Freiwilliges Soziales Jahr in der „Mobilen Einsatztruppe“ für den Denkmalschutz vermittelt unter fachkundiger Anleitung handwerkliche Fähigkeiten und sorgt für berufliche Orientierung.
Karoxbostel. Grischa Funke-Rumpf bewegt sich ganz vorsichtig über die losen Bohlen, die provisorisch um das Sägegatter der Karoxbosteler Mühle gelegt sind. Vor ein paar Wochen hat er geholfen, das verrottete Gebäude rund um die verrostete Säge Venezianer Bauart abzutragen. Demnächst wird er beim Wiederaufbau des Sägewerks dabei sein.
Am Ende wird ein weiterer Teil der denkmalgeschützten Wassermühle nach langem Dornröschenschlaf zu neuem Leben erwacht sein, Grischa wird eine Menge dazu gelernt haben und stolz sein auf das Werk seiner Hände. So wie bei allen Projekten, an denen er im Laufe der vergangenen neun Monate mit angepackt hat.
Grischa absolviert ein Freiwilliges Soziales Jahr in der Denkmalpflege. Er ist Mitglied der „Mobilen Einsatztruppe“ der Jugendbauhütte im Landkreis Stade. Diese kurz „MOB“ genannte Einrichtung ist eine Besonderheit der „Jugendbauhütte im Landkreis Stade“.
Vier junge Menschen – jeweils zwei Frauen und zwei Männer – helfen zwölf Monate lang gemeinsam unter Fachanleitung dabei, denkmalgeschützte Objekte für die Nachwelt zu retten. Sie werden kurzfristig an unterschiedlichen Stellen im Denkmal eingesetzt und unterstützen Vereine und kleinere Museen, die sich aufgrund ihrer personellen und finanziellen Situation eine eigene Einsatzstelle nicht leisten können.
Das Quartett, dem Grischa angehört, versteht sich prächtig und hat viel Spaß miteinander. Denn schließlich hat das Kleeblatt ein gemeinsames Ziel: Alle sind jung, handwerklich interessiert, einsatzbereit, unternehmungslustig und interessiert an beruflicher Orientierung.
In der „MOB“ bieten sich ihnen unter Anleitung erfahrener Handwerker, Architekten, Restauratoren und Wissenschaftler ideale Voraussetzungen, unterschiedliche Erfahrungen zu machen: Mit Handwerkszeug aller Art, mit der Gruppe, mit unbekannten Menschen, fremden Orten und nicht zuletzt mit sich selbst.
Voraussetzung für diese Chance sind eine abgeschlossene Schulausbildung, Flexibilität, Offenheit für Neues und die Bereitschaft, viel unterwegs zu sein. „Seit September sehe ich meine Familie und die Freunde in Wilstorf nur noch selten. Aber es ist so aufregend, ständig neue Leute kennen zu lernen und interessante Erfahrungen zu machen, dass gar keine Zeit für Heimweh bleibt“, sagt der 21-Jährige.
Anders als seine Mitstreiter, die direkt nach der Schule zur Jugendbauhütte kamen, hat der Abiturient schon eine Lehre als Garten- und Landschaftsbauer abgeschlossen. In diesem Beruf arbeiten möchte er aber nicht. „Das ist nichts für mich. Bei der Entscheidung für eine zweite Ausbildung möchte ich deshalb ganz sicher sein, das auszuwählen, was mir wirklich liegt.“
Die „MOB“ bietet jede Menge Möglichkeiten, in verschiedene Bereiche zu schnuppern. Grischa und seine Kollegen haben nicht nur in Karoxbostel Fenster von altem Lack befreit und sich des Sägewerks angenommen. Sie haben auch schon beim Wiederaufbau eines 380 Jahre alten Niedersächsischen Hallenhauses Weidengeflecht in Gefache gesetzt und mit Lehm verputzt.
