... und warum es nicht anbrannte. Zeitzeugen-Serie „Wie wir wurden, was wir sind“. Übersetzung ins Plattdeutsche von Jasper Vogt im Internet unter abendblatt.de/hamburg/harburg
Bianca Wilkens
Ehestorf. Mit dem Schlachtschwengel ins Fischerhaus und vom Kartoffelacker in die 50er-Jahre-Küche: Alltagsgegenstände im Freilichtmuseum am Kiekeberg machen die Geschichte von Menschen aus der Region erlebbar. Für das Abendblatt erinnern sich „Zeitzeugen“ und berichten Experten, wie wir wurden, was wir sind. Und weil auch die niederdeutsche Sprache ein fester Bestandteil der deutschen Kultur ist, gibt es jeden Teil der neuen Abendblatt-Serie „op Platt“, für uns übersetzt von Ohnsorg-Schauspieler Jasper Vogt. Heute: Die Firmengeschichte des Pflaumenmus-Herstellers Winsenia.
Marmelade zu kochen ist für die Ökotrophologin Kirsten Jürgensen-Hempler, 52, eine der leichtesten Übungen. Früchte waschen, in den Topf, Gelierzucker dazu, aufkochen lassen und rein in die Gläser. Das ganze Prozedere dauert gerade mal drei bis vier Minuten – Ruck-zuck ist die Marmelade fertig.
Davon konnten die Hausfrauen auf den landwirtschaftlichen Betrieben in der Region bis vor zweihundert Jahren nur träumen. Bis zu einer Stunde musste die Fruchtmasse und der Zucker zusammen mit Zitronen- oder Apfelschalen im Topf kochen. Die Schalen gehörten in den Topf, um daraus das Gelierhilfsmittel Pektin zu gewinnen und die Masse andicken zu können. Besonders viel Ausdauer erforderte die Zubereitung von Pflaumenmus. Der musste 24 Stunden im Eisen- oder Kupfertopf köcheln. So etwas brennt sich natürlich ein ins Gedächtnis der Hausfrauen. „Meine Oma erzählte mir immer, dass sie Tag und Nacht gerührt hat“, sagt Kirsten Jürgensen-Hempler.
Kein Wunder, dass dann der industriell hergestellte Pflaumenmus einen reißenden Absatz fand. Damit war es so schön einfach: raus aus dem Schrank, aufs Brot, fertig. In der Branche spielte das Unternehmen Winsenia aus Winsen eine große Rolle. Doch zunächst handelte die im Jahr 1862 gegründete Firma mit landwirtschaftlichen Erzeugnissen. Erst nach dem Ersten Weltkrieg begann Winsenia mit der Marmeladenproduktion.
Hans Heinrich Weseloh, der Enkel des Geschäftsgründers, taufte die Firma auf den Namen Winsenia und machte so die Stadt Winsen zur Marke. Auch die Motive auf den Opalglasbechern für Pflaumenmus spiegelte die Heimatverbundenheit des Geschäftsführers wider. Darauf war unter anderem das Stadtbild von Winsen zu sehen. Obstkonfitüren, Marmeladen und Pflaumenmus waren die Hauptprodukte, die das Unternehmen auf den Markt warf. Anfang der 60er Jahre entwickelte sich Winsenia zum größten deutschen Pflaumenmus-Hersteller und bestritt zwei Drittel der Produktion von Pflaumenmus in ganz Deutschland. Die Pflaumen kamen aus dem Alten Land, aber auch aus der Türkei und Argentinien.
Die Firma versuchte sich zugleich breit aufzustellen. Neben Marmelade und Pflaumenmus verließen Nuss-Nougat-Creme und Schokoladen-Kuvertüren die Produktionshallen in Winsen. In der hart umkämpften Lebensmittelbranche konnte Winsenia dann aber nicht mehr bestehen. 1981 übernahmen die Schwartauer Werke den Betrieb. Es dauerte nicht lange, bis das Ende des Pflaumenmus von Winsenia besiegelt war. 2001 stellte die Firma die Produktion ein und konzentriert sich seither auf die Herstellung von Nuss-Nougat-Cremes und Schokoladenerzeugnissen.
