Immobiliengesellschaft Gagfah setzt beim Kampf mit Wilhelmsburger Mietern auf Zermürbungstaktik
Wilhelmsburg. Fast alle Klingeln beschädigt, seit einigen Wochen ist die Tür zum Treppenhaus blockiert, überall Graffiti, und in fast allen Wohnungen wuchert der Schimmelpilz: Das Hochhaus an der Korallusstraße 6 wirkt verwahrlost. "Es gehört zum Gebäudebestand der Immobiliengesellschaft Gagfah. Und die kümmert sich hier in Wilhelmsburg nicht um Wohnungen und Mieter", sagt Pastorin Friederike Raum-Blöcher aufgebracht.
Seit 26 Jahren ist sie nun schon auf der Elbinsel tätig, kennt viele der Bewohner. "Es ist ein Skandal, was sich die Gagfah hier leistet. Die Menschen werden im Stich gelassen", sagt sie. Dzelal Saimi, der im Hochhaus seit 15 Jahren lebt, nickt. "Wenn wir uns über den Schimmel oder andere Mängel beschweren, wird nicht reagiert", sagt er. Die Außenanlagen seien "verkommen", der Spielplatz für die Kinder spotte jeder Beschreibung und sei eher eine große Matschgrube. "Die Abflussrohrer sind seit Tagen verstopft, wir können nicht abwaschen", berichtet er weiter. Saimi zahlt 750 Euro Kaltmiete für 78 Quadratmeter. Saimi: "Die Wohnungen werden von Jahr zu Jahr teurer." Und der Zustand des Wohnungsbestands immer prekärer.
Viele Gagfah-Mieter beschweren sich bei Sylvia Sonnemann vom Hamburger Mieterverein, klagen nicht nur über verschimmelte Wände, sondern über defekte Fahrstühle, kaputte Türen und Schlösser sowie unverständliche Hausmeister- und Nebenkostenabrechnungen. "Wir haben errechnet, dass die Gagfah nur etwa sechs Euro pro Quadratmeter an Sanierungskosten für die Wohnungen aufwendet. Nötig wären für die in die Jahre gekommenen 1960/70er-Jahre-Bauten aber zwölf Euro. Mindestens", sagt Sonnemann. Doch darauf warten die Mieter vergeblich. Nicht nur Saimi beklagt sich über den Schimmel in seinen vier Wänden. Ein paar Straßenecken weiter, an der Jungnickelstraße, ebenfalls Gagfah-Gebiet, hat jeder Mieter Schimmel in der Wohnung. Auch Ejup Elezi. Er zeigt Pastorin Raum- Blöcher die verschimmelten Matratzen im Kinderzimmer, die vom Pilzgeflecht befallenen Ecken in der Küche und in anderen Wohnungsbereichen. "Die Kinder schlafen im Wohnzimmer. Ich will nicht, dass sich jemand Asthma oder Krebs zuzieht ", sagt er. Elezi hat sich ebenfalls mehrfach bei der Gagfah beschwert. "Keine Reaktion. Ich soll mehr lüften, haben die mir geschrieben." Vor einigen Monaten erhielt er einen Brief, der ihm eine Mieterhöhung um 50 Euro ankündigte. Angeblich für den Einbau von Brandschutzanlagen. Er schüttelt den Kopf. Sein Bekannter Kadri Salio, der zwei Häuser weiter mit seiner Familie lebt, hält es nicht mehr aus. "Ich habe drei Kinder, zwei davon noch fast Babys. Die sollen nicht krank werden, weil sich hier überall Schimmelpilz angesiedelt hat. Ich ziehe aus." Wie so viele andere Gagfah-Mieter im alten Wilhelmsburger Bahnhofsviertel ist er zermürbt.
Nicht immer zeigte sich die Gagfah, einst ein gemeinnütziges Wohnungsunternehmen, so ignorant. Das änderte sich, nachdem die Bundesregierung die Gesellschaft 2004 an das New Yorker Beteiligungsunternehmen Fortress verkauft hatte. "Seitdem geht es bergab im Quartier", sagt Pastorin Raum-Blöcher. Und nicht nur in Wilhelmsburg. 9400 Wohnungen hat die Gagfah in ihrem Hamburger Bestand, 1682 befinden sich auf der Elbinsel. "Viele Mieter sind mit ihren Nerven am Ende", so Sonnemann. Das renditeorientierte, börsennotierte Unternehmen wolle vor allen Dingen Kasse für die Aktionäre machen. Das sei bei vielen Gagfah-Mietern eine sichere Sache, weil ein Großteil Wohngeld erhält. "Deshalb trauen sich viele nicht, die Miete zu mindern, um Druck auszuüben", so Sonnemann. Kündigt ein Alg II-Empfänger an, künftig für seine Schimmelwohnung weniger Geld zu zahlen, muss die Arge im Vorfeld informiert werden. "Vor allen Dingen Migranten schrecken vor dem Papierkrieg zurück", so die Vertreterin des Mietervereins. Die Arge tue sich schwer damit, sei aber grundsätzlich bereit, mit Betroffenen eine Mietminderung durchzuziehen. Auf Dauer müssten sich allerdings die unhaltbaren Zustände ändern. "Das ist vor allen Dingen im Vorfeld der Bauausstellung, für die ja bekanntlich Wilhelmsburg mit viel Geld aufgewertet werden soll, peinlich für die Stadt." Einige marode Gagfah-Häuser, wie jenes an der Korallusstraße 6, befinden sich in unmittelbarer Nähe des IBA-Geländes. Deshalb hat die Bezirksverwaltung Mitte die Wohnungsbaugesellschaft mehrfach zu Modernisierungsmaßnahmen aufgefordert. "Mehr können wir nicht unternehmen. Wir können die ja nicht einfach enteignen", sagt Verwaltungssprecher Lars Schmidt. Auch die Politik ist machtlos. "Die werden die Häuser herunterwirtschaften", sagt der SPD-Bürgerschaftsabgeordnete Metin Hakverdi, bei dem sich regelmäßig aufgebrachte Gagfah-Mieter einfinden. Den Verantwortlichen der Wohnungsbaugesellschaft sei sehr wohl bewusst, dass ihre Mieter keine Alternative haben, nicht so einfach umziehen können, denn in der Hansestadt herrsche Wohnungsnot. "Deshalb muss der soziale Wohnungsbau vorangetrieben werden. Auch, wenn viele mehrgeschossige Gebäude ablehnen."
Pastorin Raum-Blöcher wünscht sich, dass die Stadt, die immerhin millionenschwere Beträge in die Stadtentwicklung pumpt, endlich eingreift, nicht mehr zulässt, dass ein Viertel und seine Menschen im Stich gelassen werden. "Was nützt es diesen Leuten, dass in ihrer unmittelbaren Nähe schicke IBA-Häuser entstehen", sagt sie aufgebracht. Sie will mit Mietern und sozialen Einrichtungen des Stadtteils am Donnerstag, 24. März, zu einer Protestfahrt zur Hamburger Gagfah-Dependance in Wandsbek aufbrechen. "Die sollen sehen, dass sich die Menschen nicht mit diesen Zuständen abfinden."
Die Gagfah lässt die Kritik kalt. "Wir investieren ordentlich in die Instandhaltung unserer Wohnungen. Damit halten wir unsere Wohnungen auf einem vernünftigen Standard. Umfassende Sanierungen und Modernisierungen sind in nächster Zeit in Wilhelmsburg nicht geplant", heißt es auf Nachfrage des Abendblatts.