In der Gärtnerstraße 81a in Halstenbek, nur ein paar hundert Meter von der Wohnmeile entfernt, ist in einem gelben Klinkerbau die Aalversandstelle des Deutschen Fischerei-Verbands untergebracht.

Halstenbek. Aale haben es auch nicht leicht. Um in unsere Breiten vordringen zu können, müssen sie bis zu 8000 Kilometer zurücklegen. Von der schönen Sargassosee zwischen Florida und den Bahamas geht es nach dem Schlüpfen mit Unterstützung des Golfstroms in Richtung Europa. Etwa drei Jahre dauert die Tour durch den Atlantik, die die Fische als winzige Aallarven beginnen und als knapp sieben Zentimeter lange Glasaale vorerst beenden.

Was kaum jemand über die reisefreudigen Wanderfische weiß: Ein Großteil dieser schlangenförmigen Wasserbewohner macht nach dem Europatrip erst mal in Halstenbek Station. Nicht etwa im Krupunder See, sondern an der Gärtnerstraße 81a, nur ein paar Hundert Meter von der Wohnmeile entfernt. Dort ist in einem gelben Klinkerbau die Aalversandstelle des Deutschen Fischerei-Verbands untergebracht.

Um beim Thema Reise zu bleiben: Der Aufenthalt in den 13 Wasserbecken der Abteilung Aquakultur ist für den Aalnachwuchs ähnlich komfortabel wie ein Alles-inklusive-Urlaub. Die kleinen Aale werden in der Saison von Anfang November bis April/Mai umhegt und gepflegt, es gibt Futter aus dem Automaten im Minutentakt rund um die Uhr. Ganz schön verfressen sind die Aale: Bei jeder neuen Portion tummeln sich Hunderte Exemplare um die Ausgabestation. Die Verpflegung aus einem speziellen Gemisch von Fischmehl und Fischöl dient dazu, dass sich die Glasaale zu kräftigen Jungaalen in Länge eines Bleistifts entwickeln. Für die Beseitigung der Verdauungsrückstände wird ebenso mit aufwendigen Filteranlagen gesorgt, wie für beste Wasserqualität, mit der angenehmen Temperatur von 23 Grad in den 13 Becken. Hygiene steht dabei an erster Stelle. Die Station mit der Aquakultur darf nur mit Überschuhen und nach Desinfektion der Hände betreten werden.

Gewirtschaftet wird nach dem umweltschonenden Kreislaufsystem. Der größte Teil des Wassers wird nach Reinigung und Entgiftung wieder aufbereitet. „Nur acht Prozent Frischwasser müssen zugesetzt werden“, sagt Arne Koops.

Der Fischereiwirtschaftsmeister ist mit seinen Kollegen, den Fischwirten Christian Oertel und Lars Rencken, für das Wohlergehen und den Transport der quicklebendigen Glas- und Nachwuchsaale verantwortlich. Das Team schafft mit eigenem Fuhrpark, zu dem drei mit Spezialbehältern ausgerüstete Lastzüge gehören, die junge Brut heran und transportiert sie später zu den Kunden in ganz Deutschland sowie Österreich und der Schweiz weiter. Dabei gibt es zwei Lieferwege: Die zarten durchsichtigen Glasaale werden nach nur ein paar Tagen Aufenthalt zur Kundschaft gebracht, die dann für die weitere Versorgung verantwortlich ist. Doch die Masse der Aale macht den beschriebenen „Langzeiturlaub“ in Halstenbek. Sie wachsen zu kräftigen bleistiftlangen Farmaalen heran und werden im Frühjahr ausgeliefert.

Ohne Hilfe der Experten würde es hierzulande kaum noch Aale geben. Das untermauert Koops mit Fakten: „Wegen der zahlreichen Querverbauten wie Staustufen, Schleusen und Wehre können die zarten Glasaale nicht mehr, wie es sonst ihre Art ist, aus eigener Kraft in den Flüssen aufwärtsschwimmen. Der Fischereiwirtschaftsmeister schätzt, dass 95 Prozent der Glasaale in den europäischen Flussmündungen verenden. Anders sieht es dank der Hilfe der Halstenbeker Fischexperten für die aufgepäppelten Fische aus: „Etwa 80 Prozent des von uns versorgten Aalnachwuchses kommt in seinen Revieren in Flüssen und Seen an”, sagt Arne Koops.

