Wie man die Zeit nach einem Abbruch zur Orientierung nutzt und später trotzdem noch an Universität oder Fachhochschule studieren kann
Reinhold Messner schaffte es erst im zweiten Versuch, Joschka Fischer ist gar nicht erst angetreten, und Literaturnobelpreisträger Thomas Mann hatte ebenfalls kein Abitur. Er war schon vorher dreimal sitzen geblieben. Dass es einige prominente Persönlichkeiten ohne Hochschulreife zu etwas gebracht haben, dürfte für viele, die es auch nicht geschafft haben, nur ein geringer Trost sein.
„Das Abitur abzubrechen war eine ziemlich harte Erfahrung für mich“, erzählt Michael Busch (Name geändert). Der 28-Jährige hatte die Schule bereits in der elften Klasse einmal unterbrochen und stattdessen Zivildienst gemacht. Im zweiten Anlauf sollte es eigentlich klappen. „Ich war schon auf der Zielgeraden und habe dann gemerkt, dass einige Noten zu schlecht sind. Meine Interessen lagen einfach woanders.“ Die Schule aufzugeben habe ihn damals belastet und Schuldgefühle ausgelöst.
Das müsse aber nicht sein, sagt Claudia Raykowski vom Berufsverband Deutscher Psychologinnen und Psychologen (BDP). „Das Abitur nicht zu machen oder zu schaffen ist gleichzeitig eine Chance, die eigenen Fähigkeiten neu zu hinterfragen.“ Das Abitur sei nicht das Maß der Dinge, um im Leben erfolgreich zu sein. Was auch immer zum Abbruch geführt hat: Hängen lassen sollte sich niemand.
Meistens zeichnet sich schon lange vor einem Schulabbruch ab, dass es mit den Noten eng wird. Wenn die Eltern oder Lehrer also eine professionelle Berufsberatung vorschlagen, sollten Jugendliche diese besuchen, empfiehlt Raykowski. In den Treffen wird auch trainiert, das eigene Zeitmanagement zu verbessern. „Wer erst einen Tag vor der Prüfung beginnt zu lernen, hat natürlich schlechte Karten“, sagt die Schulpsychologin.
Beratung bei der Arbeitsagentur
Michael wollte keinen weiteren Versuch wagen, das Abitur zu bestehen. „Ich hatte starke Selbstzweifel und musste mich erst einmal orientieren.“ Eine gute Anlaufstelle sei das Job-Center der Arbeitsagentur gewesen. „Berater besprechen dort mit den jungen Erwachsenen, wie es weitergehen kann“, erklärt Paul Ebsen von der Bundesagentur für Arbeit in Nürnberg.
Die Angabe von Stärken und Schwächen sei wichtig, um Ideen für einen Praktikums- oder Ausbildungsplatz zu sammeln. „Kommen wir so nicht weiter, kann der berufspsychologische Service weitere Tests durchführen“, sagt Ebsen. Dabei herrscht der Grundsatz: alles kann, nichts muss. Es bringe wenig, junge Menschen in eine Ecke zu drängen.
Ein Praktikum ist oft schneller zu bekommen als ein Ausbildungsplatz. Schulabbrecher müssen sich so nicht langweilen oder unnütz fühlen. „Auf diesem Weg kann jeder unverbindlich in Berufe hineinschnuppern und in Ruhe überlegen, ob sich eine Ausbildung lohnt“, sagt Ebsen. Die Arbeitsagentur hilft auch hier bei der Suche. „Wir haben Kontakte zu Unternehmen, die bereit sind, Auszubildende auf Probe aufzunehmen“, erklärt er. Nach einem Jahr heißt es dann Ja oder Nein. Wem der Job gefällt, kann direkt ins zweite Ausbildungsjahr einsteigen.
Eine weitere Variante, um sich vom Abi-Stress eine Auszeit zu nehmen, ist das Freiwillige Soziale Jahr (FSJ). „Ein Jahr für andere da zu sein, kann die Eigenständigkeit stärken und neu motivieren“, sagt Kristin Napieralla vom Bundesarbeitskreis FSJ. „Wer hier mitmacht, ruht sich nicht aus.“ Die Freiwilligen arbeiten Vollzeit in Sportvereinen, Krankenhäusern, Kindergärten oder Pflegeheimen. Für die Hilfstätigkeit gebe es bis zu 340 Euro Taschengeld. 50.000 Freiwillige entscheiden sich jedes Jahr für ein FSJ. „Der ein oder andere entdeckt dabei vielleicht sogar seinen Traumberuf“, sagt Napieralla.
Hochschulkompass zeigt Studiengänge ohne Abi
Obwohl Michael Busch kein Abitur gemacht hat, hegt er einen Studienwunsch: Soziale Arbeit. Doch dafür ist eine Hochschulzugangsberechtigung erforderlich. In Deutschland kann aber jeder Abschluss nachgeholt werden, und auch das Studieren ohne Abitur ist für Kandidaten mit einer Ausbildung und Berufserfahrung möglich. Mit einer Fachhochschulreife oder einer Fachgebundenen Hochschulreife steht einer Einschreibung ebenfalls nichts im Weg. „Ich suchte nach Möglichkeiten, um an dieses Ziel zu gelangen“, sagt er.
Schließlich gelangte Busch über Hinweise auf die Plattform Hochschulkompass.de von der Hochschulrektorenkonferenz (HRK). Dort finden Interessierte Adressen und Kontaktdaten von Hochschulen, an denen sie ohne Abitur studieren können. „Eine Möglichkeit ist, einen Beruf zu erlernen und ein paar Jahre darin zu arbeiten“, sagt Jochen Schwarz von der HRK.
Abi-Abbrecher Michael Busch entschied sich schließlich für ein Jahrespraktikum in der Jugendhilfe. „Da ich die 12. Klasse in der Oberstufe noch geschafft habe, hatte ich mit einem zusätzlichen Jahrespraktikum das Fachabitur in der Tasche.“ Damit konnte er sich für das Studium bewerben. Der angehende Sozialarbeiter blickt heute entspannter auf seine Umwege zurück. „Es gibt Mittel und Wege, auch ohne Abitur weiterzukommen“, sagt er. „Ich rate jedem, Spott zu ignorieren und in Ruhe eine Lösung zu finden.“