Helge Adolphsen ist emeritierter Pastor. Heute schreibt er über Tod und Trauer und über eine Bestattungskultur, die im Wandel ist.

Was würden Sie sagen, wenn in Harburg ein 130 Meter hoher Turm mit 35 Stockwerken errichtet würde, auf dem 23.500 Urnen untergebracht werden sollen? An der Spitze des Turmes unter einer gläsernen Kuppel eine Kirche mit offenem Blick in den Himmel. Mit vielen Andachtsräumen in dem Hochhaus neben dem Turm. Und unten eine Tiefgarage, von der aus die Besucher mit dem Aufzug ganz bequem in die Familienkapelle fahren können.

Dieses gigantische Projekt stellte mir eine Journalistin in einem Interview vor und bat mich um eine Stellungnahme aus theologischer und architektonischer Sicht. Natürlich ist dieses Bauwerk nicht für Harburg geplant! Der „Cielo infinito“, der „unendliche Himmel“, ist von dem Mailänder Architekten Riccardo Manfrin entworfen worden und soll in Verona die Platzprobleme von Friedhöfen lösen.

Dieses Problem haben wir bei uns nicht. Im Gegenteil. Die Verantwortlichen für die Friedhöfe in Kommunen und Kirchengemeinden machen sich Gedanken über neue Konzepte, die die bestehenden Friedhöfe stärken und eine Vielfalt von Bestattungsmöglichkeiten vorsehen. Viele Friedhöfe haben Konkurrenz und finanzielle Probleme. Denn in Deutschland steigt die Zahl der Urnenbeisetzungen mit kleinen Gräbern, besonders im Osten. Hinzu kommt, dass Flächen in Wäldern als „Friedwälder“ ausgewiesen werden. Die Bestattungskultur wandelt sich erheblich, wird liberaler. In Bremen darf man demnächst die Urne mit nach Hause nehmen und die Asche im Garten verstreuen!

Andere Länder, andere Nöte und Sitten

Der Architekt hatte sein architektonisch zweifellos beeindruckendes Werk zunächst für Mailand geplant. Die Mailänder gaben ihm einen Korb. Riccardo Manfrin kann sich darauf berufen, dass der Hochhausfriedhof(!) mit seinen bisher 14 Stockwerken in der brasilianischen Stadt Santos um weitere 14 Ausbaustufen erweitert werden soll. Der Bedarf ist dort offensichtlich gegeben. Andere Länder, andere Nöte und Sitten.

Im Interview habe ich der Journalistin gesagt, dass ich den „unendlichen Himmel“ für Verona als „Urnenmassenunterkunft“ ansehe. Für mich und für uns hier ist der Naturraum die ideale Gedenklandschaft. Und sollte es bleiben. Der Tod ist in unserer christlich geprägten Tradition ein Teil des Lebens und der Natur. Der Gedanke, unsere Toten in ein Hochhaus zu verbannen, stört mich. Gräber mitten in der Natur machen unser Gedenken sinnlich erlebbar. An ihnen zu verweilen in einer schönen natürlichen Umgebung ist heilsam. Und tröstlicher als in einer Urnensammelstelle.

Ich mag die Friedhöfe bei uns besonders, die an vielen Orten im Ensemble mit der Kirche eine Einheit bilden.

Die Friedhöfe in Hamburg sind die grünen Lungen unserer grünen Stadt. In vielen anderen Städten auch. Wie Parks und Gärten. Der Vorsitzende des „Vereins zur Förderung der Deutschen Bestattungskultur“ betont, dass sich auf den Friedhöfen die dichteste ökologische Fläche findet. Aus Sorge um die Naturlandschaft lehnt er es ab, Pyramiden als Urnenorte zu bauen. So war es vor einiger Zeit in Dessau geplant, wurde aber nicht realisiert. Er warnt davor, weitere Flächen zu versiegeln. So sieht das auch der Naturschutzbund „NABU“. Sein Projekt „Lebendiger Friedhof“ sieht vor, auf einem vertikalen Friedhof Dachflächen zu begrünen. Aber die können den Menschen nicht das bieten, was ein Friedhofspark vermittelt. Menschen brauchen die „heilsame Medizin der Natur“. Ich mag die Friedhöfe bei uns besonders, die an vielen Orten im Ensemble mit der Kirche eine Einheit bilden. Sie sind frei zugänglich, offen und einladend für alle. Sie gehören der Gesellschaft. Und die sollte immer wieder erinnert werden und erleben, dass wir unsere Toten weder vergessen, verstecken noch gar entsorgen.

Ich habe das von Trauernden gelernt. Wir haben auf dem Vorplatz des Michels Namenstafeln eingelassen. Eine Fundraisingaktion. Da finden sich neben den Namen Einträge zur Geburt und zur Taufe, Segenswünsche zur Hochzeit, Liebeserklärungen, Dankbarkeit für die Diamantene Hochzeit. Oder „Ich liebe dich innig“. Eines Tages wollte eine Exhamburgerin, nach Amerika ausgewandert, zum Gedenken an ihre Schwester und deren Tochter, ausgewandert in die Türkei, dort bei einem Verkehrsunfall ums Leben kamen, folgenden Text auf eine Tafel bringen lassen: „Liebe ist ewige Gegenwart. Ihr werdet immer in unseren Herzen sein. Eure Mimi und Euer Frank.“ Ich lehnte zunächst ab. „Der Kirchplatz ist doch kein Friedhof!“ dachte ich. Dann besann ich mich und schämte mich! Wenn ich auf den vielen Tafeln mit der Freude über die Geburt eines Kindes und dem Dank für die Rettung aus schwerer Krankheit lese, dann gehört selbstverständlich – sichtbar für alle – der Tod, das Gedenken und das Trauern dazu. Denn der Tod ist und bleibt ein Teil unseres Lebens.

Helge Adolphsen ist emeritierter Hauptpastor des Michel. Er lebt in Hausbruch.