Zeitzeugen-Serie „Wie wir wurden, was wir sind“. Heute: Hans-Heinrich Schröder erzählt über die Arbeit mit dem Vieh an den Feiertagen. Der Leitsatz lautete: Erst die Tiere, dann der Mensch.
Vahrendorf/Ehestorf Mit dem Schlachtschwengel ins Fischerhaus, vom Kartoffelacker in die 50er-Jahre-Küche und auf dem Lanz-Bulldog übers Feld: Alltagsgegenstände im Freilichtmuseum am Kiekeberg machen die Geschichte von Menschen aus der Region erlebbar. Für das Abendblatt erinnern sich „Zeitzeugen“. Und weil auch die niederdeutsche Sprache fester Bestandteil der deutschen Kultur ist, gibt es jeden Teil der neuen Abendblatt-Serie „op Platt“ übersetzt von Jasper Vogt. Heute: Landwirt Hans-Heinrich-Heinrich Schröder erinnert sich an seine Arbeit im Stall an Weihnachten.
Weihnachten bedeutet für die meisten Menschen Zeit für Besinnlichkeit und Pause von der täglichen Arbeit. Das gilt allerdings nicht für die Landwirte. Im Gegenteil. „Heiligabend war einer der arbeitsreichsten Tage“, sagt Hans-Heinrich Schröder, der Zeit seines Lebens als Landwirt gearbeitet hat. Der heute 70-Jährige wuchs auf dem Bauernhof auf und übernahm den elterlichen Betrieb in Vahrendorf, den inzwischen sein Sohn führt.
Damals war und auch heute ist klar: die Tiere haben immer Hunger, egal ob Weihnachten oder Ostern ist. Doch damit Hans-Heinrich Schröder am ersten und zweiten Weihnachtstag mehr Zeit für Familie und Fest hatte, legte er zuvor einen Futtervorrat für die Tiere an. Während andere also den Tannenbaum schmückten und es sich im Wohnzimmer gemütlich machten, holte Hans-Heinrich Schröder die Futterrüben, die draußen lagerten, für die Kühe in die Diele. Und für die Schweine und Pferde musste genügend Schrot vorhanden sein.
Das Melken der Kühe einfach mal ausfallen zu lassen, kam nicht in Frage. Morgens und abends wurden die Tiere gemolken. Ausspannen und Ausschlafen an Heiligabend war also nicht drin. Wie jeden Morgen musste Hans-Heinrich Schröder früh raus. Am Nachmittag dann im feinen Zwirn zum Weihnachtsgottesdienst und am Abend wieder rein in die Stallklamotten und ab in den Stall, füttern und melken. Erst das Vieh, dann der Mensch, lautete der Grundsatz. „Die Tiere standen immer im Vordergrund“, sagt Hans-Heinrich Schröder.
So sehr, dass Schröder sich nicht nur darauf beschränkte, sie zu versorgen. Sie bekamen das beste Heu, eine extra Portion Schrot und nach der Bescherung ging er mit seinen zwei Söhnen in den Stall und verteilte Leckerlis, zum Beispiel getrocknetes Brot an die Pferde. Für die Tiere war also auch Weihnachten.
Das änderte sich auch nicht, als Hans-Heinrich Schröder den Mischbauernhof seines Vaters mit Kühen, Pferden und Schweinen Ende der 60er Jahre übernahm und langsam auf einen reinen Schweinezuchtbetrieb umstellte. Die Schweine bekamen an den Weihnachtstagen ebenso gutes Futter. Aber ansonsten ließ Hans-Heinrich Schröder seine rund 40 bis 50 Zuchtsauen in Ruhe. „Das war besser für sie“, sagt er.
Für Familie Schröder selbst gab es Heiligabend immer eine Kleinigkeit zu essen, zum Beispiel Kartoffelsalat und Würstchen. Am ersten Weihnachtstag wurde dann Pute oder Gans aufgetischt, aber nicht vom eigenen Hof, sondern gekauftes Geflügel. Auch ihre eigenen Schweine landeten an den Festtagen nicht auf dem Teller. Die kamen traditionellerweise im November und im Frühjahr unter das Messer.
