Hamburg. Corinna Schröder ist vor 20 Jahren der Natur und Ruhe wegen hergezogen. Doch der Stadtteil wächst schnell. Jetzt will sie wieder weg.

Vor 20 Jahren zog Corinna Schröder mit Mann und Sohn von Eimsbüttel nach Langenhorn. „Das Baby sollte in einer ruhigen Umgebung aufwachsen“, sagt sie. Das Reihenhaus in der Nähe des Langenhorner Markts, 120 Quadratmeter und Garten, war perfekt. Die Familie fühlte sich wohl in dem geruhsamen Hamburger Stadtteil, obwohl ihre Nachbarschaft deutlich älter war als sie und der Junge das einzige Kind in der Häuserreihe.

Seit ein paar Jahren aber hadert die 59-Jährige mit ihrem Wohnort. „Es sind so viele neue Wohnungen hier entstanden, dass die kleinen Straßen den vielen zusätzlichen Verkehr kaum bewältigen können und man kaum noch einen Arzttermin bekommt. Es gibt zu wenig Einkaufsmöglichkeiten, und im Raakmoor, in dem ich mit den Hunden gern spazieren gehe, ist es mittlerweile so voll wie sonntags an der Alster.“

Neubauboom in Langenhorn

Tatsächlich gab und gibt es in Langenhorn einen wahren Neubauboom. Seit 2010 stieg die Zahl der Einwohner von 41.172 auf 46.144 (Stand Dezember 2019). Und es wird fleißig weitergebaut. Allein in dem Areal zwischen Langenhorner Chaussee, Foorthkamp, Krohn­stieg und der Bahntrasse der Linie U 1, in dem auch Corinna Schröder lebt, sind in den letzten paar Jahren mehr als 500 neue Wohnungen entstanden.

Weitere 250 werden durch Neubau und Nachverdichtung in der Wulffschen Siedlung dazukommen, in der es bislang „nur“ 450 Wohnungen gibt. Und nur einen Steinwurf davon entfernt, auf der anderen Seite des Foorthkamps, soll anstelle eines Kleingartengebiets am Diekmoor ein Quartier mit 700 neuen Wohnungen entstehen.

Corinna Schröder: „Mir reicht’s“

„Mir reicht’s“, sagt die Reiseverkehrskauffrau. „Wir suchen jetzt eine Wohnung, die weiter zum Raakmoor hin in einer ruhigeren Gegend liegt.“ Um einen Eindruck von der Entwicklung in ihrer Nachbarschaft zu vermitteln, hat sie zu einer Fahrradtour geladen. Die Runde führt über Reekamp, Langenhorner Markt und Diekmoorweg entlang der Baugrenzen des geplanten Quartiers am Diekmoor und endet an der Wulffschen Siedlung. Zur Erinnerung: Die Siedlung aus den 50er-Jahren hatte vor knapp zehn Jahren für Schlagzeilen gesorgt, weil der Senat einen erfolgreichen Bürgerentscheid gegen eine Nachverdichtung außer Kraft setzte.

Unsere erste Station sind mehrere viergeschossige, versetzt liegende Neubaureihen am Reekamp. Früher standen hier zweigeschossige Gelbklinker-Reihenhäuser mit insgesamt 60 Wohnungen. Durch Aufstockungen und Neubauten kamen 90 weitere dazu. Dass die weißen Gebäude schöner aussehen als die alten, ist unbestritten. „Aber sie passen nicht hierhin“, sagt Corinna Schröder und weist auf die viel flacheren umliegenden Häuser.

Neugestaltung des Langenhorner Markts

Unser nächster Stopp ist am Langenhorner Markt. Der hat in den vergangenen Jahren ein völlig neues Gesicht erhalten – aus Sicht der Langenhornerin allerdings kein schöneres. „In Eppendorf wäre eine so geschmacklose Bebauung niemals genehmigt worden“, sagt sie und zeigt auf drei klobige Gebäudetürme mit insgesamt 126 Wohnungen, die anstelle der eingeschossigen Ladenzeilen auf der Marktfläche entstanden sind, sowie auf ein lila Parkhaus, ein Haus mit 60 Seniorenwohnungen und das Krohnstiegcenter auf der anderen Straßenseite.

