Der Landkreis Harburg will nun weitere Vorrangflächen ausweisen. Aber nur wer sich rechtzeitig den Acker sichert, hat auch gewonnen.
Harburg. Der Wind pfeift auf dem Acker von Wilhelm Jobmann in Holvede. Er zerzaust die Haare und zerrt an der Kleidung. Dass er im Westen des Landkreises so weht, ist gut. Gut für den Landkreis, gut für den Grundbesitzer, gut für Unternehmen wie etwa die wpd AG aus Bremen, die PNE AG aus Cuxhaven und andere Windparkentwickler.
Der Landkreis Harburg steht ganz oben auf der Prioritätenliste dieser Unternehmen. Nicht nur, weil hier der Wind mehr pfeift als anderswo in Deutschland, sondern vor allem, weil der Kreis im niedersächsischen Vergleich bislang fast so etwas wie ein weißer Fleck auf der Windenergiekarte ist.
Denn der Anteil der Windenergie am Gesamtstromverbrauch liegt bei 10,25 Prozent und damit deutlich unter dem niedersächsischen Durchschnitt von 14,3 Prozent. Zurzeit drehen sich im Landkreis 63 Windräder. Da ist noch Luft nach oben, findet der Landkreis, finden die Grünen und auch die CDU. Bereits 2009 hat der Kreis beschlossen, sein „Regionales Raumordnungsprogramm“ (RROP) bis 2025 neu zu fassen und auch neue Windkraftstandorte zu diskutieren. Seit der Nuklearkatastrophe in Fukushima im vergangenen Jahr wächst der Druck, die Energiewende umzusetzen.
Die CDU und die Wählergemeinschaft (WG) denken darüber nach, das bisherige Tabu, den Abstand von 1000 Metern zwischen einer Windkraftanlage und der nächsten Wohnbebauung, zu brechen. Sie haben die Landkreisverwaltung in einem Antrag darum gebeten, die Reduzierung des Abstands auf 800 Meter zu prüfen und wollen die Zahl der Anlagen im Landkreis Harburg auf 120 erhöhen. Der Antrag soll am 20. November im Bau- und Planungsausschuss des Landkreises behandelt werden. Und im Frühjahr 2013 will der Kreis mögliche neue Windkraftstandorte der Öffentlichkeit zur Diskussion stellen.
Unter den Unternehmen, die mit dem Ausbau von Windkraftanlagen ihr Geld verdienen, herrscht wegen dieser ganzen Entwicklung so etwas wie eine Goldgräberstimmung. Doch vergleicht man den Ausbau der Windenergie mit einem Auto, gerät es schon jetzt, bevor es überhaupt losgefahren ist, ins Stocken – mit einem aufheulenden Motor. Denn da sind die einen, die aufs Gas treten und die anderen, die bremsen.
Die Windparkentwickler haben es besonders eilig. Wer sich schon früh – bevor überhaupt klar ist, welche Standorte am Ende als Vorrangflächen für Windenergie ausgewiesen werden – Flächen sichert, hat gewonnen. Dafür müssen die Firmen schnell sein. Das Unternehmen wpd war schnell. So schnell, dass Uwe Rennwald, Bürgermeister der Samtgemeinde Hollenstedt, Grundbesitzer bereits davor gewarnt hat, Vertragsangebote voreilig zu unterzeichnen. Denn die Gemeinden hätten auch noch ein Wörtchen mitzureden, sagt er. Am Ende kann es also sein, dass ein solcher Vertrag zwischen einem Grundeigentümer und einem Windparkentwickler im Papierkorb landet, weil die Gemeinden die Planungen des Landkreises über den Haufen werfen oder weil später herauskommt, dass gefährdete Vogelarten über diesen Acker hinweg fliegen.
Das ist natürlich auch für die Windparkleute ein gewisses Risiko, das sie aber einkalkulieren. Es gehört zur gängigen Geschäftspraxis solcher Firmen, sich so früh wie möglich Flächen zu sichern. Und so hat sich die wpd AG schon im Frühjahr über das Katasteramt die Eigentümerdaten von möglichen Windstandorten beschafft und Kontakt zum ehemaligen Landwirt Wilhelm Jobmann aufgenommen. Wer zuerst kommt, mahlt zuerst. Mittlerweile hat sich die Firma mit einer ersten Informationsveranstaltung in der Gemeinde vorgestellt.
