Die EU fördert Fischereivereine, die die vom Aussterben bedrohten Fische in ihre Gewässer einsetzen. Voraussetzung ist ein Zugang zu Fließgewässern, damit der Aal seine Wanderung in die Sargasso-See antreten kann.
Meckelfeld. Der Aal ist ein Mysterium. Jahrhundertelang war völlig unbekannt, wo er herkommt. Man glaubte gar, er entstünde aus Sandkörnern, Würmern oder Schlangen. Denn niemals hat jemand einen Aal laichen sehen. Bis heute ist nicht bis ins Detail erforscht, wo der Aal genau seine Kinderstube hat – nur, dass die Laichplätze in der Sargasso-See liegen, vor der nordamerikanischen Atlantikküste.
Von dort wandert er im Larvenstadium nach Europa, seine Reise dauert drei Jahre. An den hiesigen Küsten wachsen die blattförmigen Larven zu durchsichtigen Glasaalen heran. Die fängt man, verkauft sie oder zieht sie zu sogenannten Farmaalen heran.
Am See im Großen Moor ist ein Kleinlaster aus Halstenbek eingetroffen. In der schleswig-holsteinischen Gemeinde sitzt die Aalversandstelle des Deutschen Fischereiverbands. Sie beliefert Fischer in ganz Deutschland mit Glas- und Farmaalen. Die „vorgestreckten“ Farmaale haben ein Gewicht von etwa fünf Gramm und sie sind etwa 15 Zentimeter lang.
Davon erhält Fischereiverein Meckelfeld-Glüsingen nun knapp 50 Kilogramm – das entspricht etwa 10.000 Aalen. Ralf Gerken, wissenschaftlicher Mitarbeiter beim Landessportfischerverband Niedersachsen, fischt mit einem kleinen Kescher ein paar Tierchen aus dem Transportbecken und lässt sie in einen viereckigen Glasbehälter gleiten.
Die hellgrauen, glänzenden Fische ringeln sich munter umeinander. „Sieht gut aus“, sagt Gerken. Wareneingangstest bestanden. „Diese Fische haben schon einen Weg von 6000 Kilometern zurückgelegt“, erklärt er den Kindern der Vereinsmitglieder, die das Spektakel verfolgen.
Dann wird die bestellte Menge Fisch – wie Gemüse auf dem Markt – in einen grünen Bottich abgewogen. Vom Fischereiverein Meckelfeld stehen Nico Donhauser, Gewässerwart, und Holger Meyer, Fischereiaufseher, schon in Wathosen bereit. Sie tragen die Fische zu einem Steg, steigen ins flache Wasser und tauchen den Bottich ein.
Die Aale wirbeln mächtig Schaum auf aus dem Schleim, der sie umgibt. Ein paar Minuten lang sind die hellgrauen Schnüre noch zu sehen, kurz danach graben sich die Fische in den Seegrund ein. „So sind sie vor Fressfeinden geschützt“, erklärt Nico Donhauser. Ralf Gerken bescheinigt den Fischen eine Überlebenschance von 90 Prozent. Bei Glasaalen sei die Verlustrate deutlich höher.
Erst ab einer Länge von 35 Zentimetern dürfen Aale laut Gesetz gefangen werden. Der Fischereiverein Meckelfeld-Glüsingen schreibt sogar 45 Zentimeter vor. Doch nicht alle Aale kommen an den Haken. Einigen wird es nicht gelingen, den Kormoranen zu entkommen. Und andere sollen sich, wenn sie erwachsen sind, auf die Reise zu ihren Laichgewässern machen.
„Der See hat einen dauerhaft passierbaren Ablauf. So kann der Aal über die Elbe und die Nordsee zurück in die Sargasso-See gelangen“, erklärt Thorsten Donat vom Fischereiverein. Weil der Aal als stark gefährdet gilt, fördert die EU den Gewässerbesatz. Von den rund 2200 Euro, die die Meckelfelder für die Fische bezahlen, bekommen sie etwa 60 Prozent erstattet.
„Voraussetzung ist, dass die Fische Zugang zu Flüssen haben – was hier gegeben ist“, sagt Donat. Die Förderung nimmt der Verein erstmals in Anspruch. In jedem Fall würde der 24 Hektar große See nicht leergefischt. „Zehntausend Aale zu angeln würde schon ein paar Jahre dauern.“
Weil Aale bei ihrer Wanderung flussaufwärts auf viele Hindernisse wie Staustufen, Schleusen oder Wasserkraftwerke treffen, haben sie oft keine Chance, ein Gewässer, in dem sie heranwachsen können, zu erreichen. Mit der EU-Förderung wurde ein Anreiz für Fischereivereine geschaffen, ihre Gewässer mit Aalen zu besetzen. Niedersachsenweit sind in diesem Sommer 1,1 Million Glas- und Farmaale an die rund 100 Angelvereine geliefert worden.
„Um das Überleben des Aals langfristig zu sichern, müssen aber landesweit noch Hunderte von Fischpässen neu gebaut und Wehre geschliffen werden. Nur dann können die Glasaale überhaupt ihre Lebensräume in Flüssen, Bächen und Kanälen im Binnenland erreichen“, mahnt Ralf Gerken.
Die Sportfischer schauen fasziniert zu, wie die kleinen Fische umhertauchen und dann im Schlamm entschwinden. Eines Tages werden einige von ihnen als „Blankaale“ die Elbe hinab schwimmen, auf ihrer langen Reise über den Atlantik. Dort werden sie laichen und sterben. Ihre Nachkommen kehren zurück nach Europa. Vielleicht sogar in den See im Großen Moor, denn: „Das machen wir nächstes Jahr wieder“, sagt Nico Donhauser begeistert.