Hamburg. Viele Hamburger sind über das Bauprojekt am Diekmoor in Langenhorn empört. Das Abendblatt-Streitgespräch.
In Langenhorn ist die Empörung groß: Auf einem Teil des Kleingartengeländes am Diekmoor soll ein Neubauquartier mit 700 Wohnungen entstehen. Das Hamburger Abendblatt bat den Vereinsvorsitzenden Bernd Hohmuth und Hermann von der Heide sowie Bezirksamtsleiter Michael Werner-Boelz zum Gespräch. Die Diskussion wurde vom Vereinshaus in den Großen Sitzungssaal des Bezirksamts verlegt, weil Proteste befürchtet wurden.
Hamburger Abendblatt: Herr Werner-Boelz, waren Sie schon einmal im Kleingartengebiet am Diekmoor?
Michael Werner-Boelz: Ja. Im unmittelbaren Umfeld liegen Sportstätten der Vereine SCALa und HTHC, deren Sanierung wir mit bezirklichen Mitteln unterstützt haben. Auf dem Weg von der U-Bahn dorthin bin ich durch das Gebiet gelaufen.
Was macht den Reiz dieses Geländes aus, Herr Hohmuth und Herr von der Heide?
Bernd Hohmuth: Es handelt sich um ein Landschaftsschutzgebiet, auf dem seit 1929 Kleingärten ansässig sind. Die Fläche hat für den ganzen Stadtteil eine große Bedeutung. Die Langenhorner nutzen es als Naherholungsgebiet und genießen die Natur und die liebevoll gepflegten Kleingärten. Das hat sich gerade in der Pandemie gezeigt.
Hermann von der Heide: Im Laufe der Jahrzehnte hat sich dort eine einzigartige Flora und Fauna entwickelt. Es gibt mehr als 23 Vogelarten, darunter einen Eisvogel und verschiedene Greifvögel. Es ist eine Fläche, deren Verlust einer ökologischen Katastrophe gleichkäme.
Wohnungen am Diekmoor? Kleingärten bleiben
Was genau plant die Stadt?
Werner-Boelz: Erst einmal sollten wir den Hintergrund beleuchten. Wir wollen dort ja nicht aus Spaß bauen. Die Fläche steht seit den 1990er-Jahren für den Wohnungsbau zur Disposition, schon das Wohnungsbauprogramm von 2012 sah hier das Potenzial für 700 Wohnungen. Durch die Vorgabe der Stadt müssen wir pro Jahr 1200 Wohneinheiten genehmigen. Das übertreffen wir regelmäßig, und trotzdem ist die Nachfrage hoch, und die Mietpreise explodieren. Am Diekmoor gibt es die letzte Fläche für Wohnungsbau in dieser Dimension. Mit 16 Hektar überplanen wir etwa ein Drittel des gesamten Gebiets. Wohnungsbau ist dabei nur auf acht Hektar vorgesehen, der Rest steht für Kleingärten und öffentlich nutzbaren Raum zur Verfügung.
Können sich Bürger bei den Planungen einbringen?
Werner-Boelz: Ja. Der Bezirk hat zwar den Auftrag des Senats, das Bauprojekt aus gesamtstädtischem Interesse umzusetzen. Ein Bürgerbegehren dagegen ist also unzulässig. An den Planungen aber werden sich die Bürger selbstverständlich beteiligen können. Wahrscheinlich schon im kommenden Jahr.
"Bestehen auf Erhalt sämtlicher Flächen"
Wie viele der 285 Kleingärten können in dem Gebiet bleiben?
Werner-Boelz: Rein zahlenmäßig können 50 Prozent erhalten bleiben.
Von der Heide: Aber nur, wenn die Parzellengröße von 500 auf 300 Quadratmeter reduziert wird. Als Vorsitzende der Vereine Diekmoor e. V. und Diekmoor 2 haben wir aber die Aufgabe, auf dem Erhalt sämtlicher Flächen zu bestehen.
Hohmuth: Warum ausgerechnet das Diekmoor? Als Olaf Scholz damals im rot-grünen Senat die Parole von der wachsenden Stadt ausrief, schloss er damit nicht die Vernichtung von Grün ein. Es gibt in Langenhorn genug Flächen, die bereits bebaut sind und nachverdichtet werden könnten.
Werner-Boelz: Diese Flächen haben wir bereits im Blick – unter anderem mit unserem Projekt Lüdia, bei dem es um die Aufstockung flacher Discounter geht. Im Falle des Diekmoors haben wir aber ganz andere Möglichkeiten. Da ist die Stadt Eigentümer und kann die Preise gestalten. Wir werden mit 60 Prozent deutlich mehr öffentlich geförderten Wohnraum als beim üblichen Drittelmix schaffen. Darüber werden 30 Prozent der insgesamt 700 Wohneinheiten barrierefrei. Das Diekmoor wird damit ein richtig gutes Wohngebiet mit erschwinglichen Mieten. Darüber hinaus ist es über U-Bahnstation Langenhorn-Nord hervorragend an den öffentlichen Nahverkehr angebunden.
Von der Heide: Das klingt alles nachvollziehbar. Aber sieht der Senat nicht ein, dass Wachstum endlich ist? Hier in der Umgebung wurde schon zu viel Grün für den Wohnungsbau vernichtet, etwa auf dem Gelände des früheren Krankenhauses Ochsenzoll oder in der Hummelsbütteler Feldmark. Jetzt das Diekmoor. Da geht ein Aufschrei durch Langenhorn.
