Ohlsdorf wird vom städtischen Hauptfriedhof geprägt, der mit seiner parkartigen Anlage eine Oase inmitten der Großstadt darstellt.

Bei Vertretern einer bestimmten Berufsgruppe löst der Name Ohlsdorf regelmäßig Enttäuschung aus: den Taxifahrern am Flughafen. Denn wegen der Nähe des Stadtteils zum Hamburger Airport bringt die kurze Fahrt nach langer Wartezeit nur wenig in die Kasse. Der Ohlsdorfer hingegen freut sich, nach anstrengendem Flug schnell und günstig wieder zu Hause zu sein. Alternativ nach nur einer S-Bahn-Station.

Doch die erste Assoziation mit dem Stadtteil im Norden Hamburgs hat nichts mit dem Fliegen zu tun, sondern ist fest mit der Erde verbunden: Denn Ohlsdorf wird vom städtischen Hauptfriedhof geprägt, der mit seiner parkartigen Anlage eine Oase inmitten der Großstadt darstellt. Er ist mit seinen knapp 400 Hektar nicht nur der größte Parkfriedhof der Welt, sondern zugleich Hamburgs größte Grünanlage, die zwei Drittel des Stadtteils einnimmt. Wer alle Straßen abläuft, kommt dabei fast auf Halbmarathon- Distanz – 17 Kilometer führen die asphaltierten Wege durch den Friedhof. Wer es gemütlicher mag, steigt an einer der 22 (!) Bushaltestellen zu.

Dank seiner historischen Grabstätten, der 800 Skulpturen und der eindrucksvollen Gartenarchitektur gilt er als Gesamtkunstwerk von internationalem Rang. Auf dem Ohlsdorfer Friedhof kann sich jeder beisetzen lassen, unabhängig von Wohnort und Konfession. Fast 5000 Menschen im Jahr werden hier zu Grabe getragen. Darunter bedeutende Persönlichkeiten: Ob Hans Albers, Heinz Erhardt oder Tierparkgründer Carl Hagenbeck – bei einem Spaziergang lassen sich Dutzende Prominentengräber entdecken.

Doch nicht alle Einwohner Ohlsdorfs haben die Möglichkeit, im Park die Seele baumeln zu lassen: Die Insassen der Justizvollzugsanstalt Fuhlsbüttel, die nach Grenzverschiebungen heute zu Ohlsdorf gehört, müssen sich auf ihren Hofgang beschränken. Fast 800 Gefangene gab es in „Santa Fu“ früher, heute sind es nur noch rund 260 – die meisten von ihnen ganz harte Kaliber. Die reine Männeranstalt ist zuständig für den geschlossenen Strafvollzug und die Sicherungsverwahrung. Der Begriff „Santa Fu“ stammt von der alten Bezeichnung „Strafanstalt Fuhlsbüttel“, die im Verwaltungsdeutsch „St. Fu“ abgekürzt wurde. 1879 wurde das neue „Centralgefängnis“, das heutige Haus I, fertiggestellt und zwischen 1901 und 1906 schließlich für knapp drei Millionen Reichsmark jenes Gebäude errichtet, das zum Inbegriff des Hamburger Strafvollzugs wurde. Manche Vorschrift hat sich seitdem geändert. 1906 galt noch: „Jeder Gefangene erhält für den Gebrauch innerhalb 24 Stunden drei Blatt Klosettpapier.“ Und wer in Fuhlsbüttel eintraf, hatte sich dem „Willkomm“ zu unterziehen. Er wurde auf eine Pritsche geschnallt und ausgepeitscht. Heute ist die JVA vorbildlich in Sachen moderner Vollzug und verkauft unter der Marke Santa Fu sogar „heiße Ware“ – besondere Produkte, die von den Häftlingen in der Haftanstalt hergestellt werden, wie Kleidung, Memory-Spiele oder sogar ein Kochbuch.