Heiligabend endete immer mit einem Kontrollgang. Ist irgendein Tier auffällig? Gibt es Krankheitsanzeichen? Steht eine Sau kurz vorm Abferkeln? Nur, wenn die Fragen geklärt waren, konnte Hans-Heinrich Schröder ruhig schlafen. Zuerst das Vieh, dann der Mensch lautete der Grundsatz. Auch nachts, wenn eine Sau ferkelte oder eine Kuh kalbte. Dann zog Hans-Heinrich Schröder wieder seine Stallkluft an und half den Tieren. Sie schert es nun einmal nicht, ob der Abend heilig ist oder nicht. Weihnachten zu verreisen kam für Familie Schröder nie in Frage. „Wenn man Vieh hatte, war man gebunden“, sagt Hans-Heinrich Schröder.
Das störte ihn aber nicht weiter. Selbst nachdem er sich so langsam aus der Landwirtschaft rauszog, konnte er nicht ganz ohne Bauernhof. Nachdem er den Hof in den 90er Jahren an seinen Sohn übergab, der sich inzwischen auf den Spargel- und Ackeranbau spezialisiert hat, umsorgte er bis 2006 das Vieh auf dem Freilichtmuseum am Kiekeberg.
Mit der Viehhaltung verfolgt das Museum in Ehestorf das Ziel, vom Aussterben bedrohte Haustierrassen zu erhalten. Deshalb leben auf den Weiden und in den historischen Stallungen vom Freilichtmuseum am Kiekeberg unter anderem Schwarzbuntes Niederungsvieh und Bunte Bentheimer Landschweine.
Das Schwarzbunte Niederungsvieh wurde von 1856 an gezüchtet und prägte das Landschaftsbild im Norddeutschen Niederungsgebiet. Was den Boden und das Futter betraf, hatten sie keine großen Ansprüche. Vorteilhaft war auch, dass die Landwirte das Schwarzbunte Niederungsvieh als Milchkuh, aber auch als Fleischlieferant nutzen konnten.
Dann konnten die Rinder aber nicht mit den modernen Hochleistungskühen in Milch- und Fleischproduktion mithalten. Inzwischen stehen sie auf der Roten Liste der Gesellschaft zur Erhaltung alter und gefährdeter Haustierrassen.
Ihr Schicksal teilten auch die Bunten Bentheimer Schweine. Seinen Namen verdankt das Schwein seinen vielen unregelmäßigen, dunklen Flecken. Es hat eine exzellente Fleischqualität und ist sehr stressresistent. Nach seiner Blütezeit in der Zucht in den 1950er Jahren wäre das Schwein fast vollständig verdrängt worden. Erst Mitte der 1990er Jahre begannen einige Schweinehalter eine koordinierte Zucht, um das Überleben der einzigartigen Rasse zu sichern.
Am Kiekeberg verbringen die Bunten Bentheimer Schweine ihr Leben in artgerechter Haltung. Sie können selbst wählen, ob sie im Stall bleiben oder hinaus ins Freie wollen, wo sie sich im Matsch suhlen können. Für Hans-Heinrich Schröder hieß das regelmäßig auszumisten. Immer. Auch Heiligabend. Und natürlich fütterte er genau wie zuvor auf seinem heimischen Hof die Tiere zweimal am Tag.
Und weil er das so gerne macht, hilft Hans-Heinrich Schröder manchmal auch heute noch Weihnachten am Kiekeberg aus.
Das Freilichtmuseum ist dienstags bis sonntags, 10 bis 18 Uhr, geöffnet. Am 24. und 25. Dezember, 31. Dezember und 1. Januar ist es geschlossen. Noch bis zum 2. Februar läuft die Sonderausstellung „Weihnachten. Ein Fest im Wandel“. Die Besucher erfahren, wie sich Weihnachten entwickelt hat. Die Ausstellung zeigt Hintergründiges zu Adventskalender, Weihnachtsbaum, Gabenbringer, zu Singen, Schlemmen und Schenken.