Hier gehe sie nicht einkaufen, sondern fahre für Besorgungen lieber nach Norderstedt, sagt Corinna Schröder und radelt weiter.

Neubauten am Diekmoorweg

Wo die 516 Neubauwohnungen in ihrer Nachbarschaft entstanden sind, hat sie mit Bleistift auf einer Karte eingezeichnet. „Kleinere Projekte wie das hier habe ich nicht mit einbezogen“, sagt sie und zeigt im Vorbeifahren auf eine Baustelle am Eberhofweg. Bis vor Kurzem stand hier ein 1910 errichtetes Haus, das während der Bautätigkeiten am Langenhorner Markt plötzlich baufällig wurde und als unbewohnbar galt. Der Fall hatte über die Grenzen Langenhorns hinaus von sich reden gemacht, die Besitzerin das Grundstück verkauft. Jetzt sieht es so aus, als solle auch hier ein Neubau mit mehreren Wohnungen entstehen.

Wir überqueren den Wördenmoorweg und sind am Diekmoorweg, am dem eine Reihe mit mehreren Neubauten entstanden ist. Im vergangenen Jahr wurde der letzte Abschnitt fertiggestellt. Auf dem schmalen Grundstück zwischen Diekmoorweg und Bahntrasse lagen früher die Garagen der Bewohner aus den Wohnblocks gegenüber. Heute leben hier mehrere Hundert Menschen in 240 neuen Wohnungen.

Langenhorner wütend über Pläne der Stadt

Auf der anderen Seite des Foorthkamps beginnt das weitläufige Kleingartengebiet am Diekmoor. Breite, teils asphaltierte Wege führen hindurch, rechts und links liegen Parzellen und, zu Füßen der Bahngleise, sogar einige Ponyweiden. Vogelgezwitscher begleitet uns.

„Das hier ist eine Idylle, in der es sogar einen Eisvogel gibt, und ein wichtiges Naherholungsgebiet für uns Langenhorner“, sagt Corinna Schröder, als wir den Bornbach passieren. „Wo sollen wir denn hin, wenn das alles bebaut wird?“

Wie sehr viele Langenhorner ist sie wütend über die Pläne der Stadt, auf einer 16 Hektar großen Fläche des ausgewiesenen Landschaftsschutzgebietes ein Wohnquartier zu bauen. Noch saurer stößt ihr auf, dass der Bezirksamtsleiter den Senat um Anweisung gebeten hat, hier bauen zu können, was ein Bürgerbegehren von vornherein ausschließt. „Alle reden immer von Bürgerbeteiligung – aber gewollt ist sie nicht“, schimpft die Langenhornerin, die sich schon an dem Bürgerentscheid gegen Nachverdichtung und Umbau der Wulffschen Siedlung beteiligt hatte.

Siedlungsbewohner werden umquartiert

Kurz nachdem wir das einem See gleichende Rückhaltebecken des Bornbachs hinter uns gelassen haben, stehen wir wieder am Foorthkamp. Vor uns liegt die Schule, an der schon Corinna Schröders Mann und ihr Sohn Abitur gemacht haben. Schräg hinter dem Schulgelände tauchen vor uns die ersten Häuser der Wulffschen Siedlung auf – die wegen des vielen Grüns dazwischen auch „Gartenstadt“ genannt wird.

Lesen Sie auch:

„Wann es hier losgeht, ist noch völlig unklar. Aber mehr und mehr Wohnungen werden schon entmietet“, sagt die Langenhornerin. Auf 15 Jahre sei die Bauzeit angesetzt, denn viele Bewohner müssen erst innerhalb der Siedlung umquartiert werden, bevor ihre Häuser abgerissen und neu gebaut werden. Ziehen sie dann zurück, werden die Interimsquartiere abgerissen und durch Neubauten ersetzt.

Hoffnung: Stadt sollte auf Neubauprojekt verzichten

Angesichts der schmalen Straßen in den Wohngebieten fragt man sich, wo die Baufahrzeuge für die Neubauquartiere Diekmoor und Wulffsche Siedlung durchrollen sollen. Corinna Schröder hat die Hoffnung aber noch nicht aufgegeben, dass die Stadt ein Einsehen hat – und zugunsten der Langenhorner auf dieses Projekt verzichtet.