Im krassen Gegensatz dazu beginnt nördlich der Gefängnismauern Klein Borstel – seit 1938 kein eigenständiger Stadtteil mehr, sondern ein Teil von Ohlsdorf. Hier ist die Welt noch in Ordnung. „Wer im Urlaub ist und vergessen hat, das Fenster zu schließen, muss sich keine Sorgen machen – die Nachbarn passen auf, dass niemand einbricht“, sagt Manfred Thiele, Vorsitzender des Heimatvereins, der – bezogen auf die Einwohnerzahl – die höchste Mitgliederdichte aller Bürgervereine in Deutschland aufweist. Jeder fünfte Klein Borsteler engagiert sich dort. In diesem Quartier wird das Dorf in der Stadt gelebt, mit Hofladen, regelmäßi- gem Dorffest und einer niederdeut- schen Theaterbühne, der Speeldeel.

Die kleinen Rotklinkerhäuser der Frankschen Siedlung, erbaut zwischen 1935 und 1939, stehen seit 2011 unter Denkmalschutz. Immer mehr Familien finden dort ihr neues Zuhause. Und die Häuser an der Wellingsbütteler Landstraße erinnern in ihrer Herrschaftlichkeit an die ganz feinen Hamburger Viertel. Doch die Borsteler können auch aufmucken: Im Jahr 1993 erlangte das Quartier bundesweite Berühmtheit, als die Einwohner für den Erhalt des Postamts kämpften, dieses kurzfristig besetzten und eine Bürgerpost in einem Zelt einrichteten. Immerhin gelang es dadurch, 1994 die erste städtische Postagentur zu erhalten. Zwar klein, aber borstelig.

Ein berühmter Friedhof, ein berühmter Knast und ein zumindest temporär berühmtes Quartier – Ohlsdorf ist offenbar kein gewöhnlicher Stadtteil. Und dieser Eindruck verstärkt sich noch: Denn ein herkömmliches Zentrum gibt es nicht. Keinen Dorfplatz, keinen Mit- telpunkt mit einer Ballung von Geschäften, an dem das Leben zusammenfließt. Zwei große Arbeitgeber sind erwähnenswert: zum einen ein Ableger des Philips-Konzerns, Philips Medizin Systeme. An der Röntgenstraße entstehen – wie passend – Röntgengeräte und Computertomografen. Und zum anderen das Ausbesserungswerk für S- Bahnen südlich des Bahnhofs.

Ohlsdorfs große Stärke sind die vielen Möglichkeiten zur Erholung. Es ist grün, wohin man auch blickt. Wem der Charme des Friedhofs zu morbide ist, kann sich auch am Oberlauf der Alster entspannen und die zahlreichen Gänsefamilien füttern, die hier leben. Oder er kann das Areal der ehemaligen Schleuse Am Hasenberge bestaunen. Es markiert den Übergang vom unbefestigten Oberlauf der Alster zum kanalisierten Unterlauf. Hier stand die letzte Schleuse, die noch mit der Hand bedient werden musste. Doch trotz des Höhenunterschieds von vier Metern wurde sie nicht mehr gebraucht – für größere Wasserfahrzeuge, wie zum Beispiel Ausflugsdampfer, ist der Oberlauf der Alster ohnehin zu flach. So kam es zu dem Abriss des 100 Jahre alten Bauwerks, dessen Standsicherheit nicht mehr gewährleistet werden konnte, und einer Modernisierung des Wehrs. Fische können seit 2012 über einen extra vorgesehenen Mäander-Fischpass passieren. Kanuten, Paddler und Ruderer überwinden den Höhenunterschied über eine Slipanlage zu Fuß. Ein Wasserkraftwerk versorgt etwa 100 Haushalte mit Strom.

Wasserfreunde haben nebenan im (allerdings sanierungsbedürftigen) Hallen- und Freibad alle Möglichkeiten, sich sportlich zu betätigen. Und auch Kleingartenanhänger kommen in Ohlsdorf voll auf ihre Kosten: Der Gartenbauverein Alsterkanal feierte im Jahr 2010 sein 75. Jubiläum. Beim 21. Bundeswettbewerb „Gärten im Städtebau“ erhielt die Anlage 2006 die Silbermedaille. Besonderheit: die „Obstbaumallee“, in der 84 Obstbäume mit den zu- gehörigen Informationsschildern zu finden sind. Ohlsdorf ist also ein durchaus reizvoller Stadtteil – für fast alle Berufsgruppen.

In der nächsten Folge am 17.10.: Langenbek