Werner-Boelz: Ich kann das durchaus verstehen. Aber in Langenhorn wurden in den letzen fünf Jahren tatsächlich nur 1260 neue Wohnungen genehmigt. Damit ist der Stadtteil bei Weitem nicht so dicht besiedelt wie Hoheluft-Ost oder Barmbek und wächst nicht in dem Maße wie Groß Borstel, wo durch Wohnungsbau die Bevölkerung um 40 Prozent steigen wird.
"Ein Aufschrei geht durch Langenhorn"
Von der Heide: Die Bürger machen sich auch Sorgen ums Klima. Mit dem Kleingartengelände geht ja nicht nur eine Naherholungsfläche verloren, sondern ein Gebiet, das durch sein Grün eine wahre Klimaanlage für den Stadtteil ist.
Hohmuth: Und sie sind auch sauer, dass Sie den Senat um Weisung für die Bebauung gebeten haben, Herr Werner-Boelz. Sie haben ihnen damit im Vorfeld die Chance genommen, sich gegen das Vorhaben zu wehren.
Werner-Boelz: Durch meine langjährige Tätigkeit in der Stadtentwicklung weiß ich, dass Wohnungsbau immer eine Beeinträchtigung des Lebensumfeldes ist. Es gibt immer Widerspruch. Doch Metropolen wie Hamburg leben vom Wandel. In den vergangenen Jahren hat der Senat im Bezirk öfter umstrittene Bauvorhaben nachträglich durch Weisung an sich gezogen. Das erfolgreiche Bürgerbegehren Langenhorn 73 wurde sogar nach Abstimmung evoziert. Meine grundsätzliche Überzeugung ist es, dass zu Beginn eines Verfahrens allen Beteiligten die Rahmenbedingungen klar sein müssen. Ich kann nachvollziehen, dass die Entscheidung nicht auf Begeisterung stößt. Es verursacht aber noch viel mehr Unmut, wenn Menschen sich erst engagieren und ihnen dann mitgeteilt wird, dass das völlig umsonst war, weil wegen des Protests eine Weisung erteilt wird. Im Falle Diekmoor hat der Bezirk weiterhin Planungshoheit. Und bei der Frage, wie gebaut wird, ist eine umfassende Bürgerbeteiligung vorgesehen.
Lesen Sie auch:
- Bauboom verdrängt Natur und Ruhe: Einer Hamburgerin reicht’s
- Winterhude: Investor will Mühlenkamp-Ufer roden
- Einfamilienhäuser und Wohnungbau: Bezirkschef in der Kritik
Wohnungsbau im Landschaftsschutzgebiet tabu?
Es galt lange als Tabu, in Landschaftsschutzgebieten Wohnungen zu bauen.
Werner-Boelz: Natürlich macht man das nicht gern. Wichtig ist, die verschiedensten Aspekte im Laufe der Planungen gegeneinander abzuwägen.
Von der Heide: Können wir denn überhaupt eine wirkliche Abwägung erwarten? Gibt es eine Chance, das Landschaftsschutzgebiet zu erhalten?
Werner-Boelz: Insbesondere naturschutzrechtliche Belange sind genauestens zu prüfen – da wird uns die Umweltbehörde schon auf die Finger schauen. Aber ich betone noch einmal: Wir haben hier einen klaren Handlungsauftrag.
Sie haben ja bereits auf Ihre Aufgabe als Vereinsvorsitzende hingewiesen, Herr Hohmuth und Herr von der Heide. Was aber sagen Sie auf der anderen Seite den jungen Familien, die sich das Wohnen in der Stadt nicht mehr leisten können – und deren Chance auf stadtnahes bezahlbares Wohnen am Diekmoor Sie verhindern möchten?
Hohmuth: Da sage ich ganz klar: Stadtentwicklung darf nicht auf Kosten von Landschafts- und Naturschutz gehen. Und dabei geht es hier am Diekmoor. Außerdem: Warum sollte die bei uns gelebte Integration, der soziale Zusammenhalt und der Aufenthalt im Freien weniger wichtig sein als die Möglichkeit, in Langenhorn zu wohnen?
Von der Heide: Wer nach Langenhorn zieht, tut das ja unter anderem wegen der vielen Natur. Jeder, der sich für eine der neu gebauten Wohnungen interessiert, sollte aber wissen, dass dafür Bäume und Grünflächen geopfert wurden.
Zugang für Spaziergänger?
Werner-Boelz: In die Kleingärten am Diekmoor kommt man als Bürger gar nicht hinein. Im Neubau-Quartier schaffen wir aber neben dem Erhalt vieler Parzellen auch öffentlichen Raum – durch Platzgestaltung oder Grünflächen.
Hohmuth: Auch wenn sie nicht hinein-kommen, erfreuen sich die Spaziergänger doch am gepflegten Zustand unserer Parzellen. Und mit der Pflege des öffentlichen Grüns steht es in Hamburg ja nicht unbedingt zum Besten …
Wie geht es jetzt weiter?
Werner-Boelz: Bis Ende 2021 erfolgt die Ausschreibung für die Rahmenplanung. Wenn das Büro feststeht, kann im kommenden Jahr das Beteiligungsverfahren beginnen. Aber wir stehen noch ganz am Anfang der Planungen. Vor 2025 wird sich jedenfalls am Diekmoor nichts tun.