Das Problem mit den Aufstiegshindernissen in den Binnengewässern wurde schon erkannt, als Deutschland noch Kaiserreich war und der Aal eine Grundlage für die Volksernährung darstellte. Deshalb wurde 1908 die Aalversandstelle gegründet, die bis zum Umzug nach Halstenbek im Jahre 1973 am Hamburger Fischmarkt ansässig war.

Die Aalversender bekommen ihre Brutfische überwiegend aus Großbritannien und Frankreich. Dort werden die Glasaale unter penibler Beachtung der diversen Tier- und Umweltschutzvorschriften von spezialisierten Fischereibetrieben und auch einzelnen Fischern gefangen. Die britischen Glas-aal-Babys stammen überwiegend aus dem Fluss Severn bei Bristol. Dieser Nachwuchs wird sogar mit einem speziell ausgerüsteten Frachtflugzeug zum Flugplatz Kiel-Holtenau transportiert und dort von den Halstenbeker Aalversendern abgeholt.

Eine Größenordnung: Ein Kilogramm Glasaale entspricht etwa 3000 Exemplaren. Zugekaufte größere Aale werden aber auch aus Skandinavien abgeholt, in Halstenbek weiter aufgepäppelt und später an die Kundschaft ausgeliefert.

Der Aufwand ist beträchtlich. So verfügen die Transportfahrzeuge über doppelte Lüftungsgebläse, damit auch bei Ausfall einer Anlage die Behälter noch mit Frischluft versorgt werden können. Die deutsche Aalversandstelle ist Mitglied der Sustainable Eel Group, einer europaweit tätigen Aalschutz-Vereinigung, die strengen, selbst gesetzten Qualitätsanforderungen unterliegt, die sie sich selbst gesetzt hat.

Zu den Abnehmern der quicklebendigen Unterwasserware gehören Fischereibetriebe ebenso wie Anglervereine, deren Dachorganisationen gemeinsam auch Träger des Deutschen Fischerei-Verbands sind. Doch auch Landesregierungen und Kommunen sorgen in Flüssen und Seen für den Besatz mit Aalen aus Halstenbek. Aalnachwuchs aus der Baumschulgemeinde ist damit in nahezu allen größeren Flüssen Deutschlands zu finden, ebenso wie in bekannten Großgewässern wie dem Bodensee und dem Chiemsee. In einer Saison werden in der Halstenbeker Aalversandstelle acht bis zehn Millionen Aale umgeschlagen.

Der Nahrungsfaktor steht bei der Aalverbreitung aktuell nicht mehr im Vordergrund: „Vor allem bei jungen Menschen gilt der Aal wegen seines hohen Fettgehalts nicht mehr als ,sexy’ für die Ernährung”, sagt Koops. Bei den Endverbrauchern der Generation 50plus sei der Speisefisch dagegen noch gefragter. Doch für den Umwelt- und Naturschutz gewinnt der Aal in den europäischen Binnengewässern an Bedeutung.

Dazu passen allerdings nicht die Wasserkraftwerke an den Flussläufen. Unmengen erwachsener Aale gelangen auf ihrem Weg zurück ins Meer in die Turbinen der Energieversorger und verenden dort. Ein Happy End sieht für einen in sieben bis zwölf Jahren in den Binnengewässern gereiften erwachsenen Aal nach den Gesetzen der Natur anders aus. Wer es schafft, kehrt nach eineinhalbjähriger Reise im Ozean wieder an den Geburtsort, die Sargassosee, zurück. Dort ist der Aal dann allerdings nach Paarung und Ablaichen so geschwächt, dass er bald darauf stirbt.