Bauunternehmer streitet Vorwürfe ab, Anwohner unter Druck gesetzt zu haben
Wilhelmsburg. Es soll ein Leuchtturmprojekt im alten Bahnhofsviertel werden, und viele Bewohner im Quartier hoffen auch noch darauf. Wie berichtet, will der Unternehmer Necati Adigüzel an der Ecke Thielenstraße/ Korallusstraße ein Gebäude mit 400 Wohneinheiten und Flächen für Geschäfte errichten lassen. Im Rahmen eines Vorhabens der internationalen Bauausstellung (IBA) soll dort außerdem zur Bahnstrecke hin eine groß angelegte Lärmschutzanlage gebaut werden - auf dem Grundstück von Adigüzel, das er von der Immobiliengesellschaft Gagfah erworben hatte. In nur 16 Monaten Bauzeit sollte das Wohn- und Geschäftsgebäude hochgezogen werden. Investitionsvolumen: 6,6 Millionen Euro. "Die Baugenehmigungen liegen vor", berichtete Necati Adigüzel im vergangenen Jahr dem Abendblatt. Gemeinsam mit seinem Bruder Yaver, der im Viertel lebt und ihn berät, wolle er etwas für die Menschen vor Ort tun und den Stadtteil voran bringen.
Doch auf dem Gelände ist seitdem wenig passiert. Große Gitter-Zäune grenzen die Adigüzel-Grundstücke ab, an der Bahnstrecke hat immerhin schon der Kampfmittelräumdienst Bodenproben genommen. Von dem Gagfah-Gebäude der Korallusstraße 3 schauen die Bewohner auf Müll, Steppe und auf einen Haufen Gehwegplatten, die Adigüzel laut Auskunft der Mieter dort vor einiger Zeit einfach abgeladen und sich selbst überlassen habe. "Das sieht hier aus, wie auf einem Gefängnishof, nicht schön für uns und meine Besucher. Er versucht, uns Mieter unter Druck zu setzen, damit wir hier ausziehen und er das Haus der Gagfah abkaufen kann", sagt Kneipenbesitzer Urim Sinani. Yaver Adigüzel habe seine Kunden belästigt. "Er hat gesagt, wenn er mit uns hier fertig ist, müssen wir mit dem Hubschrauber ausgeflogen werden", so Sinani. Er habe mit Nachbarn und Anwohnern schon Unterschriften gesammelt, um die Behörde und Bauausstellungsverantwortliche auf das Treiben des Bauunternehmers aufmerksam zu machen. "Ich kann mir keinen Anwalt leisten, um mich gegen diese Leute zu wehren", sagt er.
Auch die Betreiber eines Internet-Cafés sind genervt. "Es sieht alles so verwahrlost aus, das wird immer schlimmer", sagt ein Mitarbeiter. Sinani und er fragen sich, wann denn endlich mit den groß angekündigten Baumaßnahmen begonnen wird. Beim Bezirksamt Mitte herrscht Ratlosigkeit. Nach Informationen des Abendblattes hat Necati Adigüzel sämtliche Bauanträge zurückgezogen. Lediglich eine Abrissgenehmigung für ein Parkhaus liegt vor. Weiterhin habe Adigüzel mit illegalen Baumfällaktionen auf sich aufmerksam gemacht, heißt es. "2008 hat Herr Adigüzel 23 Bäume ungenehmigt fällen lassen. Dafür musste er ein Bußgeld zahlen. Im Oktober 2010 ließ er wieder unerlaubt Bäume abholzen. Wieder wurde ein Ordnungswidrigkeitsgeld verhängt", sagt Mitte-Sprecher Lars Schmidt.
Die Gagfah winkt ab, wenn es um die Veräußerung des Gebäudes an der Korallusstraße geht. "Es bestehen derzeit keine Verkaufsabsichten für die Korallusstraße 3a/ bin Wilhelmsburg", so Gagfah-Pressesprecherin Bettina Benner.
An den IBA-Verantwortlichen ist der Protest der Bewohner nicht vorbei gegangen. "Die IBA hat jetzt alle betroffenen Bewohner darüber informiert, dass das Haus an der Korallusstraße 3 nicht mehr Bestandteil der IBA-Projektentwicklung ist", heißt es in einer Pressemitteilung. Das Gebäude sei aus der Planung herausgenommen worden, um die Situation der Mieter nicht zu gefährden. Außerdem habe man "Herrn Adigüzel ausdrücklich gebeten, die Projekte auf seinen eigenen Grundstücken in Übereinstimmung mit den Grundsätzen der IBA zu realisieren sowie für eine sozialverträgliche Entwicklung des Viertels zu sorgen".
Es kommt noch schlimmer: Für das IBA-Vorhaben an der Thielenstraße 8a und auf den Grundstücken, die parallel zur Bahn verlaufen "hat Herr Adigüzel bislang gar keinen Bauantrag gestellt. Dafür besteht bislang nicht einmal das Baurecht. Solange es kein Baurecht gibt, kann hier auch kein Bauantrag eingereicht werden", so Anna Vietinghoff, Pressesprecherin der IBA. - Keine positive Entwicklung für ein Viertel.
"Preiswerter Wohnraum wird hier dringend gebraucht. Es wäre toll, wenn die Adigüzels ihre Pläne verwirklichen", sagt Polizeihauptkommissar Bernd Gieske, der im alten Bahnhofsviertel seit sechs Jahren als Bürgernaher Beamter unterwegs ist. "Viele Leute würden gern aus den maroden Gagfah-Bauten in moderne, erschwingliche Wohnungen im Stadtteil ziehen. Das weiß ich aus vielen Gesprächen mit den Menschen. Leider passiert hier nichts."
Yaver Adigüzel kann kein Licht ins Dunkel bringen. "Das stimmt nicht", sagt er lapidar zu den Vorwürfen. Bauanträge seien eingereicht - und im Übrigen sei an den Vorwürfen der Mieter des Gagfah-Gebäudes an der Korallusstraße 3 nichts dran. "Ich lasse hier regelmäßig den Abfall entfernen. Wir setzen niemanden unter Druck. Jeder Tag kostet unser Geld."
Die IBA indes will die weitere Entwicklung aufmerksam beobachten. "Wir werden Herrn Adigüzel auffordern, seine Projekte im Sinne der IBA-Prinzipien zu realisieren. Wenn sich bewahrheiten sollte, dass das nachweislich nicht der Fall ist, wird die IBA auch ihre Konsequenzen daraus ziehen und das Vorhaben nicht weiter als IBA-Projekt führen. Für den SPD-Bürgerschaftsabgeordneten Metin Hakverdi wäre eine derartige Entwicklung fatal. "Ich unterstütze jedes Wohnbauvorhaben, das unter der IBA-Flagge läuft, denn diese Projekte sind ein Gewinn für den Stadtteil und die Menschen, die nicht im Stich gelassen werden sollten."