Sie haben fachmännisch das Mauerwerk einer Feldsteinkirche neu verfugt und im Südharz am Schloss Mansfeld eine achtstufige Gartensteintreppe im barocken Stil professionell restauriert. Im Hafen von Stade fahndeten sie erfolgreich nach archäologischen Schätzen. „Ich habe alte Münzen und Tonscherben ausgegraben“, strahlt Grischa. Im örtlichen Staatsarchiv half die „MOB“ beim Umzug, beschriftete Regale voller Akten neu.
„Zur Abwechslung hat der Historiker mit uns eine alte Karte restauriert, in der Restaurationswerkstatt ein Buch gebunden und alte Schriften und Dokumente entziffert. Das war spannend für mich, ich habe mich schon auf dem Gymnasium für Geschichte und Latein interessiert“, sagt Grischa.
In bester Erinnerung bleibt ihm auch die Ausgrabung einer Glashütte bei Hameln, wo die „MOB“ britische Archäologie-Studenten unterstützen durfte. „Da wurde nur Englisch gesprochen, so konnte ich meine Schulkenntnisse auffrischen“, erzählt Grischa.
Handwerkliches Know-how und Theorie werden allen Absolventen der Jugendbauhütte Stade – denen der „MOB-Truppe“ und den stationär eingesetzten Aktiven – gemeinsam bei sechs einwöchigen Bildungsseminaren vermittelt.
Die Schulungen – etwa zum Tischlern mit frischem Holz, zum Malen und den Stilepochen, zur traditionellen Waldwirtschaft und Zimmerei oder zum Denkmalschutz und zur Bedeutung des europäischen Kulturerbes – finden an verschiedenen Orten direkt am Objekt statt.
Die Leiterin der Jugendbauhütte Stade bemüht sich zurzeit, internationale Kontakte zu knüpfen, um zusätzlich kulturellen Austausch zu ermöglichen.
Eva Pfennig arbeitet und kämpft seit vier Jahren im Alleingang für „ihre“ Institution. Die ausgebildete Tischlerin, Sozialpädagogin und Betriebswirtin ist mit Herz und Seele als Leiterin der JBH unterwegs: Managerin, Mentorin und Marketing-Fachfrau in Personalunion. Ihr Resümee: „Viel zu viel Arbeit, viel zu wenig Mittel.
Der Landkreis Stade unterstützt diese JBH von Anbeginn, so konnte die MOB aufgebaut und zu einem guten Bekanntheitsgrad in der Region werden. Das Bundesministerium für Familie, Senioren, Frauen und Jugend unterstützt die pädagogische Arbeit. Vom Land Niedersachsen gibt es bisher leider keine Geldmittel und wir haben nur sehr wenige Sponsoren.
Gefördert wird die Jugendbauhütte im Landkreis Stade, wie alle bundesweit 13 Jugendbauhütten, vorwiegend von der Deutschen Stiftung Denkmalschutz. Die Betriebsführung liegt jeweils bei Regionalvertretungen der Internationalen Jugendgemeinschaftsdienste (ijgd).“
Sie wirbt um weitere Geldgeber für das Konzept. „Die Jugendlichen bewegen buchstäblich etwas für die Gesellschaft. Und sie üben sich in handwerklichen Tätigkeiten, lernen, über den Tellerrand hinaus zu schauen und selbstständig, eigenverantwortlich zu handeln.“ Darüber hinaus gewinnen sie an Selbstbewusstsein und Orientierung.“
Wie seine Kameraden auch hat Grischa inzwischen eine klare Perspektive. Er beginnt im September eine Ausbildung zum Tischler, Schwerpunkt ökologisches Bauen und Altbausanierung.
Er hat einen Betrieb gefunden, der ihm die Option bietet, auch im Zimmerer-Gewerk tätig zu sein. Für seine Traumlehrstelle wird Grischa nach Süddeutschland ziehen. Die Vorteile räumlicher Flexibilität hat er in der Mobilen Einsatztruppe ja kennengelernt.