Hamburg. Die Symptome sind anders als bei Männern – mit fatalen Folgen. Eine Hamburger Ärztin erklärt die Vorteile von Gendermedizin.
Aus der Liebe hat man es schon geahnt, doch es ist auch längst medizinisch belegt: Frauenherzen schlagen anders. „Uns Frauen wird ja oft nachgesagt, wir hätten ein großes Herz“, sagt Dr. Viyan Sido. „Doch das stimmt nur im übertragenen Sinne. Tatsächlich haben Frauen im Vergleich zu Männern ein kleineres Herz, das oft im Alter sogar noch an Elastizität einbüßt und steifer wird“, sagt die Hamburger Herzchirurgin, die sich gerade zur Allgemeinmedizinerin weiterbilden lässt und am Facharztzentrum Kampnagel arbeitet, das zu Asklepios gehört.
Auch ein Herzinfarkt äußere sich bei Frauen ganz anders als bei Männern, sagt die Expertin. Und weil die Symptome bei Frauen (Übelkeit, Müdigkeit, Oberbauchschmerzen) eben eher untypisch und unspezifisch seien, überlebten Frauen einen Herzinfarkt statistisch viel seltener als Männer.
Asklepios Hamburg: Ärztin erklärt, warum Herzinfarkte bei Frauen öfter tödlich enden
„Frauen kommen mit starken Bauchschmerzen in die Notaufnahme, und man rät ihnen, sich auszuruhen“, sagt Dr. Viyan Sido. „Manchen Frauen werden Antidepressiva verschrieben, weil man davon ausgeht, es handele sich um Anzeichen von Stress und Überlastung.“ Der Infarkt werde nicht erkannt. „Mit teils fatalen Folgen.“
Bei Männern, die über Luftnot klagen, Brustschmerzen verspüren und ein Engegefühl beschreiben, werde dagegen sofort an einen Herzinfarkt gedacht. „Das sind einfach die Symptome, die jeder Arzt seit dem Studium damit assoziiert.“
Deutsches Gesundheitssystem hat Frauen jahrzehntelang vernachlässigt
Doch woran liegt es, dass das deutsche Gesundheitssystem Frauen offensichtlich manchmal übersieht? „Wir haben es leider lange verpasst, uns mit Frauengesundheit zu beschäftigen“, sagt die Medizinerin. Schon als Studentin sei ihr aufgefallen, dass die in den Lehrbüchern abgebildeten Patienten ausschließlich Männer gewesen seien.
„Die Probanden in den Studien waren jahrzehntelang mehrheitlich Männer. Und die Ergebnisse aus dieser Forschung hat man dann auf Frauen übertragen“, sagt Dr. Viyan Sido. Ihr selbst sei als junger Assistenzärztin während eines Nachtdienstes die Frage gekommen, ob das alles so richtig sei: „Man kann doch einem Mann, der 150 Kilogramm wiegt, nicht die gleiche Medikamentendosis verabreichen wie einer Frau, die gerade mal 50 Kilo auf die Waage bringt.“
Asklepios: Hamburger Ärztin hält Frauensprechstunden für sinnvoll
Seither beschäftigt sich die Ärztin intensiv mit „Gendermedizin“ – auch wenn sie dafür nicht immer Lob bekommt. „Natürlich gibt es Kollegen, die mit den Augen rollen. Nach dem Motto: die Feministin wieder!“
Dabei gehe es ihr darum, eine „gerechte Gesundheitsversorgung“ für alle Geschlechter zu schaffen. „Ich halte Frauensprechstunden für sinnvoll. Wobei das nicht heißt, dass dann kein männlicher Patient mehr willkommen ist.“ Am Ende gehe es darum, Leben zu retten. „Und da ist es doch nur gut, wenn wir mehr über die Geschlechterunterschiede wissen.“
Asklepios-Ärztin: Herzchirurgie ist immer noch männerdominiert
Auch in ihrer Masterarbeit hatte sich Dr. Viyan Sido mit einem anderen Aspekt der Gendermedizin beschäftigt. Nämlich mit der Frage, wer eigentlich besser operiert – Ärztinnen oder Ärzte?
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„Die Herzchirurgie ist wie jedes chirurgische Fach immer noch männerdominiert. Da heißt es dann mitunter: Männer können die komplexen Eingriffe besser vornehmen.“ Doch in ihrer Arbeit, die sie mit ihrem Professor am Herzzentrum im Brandenburg abgesprochen hatte, kommt sie zu einem anderen Fazit: „Frauen operieren genauso gut. Warum auch nicht? Ja, sie brauchen vielleicht manchmal länger, aber das ist dem Patienten ja egal. Solange in seinem Sinne das beste Ergebnis erzielt wurde.“