Harburg. Helge Adolphsen ist emeritierter Pastor. Kein Staat, sagt er, darf Herr über Leben und Tod sein. Das Argument der Abschreckung zieht nicht.

Viktor Orbán ist Chef der rechtsgerichteten Fidesz-Partei Ungarns. Vor einigen Tagen hat er es vor dem EU-Parlament gewagt, über die Rückkehr zur Todesstrafe in Ungarn zu schwadronieren. Nicht nur mich hat das fassungslos gemacht. Auch die Parlamentarier schrien entsetzt auf und erklärten: Wer so wie Orbán redet, ist weit weg von europäischen Werten. Den ungarischen Abgeordneten drohen Sanktionen, wenn Ungarns Regierung Ernst macht, z.B. die Entziehung des Stimmrechts. Martin Schulz, Präsident des Parlaments, wurde schärfer: Das käme einem Selbstausschluss Ungarns gleich. In Europa ist die Todesstrafe grundsätzlich verboten – auch wenn sie völkerrechtlich nicht ausdrücklich verboten ist.

Das hat plausible, aber schlimme Gründe. Denn die Todesstrafe war 2010 in 67 Staaten der Welt gesetzlich verankert. In China wird sie angewendet im Fall von Menschenhandel und Korruption. Ebenso im diktatorisch regierten Nordkorea. Pakistan verhängt sie für verurteilte Terroristen, der Iran für Drogendelikte und Abfall von Islam. Saudi-Arabien sucht dringend Henker. Die sollen wie die brutalen IS-Kämpfer Todeskandidaten mit dem Schwert den Kopf abschlagen. Auch in den USA, dem Land des legalen Waffenbesitzes für jedermann, gibt es eine ganze Reihe von Bundesstaaten, die eisern an der Todesstrafe festhalten. In Georgia wurde ein geistig behinderter Mensch hingerichtet. Jetzt berät in einem anderen Bundesland ein höchstes Gericht über das scheinbar probate Mittel zur Tötung, eine Giftmischung. Das hat einen „guten“ Grund. Der Häftling Clayton Lockett starb erst nach 43 qualvollen Minuten durch eine Giftspritze. Ein Skandal! Bekannt geworden ist auch der Fall der Ex-Todeskandidatin Debra Müller, in Berlin geboren. Sie saß 24 Jahre (!) unschuldig hinter Gittern in der Todeszelle. Stellen Sie sich das einmal vor! Ihr Sohn war zwei Jahre alt, als er erschossen wurde. Durch die Zeugenaussage eines lügnerischen Polizisten wurde sie beschuldigt und verurteilt. Jetzt kam heraus, dass ihr Sohn von zwei Männern erschossen wurde. Einer der nie auszuschließenden Justizirrtümer.

In der hessischen Landesverfassung gibt es die Todesstrafe immer noch

Aber warum in die Ferne schweifen, denn das Übel liegt so nah. In der hessischen Landesverfassung gibt es die Todesstrafe immer noch. Man höre und staune!. Auch wenn sie seit langem nicht mehr angewandt werden kann. Denn das Grundgesetz verbietet sie. Ein makabres Relikt! Äußerst peinlich, dass sich die hessischen Abgeordneten sich seit langem nicht auf die Tilgung des unseligen Paragraphen einigen können. Amnesty international, die lobenswerte Organisation für das Wächteramt über die Menschenrechte, erklärt überzeugend: „Staaten können nicht gleichzeitig die Menschenrechte achten und die Todesstrafe verhängen und vollstrecken.“

Es gibt keine stichhaltigen Gründe für die Beibehaltung der Todesstrafe.. Der Gedanke des Strafrechts, einen Verbrecher zu bessern, verfängt nicht. Tote können sich nicht mehr bessern. Das leuchtet ein. Das Argument, durch die Todesstrafe die Gesellschaft vor Schwerstverbrechern zu schützen, kann auch nicht angeführt werden. Das kann durch dauernde Verwahrung erreicht werden. Dagegen führen Vertreter der Todesstrafe ins Feld, dass dies Kosten spare. Einige wollen so den Staatshaushalt entlasten. Ein schauerliches Argument, unsittlich und unmenschlich! Wer so redet, der öffnet die Tür zu Überlegungen, ob nicht Menschen mit Behinderungen, alte und gebrechliche Menschen als lebensunwertes Leben anzusehen sind. Im Mathematikunterricht der Hitlerzeit wurden die Kosten von Heimplätzen gegen die Kosten von Ehestandsdarlehen aufgerechnet. Wir Deutschen haben da eine unrühmliche Schuldgeschichte. Wer einen Unterschied macht zwischen schützenswertem und nicht schützenswertem Leben, ist geistig verwirrt. Mensch bleibt Mensch! Das gilt absolut und also ohne Einschränkung.

Der Staat, die Justiz und ihre Richter sind nur für die vorletzten Dinge, aber nicht für die letzten zuständig

Viele führen das Argument der Abschreckung an. Sie hoffen, dass durch die Todesstrafe Kriminelle vor einem Gewaltverbrechen zurückschrecken. Aber in der Kriminologie gibt es keinen gesicherten Beweis für die Wirksamkeit der Abschreckung. Kriminelle vertrauen darauf, dass sie nie gefasst werden.

Mein letztes Argument gegen die Todesstrafe lautet: Der Staat, die Justiz und ihre Richter sind nur für die vorletzten Dinge, aber nicht für die letzten zuständig. Der Staat ist nicht Herr über Leben und Tod. Seine Maßnahmen haben grundsätzlich nur vorläufigen Charakter. Sie müssen zu korrigieren sein. Wenn der Staat mit dem Tod bestraft, tut er Unwiederbringliches, Unbegrenztes und Unwiderrufliches. Dann überzieht er sein Recht und seine Kompetenzen. Er darf sich nur im Rahmen der Sicherung und Erhaltung des Lebens bewegen. Darum darf er nie die Entrechtung eines Einzelnen praktizieren. Womit wir wieder bei der Unantastbarkeit der Menschenwürde sind.