Immerhin hat der Betrieb mit seinem ländlichen Ursprung überregionale Bedeutung erlangt. Deshalb liegt es der Ökotrophologin Kirsten Jürgensen-Hempler am Herzen, Schülern, die das Freilichtmuseum besuchen, die Geschichte der Firma Winsenia näher zu bringen. Das macht sie unter anderem im Kursus „Knackig aus dem Glas“, in dem die Schüler untersuchen, wie frisches Obst und Gemüse konserviert und wie Lebensmittel in industrieller Fertigung haltbar gemacht werden.
Eine zentrale Rolle spielt dabei die Marmeladen- und Pflaumenmusherstellung bei Winsenia. Im Agrarium zeugt noch ein riesiger Kupferkessel von der Firmengeschichte. Der Clou am Kessel: Er hat eine doppelte Wand, in die heißer Dampf zugeführt wurde und so die Innenfläche des Kessels gleichmäßig erhitzte. Das verhinderte ein Anbrennen des Pflaumenmus.
Übrigens lässt sich die Spur der Marmelade bis ins alte Rom zurückverfolgen. In Tongefäßen fanden Archäologen 1937 Zwetschgenmus mit Zuckerrohr. Der Mus gilt als Vorläufer der Marmelade wie wir sie kennen. Wenn man es genau nimmt, verdienen heute lediglich Erzeugnisse aus Zitrusfrüchten den Namen Marmelade. So will es die Konfitürenverordnung von 1982, die von der Europäischen Gemeinschaft festgelegt wurde.
Einen ersten Nachweis dieser Art von Marmelade, nämlich einer Bitterorangenmarmelade, gab es im schottischen Dundee. „Es war ein Zufallsprodukt“, sagt die Ökotrophologin Kirsten Jürgensen-Hempler. Ein Sturm zwang ein spanisches Handelsschiff Ende des 18. Jahrhunderts den Hafen von Dundee anzusteuern. Mit an Bord waren zahlreiche Bitterorangen, die nicht mehr genießbar waren, und die der Händler James Keiller für günstiges Geld erstand. Um sie dennoch zu verzehren, hatte seine Frau Janet Keiller die glorreiche Idee, die Orangen mit sehr viel Zucker einzukochen. Daraufhin verkaufte sie diese und legte so den Grundstein für die industrielle Produktion der schottischen Bitterorangenmarmelade. 1797 gründete die Familie Keiller bei Dundee die erste Marmeladenmanufaktur der Welt.
Und wem jetzt schon das Wasser im Mund zusammen läuft, der hat bald Gelegenheit, seinen Heißhunger auf Süßes zu stillen: Am Sonntag, 10. November, 10 bis 18 Uhr, findet im Freilichtmuseum am Kiekeberg der Süße Sonntag statt. Der Eintritt beträgt neun Euro, Besucher unter 18 Jahren haben freien Eintritt. Zwar wird keine Marmelade eingekocht, aber Jürgen Kanzelmeyer aus dem Zuckerstudio stellt unter den Augen der Besucher seine Kreationen aus Zucker her.
An rund 30 Verkaufsständen gibt es Schokolade, Kekse, Bonbons, Pralinen, Honig und Nüsse aus eigener Herstellung. Und im Agrarium des Freilichtmuseums gießen die Besucher gemeinsam mit einem Konditormeister schokoladige Weihnachtsmänner. „Der Weg zum Weihnachtsmann“ ist dann nicht mehr weit, so lautet auch der Titel des Vortrages von Karin Maring. Sie ist Ernährungsexpertin und gibt wichtige Ratschläge im Umgang mit Süßwaren.
Was den Umgang mit Marmelade angeht, empfiehlt Kirsten Jürgensen-Hempler auch mal von der Eins-zu-eins-Faustregel, auf die Großmutter schon schwor, abzuweichen. In den Topf muss also nicht die gleiche Menge an Zucker wie an Früchten. „Am besten ist ein Mischverhältnis von 2:1, also die doppelte Menge an Früchten als Zucker“, findet die Expertin. Auch Vanille oder Banane kann in die Marmelade. „ Man kann mischen wie verrückt“, sagt sie.