Wilhelm Jobmann hat zwar noch keinen Vertrag unterschrieben, aber wenn es nach ihm geht, wird auf seinem Acker mindestens ein Windrad stehen. Damit würde er deutlich sein Einkom- men aufbessern. Pro Windrad locken die Unternehmen mit einer Pacht von 30.000 bis 50.000 Euro pro Jahr.
Und anders als beispielsweise bei einer Biogasanlage muss Wilhelm Jobmann nicht extra Mais anbauen, um den umweltfreundlichen Strom herzustellen. Der 48-jährige Steuerfachangestellte hat seinen landwirtschaftlichen Betrieb bereits vor elf Jahren aufgegeben. Ihm gehören 92 Hektar, davon 20 Hektar Wald. Knapp 60 Hektar Acker- und Grünland hat er verpachtet. Etwa 13 Hektar davon liegen im Ortsteil Holvede und würden sich für ein oder zwei Windräder eignen.
Theoretisch könnten sich insgesamt drei bis fünf Räder in der Gemeinde Halvesbostel drehen – je nachdem, ob die Gemeinde dem Willen der Kreis- CDU und der WG nachkommt und die Abstände zur Wohnbebauung verringert oder nicht.
Ein empfindlicher Punkt für die Menschen, die in den Häusern der Gemeinde leben. Jürgen Ravens, Bürgermeister von Halvesbostel, kennt die Sorgen und Bedenken und tritt deshalb schon mal auf die Bremse: Er spricht von Beeinträchtigungen und davon, dass es einen Konsens in dem Ort mit seinen 800 Einwohnern, in dem jeder jeden kennt, geben muss. „Die können hier ja vieles machen wollen, aber ohne Gemeinderat geht das schlecht“, sagt er. „So ein Windrad ist sinnvoll, aber es muss auch passen.“
Ähnlich äußert sich Reinhard Riepshoff, Bürgermeister von Heidenau. In dieser Gemeinde gibt es auch Flächen, auf denen neue Windkrafträ- der aufgestellt werden könnten. Hier ist das Thema Windenergie aber besonders heikel. Vier Windräder drehen sich schon in Wüstenhöfen. Ein Kompromiss, den die Bürger nur eingegangen sind, weil ihnen 1000 Meter Abstand zu ihren Wohnhäusern zugesichert wurde. Umso mehr erzürnt sie jetzt der Vorschlag von CDU und WG.
„Mit 1000 Metern Abstand lässt es sich leben“, sagt Otje Mohrbeck aus Heidenau. Der Wirtschaftsingenieur, 45, hat gelernt, sich mit den Windrädern zu arrangieren. Er akzeptiert den Schattenschlag in seinem Haus an sieben Tagen im Frühjahr und im Herbst, obwohl ihm der Schattenschlag jeden Tag für etwa 15 Minuten das Gefühl gibt, als würde jemand das Licht immer wieder mit einem Dimmer an- und ausschalten. Auch an das Wusch-Wusch, das von den Windrädern in sein Haus dringt, hat er sich gewöhnt. Aber dass nun eine Verringerung des Abstands diskutiert wird, macht ihn wütend. Er befürchtet, dass am Ende sechs weitere Anlagen in dem Windpark Wüstenhöfen stehen werden. Das würde bedeuten: Noch mehr Schatten, noch mehr Lärm. „Die Anlagen gehören an die Autobahn“, sagt er. Dem CDU-Fraktionsvorsitzenden Hans-Heinrich Aldag ist durchaus bewusst, welchen Zündstoff sein Vorstoß, eine Verringerung des Abstands zur Wohnbebauung zu prüfen, birgt. „Wir wollen raus aus der Kernkraft“, sagt er. „Da müssen wir darüber nachdenken, wie wir das schaffen.“ Das letzte Wort haben aber ohnehin die Kommunen. „Sie entscheiden, ob sie den geringeren Abstand wollen oder nicht“, sagt Aldag.
Wilhelm Jobmann aus Halvesbostel plädiert mittlerweile für einen Bürgerwindpark. Das bedeutet: Die Bürger erwerben Anteile an den Windenergieanlagen. „Wenn es den Leuten gehört, gibt es nicht so viel Protest“, sagt Wilhelm Jobmann.
In Heidenau findet heute, 19.30 Uhr, im Gasthaus Burmester, Everstorfer Straße, eine Einwohnerversammlung zum Thema Windenergie statt.