Wie der Landwirt Dierk Beneke seinen Milchhof in Heidenau ausbaut und sich auf die Zeit ohne Quoten und den geregelten Markt einstellt. Biogasanlagen und Sonnenenergie sollen das Unternehmen stabilisieren.
Heidenau. Kuh um Kuh. Zu Hunderten stehen sie im Stroh in zwei direkt hintereinander gebauten, symmetrischen Ställen. 750 sind es, streng geordnet nach ihrer täglichen Produktion. Die Tiere kauen ihr Kraftfutter, liegen in den Laufställen in Gruppen zusammen oder lassen sich ihr Fell säubern. Dafür rotiert in Schulterhöhe eine Bürste wie in einer Autowaschanlage.
Zum Melken geht es eine Stufe hinauf zu Excalibur. In der Anlage warten die Kühe auf einer erhöhten Ebene, dass ihnen die Menschen von unten die Melkzeuge an die Zitzen setzen. Acht Minuten dauert es, bis durchschnittlich zehn Liter Milch abgesaugt und in einen Sammelbehälter geleitet sind. Immer 32 Tiere sind dran. Drei Mal am Tag.
Namen haben die Kühe nicht, aber Nummern und einen Schrittzähler um den Hals. Der zeigt, wie aktiv die Tiere sind und dem Eigentümer damit, welches Tier er besamen lassen kann.
Zu seinen Ställen am Rande von Heidenau (Samtgemeinde Tostedt) ist an diesem Vormittag Dierk Beneke, der Eigentümer des Hofes, gekommen. Der Agrar-Ingenieur steht wie kein zweiter im Landkreis Harburg für den Strukturwandel in der Landwirtschaft, für den Trend zur Größe.
Hatte der durchschnittliche Betrieb im Kreis 1970 noch zehn Kühe, waren es 2007 schon 55. Inzwischen haben die Familienbetriebe auf 65 Tiere aufgestockt. Höfe mit mehr als 500 Rindern gab es vor sieben Jahren überhaupt noch nicht. Inzwischen gilt dies nicht nur für Beneke, sondern auch für zwei Kollegen. Aber der Heidenauer Hof ist der Größte geblieben.
Jetzt jedoch steht der nächste Schritt an für die Neuorientierung der Höfe. Denn zum 1. April 2015 werden die bisher von der EU vorgegebenen Milchquoten nicht mehr gelten und damit die von ihnen festgeschriebene Produktionsmenge wegfallen. Dann stehen neue Entscheidungen an. „Wachsen oder weichen ist derzeit ein wichtiges Thema“, sagt Ulrich Peper, Leiter der Außenstelle Buchholz der niedersächsischen Landwirtschaftskammer.
Er geht davon aus, dass künftig Betriebe mit weniger als 50 Kühen eher aufgeben und ihr Land verpachten werden. Höfe mit 50 bis 100 Tieren würden ihre Herden dagegen wohl eher verdoppeln. „120 bis 150 Tiere ist eine Größe, die Familien mit ein oder zwei Mitarbeitern schaffen können“, sagt Peper.
Nur ganz wenige hätten aber die Möglichkeit, mehrere hundert Rinder zu versorgen. Zu ihnen gehört Beneke. Er hat sich längst für Größe entschieden. „Wenn möglich, möchte ich auf 1000 Kühe aufstocken“, sagt er. Dafür würde er sogar auf seine Schweinemast mit derzeit 500 Tieren verzichten.
Beneke stützt sein Konzept, für das er 2007 den Hof übernommen hat, auf die Vorarbeit von zwei Generationen. „Mein Vater Dieter und meine Mutter Inge haben 1983 die Entscheidung zum Aussiedeln getroffen. Das war weitsichtig“, sagt er.
Der Standort lässt ihm nun Raum für Wachstum. 500 Hektar Land gehören zum Hof, der größte Teil gepachtet. Lohnunternehmer bauen dort Mais an, mähen das Gras und machen Heu für die Ställe. Nur, wer genügend Land hat, um Futter für die Herde zu erzeugen, kann zulegen. Große Mengen Futter zu kaufen, wäre zu teuer.
Für seine 750 Kühe hat Beneke neun Mitarbeiter angestellt. Sie füttern, melken und halten den Hof in Ordnung. Zwei weitere Mitarbeiter ziehen auf dem zweiten Betrieb in Nienburg an der Weser die weiblichen Kälber hoch. Bis sie nach 24 Monaten alt genug sind, um für Nachwuchs zu sorgen. So ist aus dem Landwirt Beneke längst ein Unternehmer geworden.
