auf ihre heutige, grundlegend neue Strategie um. Dazu holen sie sich professionelle Ratgeber ins Haus.
Am Esstisch ihrer großzügigen Wohnstube sitzen Berater, die zunächst Bullen- oder Schweinemast im großen Stil empfehlen. „Dann kam ein neuer Mann, der seine Diplom-Arbeit über Biogasanlagen geschrieben hatte“, erinnert sich Doris Neven, eine Bankkauffrau und Steuerfachgehilfin aus dem südniedersächsischen Eichsfeld, die für die Büroarbeit des Hofes sowie die Verwaltung der neuen Mietwohnungen zuständig ist.
Die Nevens schlagen ein und gehen ins Risiko. Die ersten 1,5 Millionen Euro für Gärkessel, Kraftwerk und Trockenanlagen finanzieren sie zu 100 Prozent fremd und stellten einen langfristigen Businessplan auf. Das Konzept geht auf. „Die Anlage ist gut ausgelastet, wir schreiben schwarze Zahlen“, sagt Dirk Neven. Außer dem Strom werden 400 Tonnen Zuckerrüben an eine Fabrik in Uelzengeliefert. Die Zahl der Mitarbeiter ist auf drei gestiegen, in der Getreidehalle steht der Maschinenpark. Die Nevens sind zufrieden.
„Die Empfindsamkeit ist hoch, wenn die Wohlstandsgesellschaft ihren Status gefährdet sieht“
Doch die bislang gelungene Expansion, die aus der privilegierten Landwirtschaft formal einen Gewerbebetrieb im Sondergebiet machen wird, löst noch immer Misstrauen aus. Grüne und SPD hatten im Ausschuss die sich ausweitende Monokultur beim Mais kritisiert und auf zunehmende Transportfahrten von Zugmaschinen mit Anhängern im Dorf verwiesen. Das Unbehagen, wenn ein Hof nicht mehr dem überkommwenden Bild mit glücklichen Hühnern, ein paar sauberen Schweinen und Tieren mit Vornamen entspricht, sitzt offenbar tief. Auch wenn das Sondergebiet in Pattensen nur für Landwirtschaft und Bioenergie zugelassen ist und kein Platz für gewerbliche Ansiedlungen bleibt. Denn der geplante dritte Fermenter und die Lagerflächen für Rohstoffe werden die Flächen fast vollkommen ausfüllen.
Solche Skepsis gegenüber der Landwirtschaft kennt Ulrich Peper, der Leiter der Buchholzer Außendienststelle der Landwirtschaftskammer, zur Genüge. „Die Bevölkerung stellt sich oft gegen größere Projekte“, sagt er. „Die Empfindsamkeit ist hoch, wenn die Wohlstandsgesellschaft ihren Status gefährdet sieht.“ Sei es nun wegen Lärm und Gestank oder weil die Tierhaltung im großen Stil kritisch beäugt wird. Zu den Hintergründen für diese Entwicklung gehört, glaubt der Agar-Ingenieur, dass das Leben in der Stadt sich immer mehr von der Landwirtschaft entfernt. Zum Nachteil der Bauern. „Dazu wollen sich Politiker nicht gegen gesellschaftliche Strömungen stellen“, sagt Peper. Dabei übernehmen die Betriebe mit der Pflege der Kulturlandschaft Aufgaben, die die Gemeinden finanziell nicht tragen können. Das aber bleibt in der Strukturdebatte oftmals nur eine Randnotiz. „Ja“, räumt Peper ein, „wir tun zu wenig für unser öffentliches Image.“
457 Landwirte sind im Landkreis hauptamtlich tätig
Dabei ist die Branche im Landkreis alles andere als ein Leichtgewicht. Nach der jüngsten Statistik der Landwirtschaftskammer sind dort 457 Landwirte hauptamtlich tätig. Die Kreisstadt Winsen, zu der Pattensen gehört, kommt auf 104 Betriebe, von denen 64 ihren entscheidenden Umsatz mit Vieh oder dem Ackerbau erzielen. „Wir achten schon darauf, dass wir ihre Flächen beim Ausweisen von Baugebieten schonen“, sagt Alfred Schudy, der Leiter der Winsener Stadtplanung. Auf der anderen Seite haben die Höfe aber Flächen für Gewerbegebiete oder Autobahnen im Hamburger Süden abgeben müssen. Höfe mit Tieren sowie Biogasanlagen wie die von Neven sollen Abstand zu den Wohngebieten einhalten. „Das Thema Ansiedlungen“, weiß der Architekt, „ist oft konfliktbeladen.“
Zumindest die politische Diskussion hoffen die Nevens hinter sich zu haben. Ihr Hof umfasst inzwischen 200 Hektar, auf denen Mais, Sudangras und Grünroggen für die Biogasanlage wachsen, einer der drei Mitarbeiter überwacht und steuert ausschließlich die Anlage. Mit dem Ausbau soll künftig nicht nur Strom für die Grundversorgung, sondern geregelt auch für Spitzenzeiten geliefert werden. Vor allem an Tagen, wenn die Kraft von Wind und Sonne für die Versorgung nicht ausreichen. Gleichzeitig soll der Lagerplatz für die Gärreste vergrößert werden. Sie werden von den jeweiligen Landwirten wieder abgeholt und zwischen März und Juni als Dünger auf ihren Feldern ausgebracht. „Auf das Lager setzen wir eine Haube, um zusätzlich Gas zu speichern“, erklärt Dirk Neven.
Die Erweiterung wird erneut 800.000 bis eine Million Euro kosten. Die Genehmigungen vom Gewerbeaufsichtsamt müssen eingeholt werden. Geht alles gut voran, könnte die größere Anlage von 2016 an Strom liefern.
Die Mühe und das Risiko wollen die Nevens gern auf sich nehmen. Schließlich können sich ihre Kinder vorstellen, den Hof einmal zu übernehmen. Der Rat in Winsen muss am 8. Juli nur noch zustimmen.