Hamburgs südlichster Stadtbezirk spielt bei Unterbringung von Flüchtlingen eine zentrale Rolle. Auf der Liste mit potenziellen Standorten für Unterkünfte finden sich auch private Immobilien
Harburg. Die Lage ist dramatisch. Nach Berechnungen der Hamburger Sozialbehörde werden bis zum Jahresende 900 Plätze für Asylbewerber in der Hansestadt fehlen. Und die Flüchtlingsströme reißen nicht ab. So stehen die involvierten Behörden mit dem Rücken zur Wand. Und haben die Bezirksämter aufgefordert, innerhalb kürzester Zeit Flächen zu benennen, auf denen öffentliche Unterkünfte entstehen können. Dem Abendblatt liegt die Liste für Harburg vor. Sie birgt nicht nur Zündstoff, wegen den von der Verwaltung vorgeschlagenen Immobilien. Sondern auch, weil die in der Bezirksversammlung vertretenen Fraktionen erst wieder davon erfahren haben, als die Liste längst auf dem Weg zur Finanzbehörde war.
„Der Informationsfluss bei diesem hochbrisanten Thema ist und bleibt fragwürdig“, sagt Sabine Boeddinghaus, Fraktionschefin der Linken. Zu Anfang dieser Woche hätte es seitens des Bezirksamtes mehrfach die Gelegenheit gegeben, mit den gewählten Volksvertretern der Bezirksversammlung über die Liste zu reden. Am Montag habe der Hauptausschuss getagt, am Dienstag der Sozialausschuss, am Mittwoch die Sicherheitskonferenz. Immer wieder habe es konkrete Fragen, aber keine Antworten gegeben. Bis am Donnerstag dann die Liste per E-Mail bei den Fraktionen eingegangen sei.
Aufgeführt sind 24 Liegenschaften quer durch den Bezirk. Doch nicht alle gehören der Stadt oder dem Bund. Es gibt aber auch etliche, die in privatem Besitz sind. Doch auch auf diese könnte es laut Sozialsenator Detlef Scheele mit dem Hinweis auf Anwendung des „Gesetzes zum Schutz der öffentlichen Sicherheit und Ordnung“ Zugriff geben. Im konkreten Fall geht es darum, dass Flüchtlinge im Winter nicht in Zelten untergebracht werden müssen.
Deshalb tauchen in der Harburger Liste unter anderem auch die Hotelbauten „hansehus“ an der Cuxhavener Straße 124, das Berghotel „Hamburg Blick“ am Wulmsberg 12 auf, beide im Stadtteil Hausbruch, die ehemalige Phoenix-Hauptverwaltung am Bahnhof Harburg, mehrere Pensionen in Neuenfelde und der Schützenhof Marmstorf. Auch die von der SAGA für den Abriss vorgesehenen und teilweise schon entmieteten Backsteinhäuser in der Denickestraße finden sich in der Liste. Das größte Areal wird mit dem 1,5 Hektar umfassenden Brückenlager des THW am Sinstorfer Kirchweg ausgewiesen. Großflächig sind ebenfalls das 4000 Quadratmeter große OBI-Gelände in Neugraben sowie der Platz neben dem P+R-Parkhaus am Striepenweg und eine Fläche In de Krüm mit je 2000 Quadratmetern.
In 14 Fällen geht das Bezirksamt von einer kurzfristigen Umwandlung in Unterkünfte für Flüchtlinge aus. Die Cuxhavener Straße 186 hatte die Sozialbehörde (BASFI) bereits zu einem früheren Zeitpunkt abgelehnt, dennoch hält die Harburger Verwaltung die Immobilie nach wie vor für geeignet. Lediglich eine Ackerfläche am Winsener Stieg gilt als „nicht umsetzbar“.
Offensichtlich sei, dass Harburg einmal mehr eine zentrale Rolle bei der Unterbringung der Flüchtlinge spiele, sagt der FDP-Abgeordnete Carsten Schuster. Neben der Zentralen Erstaufnahme (ZEA) in der alten Post am Bahnhof Harburg gibt es bereits Unterkünfte in der Wetternstraße und in Lewenwerder. Zuletzt war nun auch der Binnenhafen ins Spiel gebracht worden, um dort bis zu 600 Flüchtlinge auf Wohnschiffen unterzubringen.
„Zählt man einmal die bereits vorhandenen Unterkunftsplätze und die nun geplanten zusammen, dann werden in dem ohnehin problematischen Sozialraum auf einem Areal von etwa vier Quadratkilometern mehr als 1000 Flüchtlinge untergebracht“, rechnet Schuster vor. Damit werde das Problem mit dem Argument der kurzen Wege zwischen ZEA und Binnenhafen zentralisiert, zugleich aber der soziale Friede gefährdet, so sich nicht schnell etwas ändere.
So sieht es auch Sabine Boeddinghaus. Dass es offenkundig eine Notlage gebe und sich niemand seiner Verantwortung entziehen könne, sei unstrittig, sagt sie. „Die ganze Vorgehensweise offenbart aber eine unglaubliche Hilflosigkeit und führt letztlich nur dazu, dass sich die Stimmung in der Bevölkerung zunehmend gegen die Flüchtlinge richtet“, fürchtet die Abgeordnete der Linken. Beleg dafür sind jetzt schon teilweise haarsträubende und herabwürdigende Kommentare in den sozialen Netzwerken und anderen öffentlichen Internetforen.
Auch die Grünen bescheinigen der Verwaltung eine „stümperhafte Informationspolitik“. Natürlich müsse jede Fläche und jedes infrage kommende Gebäude auf den Prüfstand. „Aber dass die im Bezirksverwaltungsgesetz festgeschriebene Beteiligung der Bezirke wieder einmal ausgehebelt wird, ist völlig inakzeptabel“, sagt Kay Wolkau, stellvertretender Fraktionschef der Grünen. Dass dabei seitens der Behörden immer wieder auf die Dringlichkeit des Problems verwiesen werde, beweise nur, wie planlos und intransparent die Flüchtlingspolitik des Senats seit Jahren gewesen sei, so der Liberale Carsten Schuster: „Es ist ein Fakt, dass Hamburg auf die Situation schlecht vorbereitet ist und es bis heute kein schlüssiges Konzept gibt.“
Die Liste der Liegenschaften, die der Bezirk der Behörde gemeldet hat, umfasst insgesamt 24 Flächen. In der Auflistung die möglichen Flächen im Einzelnen: Nöldekestraße 19, Nöldekestraße Polizeiparkplatz, Nöldekestraße 21, Cuxhavener Straße 124 (Hotel Hansehus), Wulmsberg 12 (Berghotel „Hamburger Blick“), Pensionen Neuenfelde, Leerstand Neuenfelde, Hannoversche Straße (Phoenix Hauptverwaltung), Fischbeker Heideweg 44 (Freiluftschule Neugraben), Denickestraße (Leerstand Saga), Stader Straße 2+4, Buxtehuder Straße 76 (ehemals Zewu), Geutensweg 30 (OBI Neugraben), P+R Parkplatz Rehrstieg, Fläche neben P+R-Haus Striepenweg, In de Krüm, Sinstorfer Kirchweg (Brückenlager THW), Winsener Stieg (Ackerfläche), Feuerteichweg 1 (Schützenhof Marmstorf), Feuerteichweg 1 (Schützenhof Marmstorf Parkplatz), Lübbersweg (Festplatz), Cuxhavener Straße 186, Dorflageweg, Schwarzenbergstraße (Festplatz).