Zur Strategie gehört, dass drei statt zwei Mal am Tag gemolken wird. Das entlastet nicht nur die Euter, sondern erhöht auch die Menge um etwa zehn Prozent. „Es wäre gut, wenn wir unsere tägliche Produktion von derzeit 20.000 auf 28.000 Kilogramm Milch steigern könnten. Damit würden wir einen Tankwagen füllen und die Molkerei bräuchte dafür nicht noch einen weiteren Hof ansteuern“, erklärt der 42-Jährige.
Sinken die Transportkosten für die Molkerei, hat Beneke eine bessere Position bei den Verhandlungen über Preis und Abnahmemenge. Der Wechsel von Molkereien gehört dabei zum Geschäft. So schickt Beneke seit 2009 seine Produktion nicht mehr zur Nordmilch, sondern zu Frischli in Rehburg bei Loccum.
Sein Ziel: Das Unternehmen so aufzustellen, dass es für eine Übernahme interessant ist, falls seine Kinder nicht einsteigen wollen. Fünf Millionen Euro hat er dafür allein in die beiden neuen großen Kuhställe und weitere Anlagen investiert. Er schultert 350.000 Euro jährlich an Zinsen und Tilgung.
An einer einfachen Rechnung lässt sich dabei ablesen, welches Risiko Beneke eingeht. Für einen Liter Milch erhält er derzeit 37 Cent und kommt so auf einen Umsatz von drei Millionen Euro im Jahr. Auf der Kostenseite stehen: 15 Cent für Futter, sechs für seine Mitarbeiter, zwei für Tierarzt, Medikamente und Pflege, zwei für Diesel und Strom, fünf für den Kapitaldienst und vier für die Aufzucht der jungen Rinder, mit denen er seinen Bestand aufrecht erhält. Zusammen macht das 34 Cent und bedeutet, dass er derzeit schwarze Zahlen schreibt. Jedenfalls grob gerechnet und ohne beispielsweise den Unternehmerlohn oder Mittel für weitere Investitionen wie Maschinen einzuplanen. „Für einen zukunftsorientierten Betrieb wären aber 40 Cent nötig“, sagt der Ingenieur.
Schwierig für die Landwirte ist, dass sie im Spiel mit Handel, Discountern, Molkereien und EU kaum Einfluss auf den Preis ihrer Milch haben und heute keiner weiß, wie sich der Markt ab 2015 ohne die Quoten entwickelt. „Wenn der Preis unter 30 Cent rutscht, kann ich den Laden zumachen“, sagt Beneke. Wenn sich jedoch die Preise in die andere Richtung entwickeln und die Ställe nach 20 Jahren abbezahlt sind? „Ja, dann“, sagt er. Ja, dann ist sein Konzept aufgegangen.
Allein auf die Milch verlässt sich Beneke dafür nicht mehr. Er ist Vater von vier Kindern und kein Hasardeur. Deshalb hat er mit zehn Landwirten überwiegend aus seiner Heimatgemeinde Gesellschaften gegründet, die Strom aus Biogas erzeugen. Bei zwei von ihnen ist er Geschäftsführer. Die dritte leitet Carsten Wentzien aus Dohren.
Aus Gülle und Mais entsteht in riesigen Gärtürmen Methan-Gas, das gleich daneben in Blockheizkraftwerken verbrannt wird. Das Gas treibt Generatoren, die liefern den Strom. Allein mit den Anlagen am Fuchswinkel gleich neben dem Hof lassen sich 10.000 Haushalte versorgen.
Nachdem die Partner 15 Millionen Euro investiert haben, erzielen sie nun sechs Millionen Euro Umsatz. Das ist mehr als Beneke mit seinem Hof schafft. Fast überflüssig zu sagen, dass er zudem auf den Dächern seiner Ställe Fotovoltaik-Anlagen installiert hat, die zusätzlich Strom liefern.
Der Hofchef hat die Arbeit in der Landwirtschaft verändert. Er und seine Mitarbeiter sind nicht mehr an ein Anwesen gefesselt, auf dem der Job niemals endet. Urlaub und Wochenenden sind möglich, weil im Schichtbetrieb gearbeitet wird.
Der Chef spielt Squash und im örtlichen Spielmannszug Querflöte. Zudem bleibt ihm Zeit für ein zweites Instrument. So empfängt Beneke Gäste mitunter mit einer Ballade von Cat Stevens, dessen Songs er ohne Noten interpretiert. Der Konzertflügel dafür steht in seinem Wohnzimmer.